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4. Juni 2013 ... Gerhart Hauptmann: „Vor Sonnenaufgang“ (1889). Arthur Schnitzler: ... erste öffentliche Telefonzelle: vor der Börse o Arthur Schnitzler ...
Literaturgeschichte 1 Konstanze Fliedl Sommersemester 2013

Literaturliste: Gerhart Hauptmann: „Vor Sonnenaufgang“ (1889) Arthur Schnitzler: „Lieutenant Gustl“ (1900) Franz Kafka: „Das Urteil“ (1913) Gedichte des Expressionismus Ödön von Horváth: „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (1931) Anna Seghers: „Das siebte Kreuz“ (1942) Max Frisch: „Biedermann und die Brandstifter“ (1958) Heinrich Böll: „Ansichten eines Clowns“ (1963) Elfriede Jelinek: „Die Liebhaberinnen“ (1975) Christoph Ransmayr: „Die letzte Welt“ (1988) Ingo Schulze: „Simple Storys“ (1999) Kathrin Röggla: „wir schlafen nicht“ (2004)

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5.3.2013

EINFÜHRUNG -

um 1880: Zeitalter von Ks. Franz Joseph I (Franko-Josephinische Epoche) o 70 Regierung (ab 1848) (1830-1916) o Parallele zur Regierungszeit von Viktoria I. (Viktorianisches Zeitalter, gelebt bis 1901) o auch: „Bürgerliches Zeitalter“, trotz gescheiterter Revolutionen o Industriezeitalter: gesamteuropäischer Übergang von Agrar- zur Industriegesellschaft  Erschließung von Verkehrswegen (1835 erste Eisenbahn in Europa)  Wirtschaftsliberalismus  80er: Arbeiterfrage – neue soziale Schicht mit Fabriksarbeitern: die soziale Frage (letztes Drittel d. 19. Jhdt.) o Ideengeschichtlich: Aufklärungszeitalter durch Rückschrittlichkeit (s. Biedermeier) abgelöst o sexuelle Prüderie (s. Viktorianismus) – v.a. Erziehung der Mädchen  heftig widersprochen durch Peter Gey (?) – private Subkultur o Gender Issues im 19. Jhdt: Dichotomisierung der Geschlechtercharaktere  männliche Arbeitsplätze nach außen verlegt, bürgerliche Frauen zu Hause  Zweiteilung von Lebens- und Arbeitswelt (vgl. Frau vs. Mann) o isogyne (?) Schriften o 1848: niedergeschlagene Revolution, Franz Joseph tritt Regierung an  daran anschließend: Realismus  Wirklichkeit soll dargestellt werden, ABER versöhnt mit dem Ideal  poetischer Realismus: Adalbert Stifter o 1867: ab hier Österreich-Ungarn (Ungarn als eigene Reichshälfte)  Idealismus o Deutsch-Französischer-Krieg  Deutsches Reich ab 1871 (Reichseinigung)  danach: enormer Wirtschaftsaufschwung = Gründerjahr  ähnlich in Österreich: „Ringstraßenzeit“ o Geldzufluss -> Repräsentationsbauten: historische Stile (nicht zeitgenössisch), z.B. Parlament: gr. Tempel, Rathaus: ??, Oper+Museen+Uni+Burgtheater: Neorenaissance (Ferstl)

- soziale Realität: o große Zuwanderung in Wien (um 1900 ca. 2 Mio. EW) v.a. um Arbeitskräfte für neue Fabriken zu finden  lebten in Elend (v.a. Simmering, Meidling), Massenquartiere  Kinderarbeit  2,2 Mio. Arbeiter in Österreich  Lohn am Existenzminimum  16-h-Tag bis Jahrhundertmitte (1848: 10-h, 1885: Sonntagsruhe, ab 1887: Krankenversicherung) – 1. WK hat soziale Errungenschaften zurückgedrängt o Parteifindung:  Sozialdemokraten  Victor Adler  Deutschnationale  Georg Ritter von Schönerer  Christlich Soziale Partei  Karl Lueger

- Deutschland: 3

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o Wilhelm II. um 1880 erste Frauenbewegung o Rosa Mayreder, Frauenrechtlerin (bürgerliche Frauen -> Bildungsfragen) o bürgerliche und proletarische Bewegungen o Adelheid Popp, soz.dem. Frauenbewegung o Frauen hatten noch kein Wahlrecht (keine politischen Subjekte) – erst 1919 in Österreich

- IMPRESSIONISMUS o Claude Monet: Impression. Soleil levant, 1872 (von diesem Gemälde hat die Epoche ihren Namen)

