Das blaue Wunder -

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Wer das Wasser liebt, liebt das Leben. Impressum: Fotos: Andrea Badrutt, Chur. Text: Ernst Bromeis, Davos Platz. Layout und Grafik: ARGO Werkstätte, Davos.
Das blaue Wunder -

Rhein 2012

Wer das Wasser liebt, liebt das Leben.

ABSCHLUSS- UND AUFBRUCHBERICHT «Das blaue Wunder – Rhein 2012»

ALLES HAT SEINE ZEIT und jegliches Vornehmen unter dem Himmel seine Stunde. Geborenwerden hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit; Pflanzen hat seine Zeit und Gepflanztes ausreißen hat seine Zeit. Töten hat seine Zeit und Heilen hat seine Zeit; Zerstören hat seine Zeit und Bauen hat seine Zeit. Weinen hat seine Zeit und lachen hat seine Zeit; Klagen hat seine Zeit und Tanzen hat seine Zeit. Steine schleudern hat seine Zeit und Steine sammeln hat seine Zeit; Umarmen hat seine Zeit und sich der Umarmung enthalten hat auch seine Zeit. Suchen hat seine Zeit und Verlieren hat seine Zeit; Aufbewahren hat seine Zeit und Wegwerfen hat seine Zeit. Zerreißen hat seine Zeit und Flicken hat seine Zeit; Schweigen hat seine Zeit und Reden hat seine Zeit.

Impressum: Fotos:

Andrea Badrutt, Chur

Text:

Ernst Bromeis, Davos Platz

Layout und Grafik:

ARGO Werkstätte, Davos

Auflage:

200 Exemplare 2012/1

Lieben hat seine Zeit und Hassen hat seine Zeit; Krieg hat seine Zeit und Friede hat seine Zeit. (Prediger 3, 1-11)

Wer das Wasser liebt, liebt das Leben.

Seit meiner Aufgabe in Breisach und dem anschliessenden Medienrummel ist viel Zeit vergangen und viel Wasser den Rhein runtergeflossen. Es war eine Zeit des Abschieds, der Trauer, der Wut, der Frustration, des Haderns, des Zorns – aber auch eine Zeit des Aufbrechens, des Planens, des neue Ziele Suchens und Setzens, der Freundschaften, der Ermutigung, der Familienferien, der Vorfreude. Die vielen Auftritte im Rahmen von Veranstaltungen im Herbst geben mir immer wieder Gelegenheit, meine Sicht der Dinge auf das Projekt Rhein 2012 zu erläutern. Immer wieder taucht die Frage auf, warum ich bereits im Mai gestartet bin. Hätte ich das Projekt ohne touristische Partner durchgezogen, wäre ich mit Bestimmtheit erst im Hochsommer gestartet. Der frühe Start war ein Kompromiss (für die touristische Sommerwerbung hätten einige den Start sogar lieber noch früher gesehen). Damit keine Missverständnisse aufkommen: auch ich war mit dem frühen Start einverstanden, denn ich sah die Chancen es auch im Mai zu schaffen. Allerdings benötigte diese Art der Expedition mehr Glück. Glück, das wir nicht hatten, denn die Witterungs- und Wasserbedingungen waren teils extrem. Z.B. haben wir bei strahlendem Sonnenschein in Romanshorn am morgen 8 Grad Wassertemperatur gemessen. Während der Etappe am Vortag hat uns sogar Hagel begleitet. Auf der Höhe von Horn am Bodensee mussten wir notfallmässig ein Hotel und eine warme Dusche aufsuchen. Während dem ich am Leiden war, warteten draussen im gecharterten Begleitboot die geladenen Gäste und Journalisten auf den schwimmenden Wasserbotschafter. Doch statt zu schwimmen kämpfte ich im Hotel um meine Lebensgeister. Vergleiche sind immer schwierig, doch so eine existenzielle Situation, wie im Bodensee hatte ich auf meinen Expeditionen Graubünden 2008 und Schweiz 2010 nie erlebt.

Wäre die gleiche Extremsituation irgendwo weitab von der Zivilisation an einem Berg geschehen, ich glaube, ich hätte nicht überlebt. Auf Expeditionen aber auch sonst im Leben brauchen wir Glück. Ohne Glück haben wir keine Chance. Vorbereitung ist wichtig, doch alles können wir nie planen, denn das Leben ist nicht bis ins kleinste Detail planbar. Der Rhein 2012 hat zu viel Glück abverlangt. Leider wurde in der Berichterstattung, sei dies auf Facebook oder auch medial über die Grenzerfahrung von einem solchen Schwimmen unter solchen Rahmenbedingungen kaum gesprochen. Es ist und bleibt lebensgefährlich einen reissenden Fluss zu schwimmen. Es war kein Wellnesstrip und keine romantische Flussreise – es war knochenharte Arbeit. Die Expedition hätte jederzeit auch bei besten Bedingungen scheitern können. Es war grotesk: an der Quelle haben mich einige schon auf die Ankunft in Holland angesprochen obwohl ich noch keinen Meter unterwegs war. Im Vorfeld hatte ich immer wieder Albträume und ich bin mehr als einmal in meinen Träumen ertrunken.

Wer das Wasser liebt, liebt das Leben.

Ebenfalls habe ich als Vorbereitung ein Hypoxie-Training absolviert. Wäre ich minutenlang unter dem Wasser verschwunden, ich wäre physisch wie psychisch vorbereitet gewesen. Doch ein Ticket für eine garantierte Ankunft in Holland habe ich nie gebucht. Ich musste mir immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, dass meine Etappenplanung nicht seriös gewesen sei. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass es machbar gewesen wäre. Allerdings habe ich (wohl nicht nur ich) den ganzen Rummel unterschätzt, so dass keine Ruhe für das eigentliche Schwimmen aufkommen konnte. Ich hatte während des ganzen Projekts nie das Gefühl fokussiert zu sein. Ohne Fokus sind solche Leistungen schlichtweg nicht möglich. Ein andermal werde ich aber meine Konsequenzen ziehen. Allerdings waren die vielen geplanten Auftritte Teil des «Spiels». Das viele Reden und die aufkommende Krankheit waren für die geplanten Tageskilometer einfach zu viel. Ständig hatte ich das Bestreben, es allen recht zu machen. Dafür habe ich meine Geschichte, meinen Fokus und mein Abenteuer geopfert. In der Nachbetrachtung hatten wir bereits grosses Glück, dass wir überhaupt den Bodensee wie geplant erreicht haben. Zwischen Chur und Bodensee herrschte auf den beiden Etappen Hochwasser. Meine Vertrauensperson Peter Gujan im Kajak und ich hatten ein mulmiges Gefühl in dieser grauen, reissenden Brühe unterwegs zu sein. Objektiv betrachtet hätte man das Schwimmen sein lassen sollen. Die Wucht und Kraft vom Hochwasserstrom ist immens. Vor allem auf der Höhe von Landquart hatten wir Glück und Können, als ich in extremis den Notausgang Richtung Felswand in Mastrils nehmen musste. Eine starke, seitliche Strömung trieb mich ab, so dass ich über zwei wuchtige überspülte Steintreppen zu stürzen drohte.

Aufgeben kam für mich lange nicht in Frage. Die Kajaklösung war eine Möglichkeit um nicht alles «über Bord zu werfen». Als ich Anfangs Bodensee gespürt habe, dass es schwimmerisch nicht mehr möglich sein wird, fand ich die Möglichkeit teils aufs Kajak umzusteigen als legitim. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, bereits auf Höhe Romanshorn das Projekt abzubrechen. Zu viel Arbeit, zu viele Emotionen, zu viel Engagement von vielen Menschen standen auf dem Spiel. Das unangenehme Gefühl und die Ausgesetztheit als Schwimmer im Kajak unterwegs zu sein war vielleicht charakterlich die schwierigste Aufgabe. Die Menschen auf den Brücken und am Ufer haben mir zugewinkt und gefragt, wo denn der Schwimmer sei. Jedes mal zu erklären, dass ich der Schwimmer sei, war für mich eine Demütigung und ich habe mich geschämt. Doch es war nicht einfach Faulheit oder Schwindel, wie mir teils vorgeworfen wurde – ich konnte einfach gesundheitlich nicht mehr – und ich konnte noch nicht aufgeben.

Wer das Wasser liebt, liebt das Leben.

Erst auf der Etappe nach Breisach wurde mir klar, dass ich aussteigen musste. Alles schien mir zu entgleiten. Meine Gedanken, meine Emotionen, mein Team, meine Partner – und meine Stimme. Ich Breisach konnte ich nicht mehr reden. Was psychologisch mit mir geschehen ist, kann ich nicht sagen. Dieses Gefühl sich selber immer mehr fremd zu werden, depressiv Kilometer für Kilometer hinter sich zu bringen und kein Ende zu sehen werde ich nie mehr vergessen. Obwohl x-Menschen irgendwo am Ufer und in den Medien auf mich gewartet haben und mich auch unterstützen wollten, fühlte ich mich als einsamster Mensch zwischen Rheinquelle und Mündung. Abends war für mich klar: ich steige aus. Bis jetzt habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass die Entscheidung richtig war – und das ist ein starkes Indiz. Bei verschiedenen Auftritten und Gesprächen interessiert die Rheingeschichte am meisten. Das Scheitern scheint für viele eine Faszination für sich zu haben. Obwohl wir alle das Scheitern mit allen Mitteln versuchen zu verhindern, ist es gerade das Scheitern, das uns am meisten lernen lässt. Doch das Scheitern war für mich nur eine Momentaufnahme. Für die Öffentlichkeit und die Medien aber ist es definitiv und nicht umkehrbar. Für mich als Gescheiterter ist es ein wichtiger Meilenstein in meiner Biographie und unabdingbar für eine neue Standortbestimmung.