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o Hochkultur in Österreich: Gründerzeitkultur  Hans Makart, Einzug Kaiser Karls V. in Antwerpen, 1875 o Kontrast von Ringstraßenkultur zur eigentlichen Moderne (um 1880) NATURALISMUS o Elend, Fabrik, etc. dringen erst langsam in die Künste ein, auch Literatur (sind noch vorliterarische Objekte)  erste Darstellung einer Fabrik: Adolph von Menzel, Eisenwalzwerk, 1875 (zuvor: nicht ästhetisch genug)  Gerhart Hauptmann (1862-1946)  Schwerpunkt in Berlin – keine lange Epoche, um 1900 abgelöst

- IMPRESSIONISMUS / Fin de siècle-Literatur o Zentrum Wien o Übergang zum Jugendstil (Alltagskultur rückt ins Zentrum)  Möbel  Belgien: Victor Horta  floraler Stil, Arabesken o Entwicklung der Alltagskultur

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EXPRESSIONISMUS o o o o o o o o

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 erste elektrische Straßenbahn in Wien 1897  ab 1881 erste Telefonanlagen  Schreibmaschine ab 80er  Beleuchtung (zuerst Straße, dann auch Privathäuser)  in Wien vollständig elektrifiziertes Gebäude: Burgtheater  erste öffentliche Telefonzelle: vor der Börse Arthur Schnitzler (1862-1931) Egon Schiele, z.B. Selbstbildnis 1911 avantgardistische literarische Richtung Pablo Picasso: Kubismus (z.B. Klarinette und Violine, 1912) Ungleichzeitigkeiten! (Monarchie vs. Avantgarde) widmet sich auch Desillusionierung durch 1. WK befragt Existenz des Menschen Franz Kafka (1883-1924) – kann aber nicht vollständig hier dazugezählt werden Spätexpressionismus in Zwischenkriegszeit, gleichzeitig Surrealismus mit Salvador Dalí  Surrealismus in Verbindung mit Freuds Psychoanalyse

1. Weltkrieg o Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand 1914, Sarajewo (20 Mio. Tote bei 1. WK) o erste Gas- und Bombenangriffe in diesem Krieg (technische Innovationen) o Flüge: ab 1904, getestet schon ab 1880, im 1. WK als „Mordwerkzeug“ o „Enttäuschung“ an der Technik / Skepsis wird demgegenüber entwickelt Monarchien zerbrechen 1918 o Deutschland: Weimarer Republik 4

o o

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Österreich: Erste Republik politische Polarisierung  unüberwindliche „Diskrepanzen“  Sozialdemokraten u. Kommunisten – links  rechts – nationalistisch, patriotisch erster Hitlerputsch in München 1923 o Programmschrift „Mein Kampf“ 1923/24 Hyperinflation, Wirtschaftskrise 1923 o Destabilisierung o hat rechten Gruppierungen zugearbeitet

NEUE SACHLICHKEIT o

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Ödön von Horváth, 1901-1938  zur Emigration gezwungen 1933 Machtübernahem der NSDAP, Reichsparteitag o Gleichschaltung: abstammungsmäßig oder politisch unerwünschte Autoren erhielten Arbeitsverbot, zur Emigration gezwungen oder ins KZ o Ahnennachweis /-pass (Nachweis für „Arier“) o Lanzinger, der Bahnenträger o Anna Seghers (1900-1983)

o Literatur  

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„Blut- und Bodenliteratur“:„angepasste“ Autoren, Verherrlichungen innere Emigration: Veröffentlichung möglich durch „undurchsichtige“ Botschaften  äußere Emigration  1933 Welle nach Österreich  nach dem Anschluss 1938 weitere Emigrationswellen nach Südamerika, USA, Russland, China und andere  Anna Seghers: über Paris nach Mexiko Holocaust: 6 Mio. Opfer Krieg: 55 Mio. Tote viele deutsche Städte zerstört, z.B. Dresden

nach 1945 o o o o o

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angeblicher Neubeginn in der Literatur: „Stunde 0“ (Terminus umstritten) viele Emigranten nicht mehr zurückgekehrt Vorstellungen der inneren Emigration wurden nicht bewahrheitet Autoren, die im Ständestaat und in der Diktatur erfolgreich waren, waren das häufig auch noch in den 50ern und 60ern 1949:  Besatzungszonen in Deutschland zu 2 deutschen Staaten (BRD und DDR)  dadurch: in den folgenden 4 Jahrzehnten 4 unterschiedliche Literaturen o Bundesrepublik o DDR  starker Einfluss der Parteien auf Verlage, Verhandlung literarischer Anliegen bei Parteitagen (?)  Autoren sollten ermutigt werden, aufs Land zu gehen, in die Fabriken zu schauen, etc. o Österreich o Schweiz internationale Kunst: abstrakter Expressionismus (z.B. Jackson Pollock) Österreich:  Besatzung zieht nach 10 Jahren ab  Staatsvertrag 1955 5