Wer scheitert hat die Chance gescheiter zu werden. Ich werde nicht zweimal die gleichen Fehler machen. Die aktuelle Gegenwart und Zukunft als Wasserbotschafter ist extrem spannend. Die Bezeichnung «Extremschwimmer» werde ich persönlich nicht mehr führen. Ich sehe mich immer mehr als Grenzschwimmer, als einer der seine persönlichen physischen und psychischen Grenzen sucht. Das Schwimmen ist aber zentral, denn nur so kann ich möglichst glaubwürdig vom «Blauen Wunder» erzählen und als Vermittler zwischen der Ressource Wasser und dem Nutzer Mensch agieren. Seit Breisach durfte ich viele Auftritte wahrnehmen. V.a. die feierliche Aufnahme der neuen Gemeinden für Solidarit’eau Suisse in Samedan (ein Wasserprojekt der DEZA) hat mich als Botschafter für Solidarit’eau Suisse Stolz gemacht. Mit der Destination Engadin Scuol machen wir Fortschritte für ein Wasser-Sensibilisierungszentrum in den Alpen – und Mitte Dezember erscheint ein neues Buch. Mit «Der verlorene Tropfen – eine Weihnachtsgeschichte» geht ein weiterer Traum für mich in Erfüllung. Ebenfalls werde ich meine Stiftung für Wassersensibilisierung vorantreiben. Dass Graubünden Ferien mich als Wasserbotschafter mit einem Capricorn d’onur ausgezeichnet hat, hat mich sehr gefreut.

Wer das Wasser liebt, liebt das Leben.

Höhepunkte werden im Dezember eine szenische Aufführung im Rahmen der Weihnachtsvorstellung für das Kinderspital in Zürich und die Aktion für «Jeder Rappen zählt» vom Schweizer Radio und Fernsehen. Ein Höhepunkt war auch der Wasser-Schulungstag mit den Lehrlingen von Enviro Chemie in Heidelberg.

«Das blaue Wunder» schwimmt weiter! Ich werde immer wieder gefragt, ob ich den Rhein nochmals schwimmen werde. Vielleicht muss man im Leben nicht alles erreichen. Vielleicht kann man einen Traum auch im Raum schweben lassen, ohne ihn zu verwirklichen. Vielleicht werden wir aber erst erfahrener und weiser, wenn wir es immer wieder wagen.

Ich befinde mich aber auch an einer Zäsur, wo ich nach dem Rheinprojekt stark spüre, wer mit mir weiterhin auf die Reise für «Das blaue Wunder» geht, und wer sich von mir distanziert. Ein r(h)einigender Prozess, sozusagen. Unsere zweitälteste Tochter hat mich in den Sommerferien gefragt, ob ich nun beim «blauen Wunder» kündige. Ich habe zurückgefragt, wie denn das für sie sei, wenn ich nicht mehr für «Das blaue Wunder» unterwegs wäre. «Dann bin ich traurig», hat sie gemeint, denn es ist ihr wichtig, was ich tue.

Ich habe diese Zeit zwischen Aufgeben und Aufbrechen gebraucht um mich selber wieder zu finden. Allen, welche diese unvollendete Europäische Wassertrilogie über all die Jahre unterstützt haben, danke ich von Herzen. Und ich freue mich, auf weitere gemeinsame Abenteuer für das Kostbarste auf dieser Welt, denn ohne Eure Hilfe wäre ich ein einsamer Wasserbotschafter in der Wüste.

Im Sommer habe ich alle Möglichkeiten durchgedacht, wie es wäre, wenn ich nun aufhören würde. Doch ich kann und will nicht. Ich habe das Gefühl, erst am Anfang von einer langen Reise zu sein. Ich bin noch lange nicht am Ziel meiner Vision. Habe das Gefühl, erst vor kurzem das Ufer verlassen zu haben und langsam aber sicher meinen eigenen Rhythmus und meine eigene Handschrift zu finden. Die Rheinquelle am Tomasee wird nun von einer Schnee- und Eisdecke wieder eingehüllt. Keine Schneedecke kann Sehnsüchte ewig zudecken.

Bel temp d’Advent e bellas Festas da Nadal

Ernst Bromeis-Camichel Wasserbotschafter und Grenzschwimmer Davos Platz, November 2012 www.dasblauewunder.ch [email protected]

Partner von Ernst Bromeis für «Das blaue Wunder - Rhein 2012»:

Vielen Dank, grazia fich.