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„Opferthese“ – starke Kritik in den 80ern  Darstellung hat dazu geführt, dass „Vergangenheitsbewältigung“ erst mit großem Abstand eingesetzt hat (öffentliche Diskussion über Kriegsschuld, Mittäterschaft, etc.) o Umorientierung danach:  2 Alliierte Staaten stehen einander gegenüber: Feinde politisch und wirtschaftlich: USA und UdSSR  Kalter Krieg (kein Ausbruch eines realen Kriegs) NACHKRIEGSLITERATUR: o Max Frisch (1911-1991) 1961: Bau der Berliner Mauer o starke Flucht aus DDR o Zonengrenze durch ganz Deutschland o „Bruderkrieg“: Schüsse auf Republikflüchtlinge (ca. 200 Tote in diesen Jahren)

60er: o Heinrich Böll (1917-1985) o Andy Warhol (internationale Kunst, Ikonen) Vietnamkrieg (1965-1975) o Giftgas, Bomben o Bürgerrechtsbewegungen in den USA  v.a. Politisierung der Studenten  „schwappt“ auf Europa über (Westen)  Protest gegen Elterngeneration, Verknöcherter Literatur / Kultur der 50er und 60er  Ideale: Selbstverwaltung, usw. o 1968: Einmarsch der UdSSR in die Tschechoslowakei

70er: o

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Differenzierung  DDR-Kunst: naturalistische Ideale (Bsp:)  Westen: Objektkunst (z.B. Daniel Spoerri: Brotteigobjekt 1927) Österreich:  Alleinregierung unter Kreizky  Grazer Autorenversammlung  Interessensgemeinschaft Österreichischer Autoren (1972) Gegenüberstellung von versch. Richtungen:  sozialkritische Literatur (Böll, Grass)  neue Subjektivität (Peter Handke)  viele Texte zu Väter- und Mütterbeziehungen 1977: „Deutscher Herbst“  Studentenrevolution kein einheitlicher Phänomen, viele polit. Splittergruppen („befeindet“) – Radikalisierung: Rote Armee Fraktion (RAF):  Serie von Attentaten auf Funktionäre der Politik

o „Zweite Frauenbewegung“ 

 

politisches Verfahren (1. Bewegung durch 1. WK abgebrochen)  gleiche Rechte, Selbstbestimmung über eigenen Körper, Abtreibungsfrage, Recht auf Beruf (bisher: Einverständnis des Ehemanns), Erziehung der Kinder Vertreterin: Elfriede Jelinek (*1946) – die Liebhaberinnen bildende Kunst: Rosemarie Trockel, Schizo-Pullover (1988)  Postmoderne o z.B. Hundertwasserhaus 1985 6

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80er: o o o o o

o o o o

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Politisierung der Autoren 1986: Affäre Waldheim  erste internationale Isolierung Österreichs intensive Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der Literatur Christoph Ransmayr (*1954) 1989: Fall der Berliner Mauer  Zusammenbruch der DDR  Wiedervereinigung Deutschlands 1990 (Begriff umstritten: eher Anschluss von DDR an West-Deutschland) Ingo Schulze (*1962)  Roman zur politischen Wende Kunst: Martin Kippenberger: zuerst die Füße  Symbole wurden respektlos gemischt, Blasphemie „Popliteratur“ Consumer-Generation: Ausrichtung an Konsumgütern, von denen sie ständig umgeben sind  kulturgeschichtlich und kulturpessimistische Diskussion „Neues Erzählen“  Ernst Jandl  Wiener Gruppe

90er: o o

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kein Originalitätsbegriff, sondern geht davon aus, dass man bisherige Kultur nur „covern“ kann Eklektizismus

Medienwechsel Digitalisierung der Alltagskultur  Beschleunigung der Kommunikation und Wahrnehmung  Kommunikation in Echtzeit und global „Globalisierung“  Globalisierungsgewinner: Industriestaaten der 1. Welt  Globalisierungsverlierer: v.a. Staaten der Dritten Welt  1% der Haushalte in Uganda elektrifiziert „New Economy“  Wirtschaftsliberalismus  Kapitalismus hat keine Bremse durch entgegengesetztes System – TurboKapitalismus (Wirtschaftsauf- und –abschwünge: Krisen) Kathrin Röggla „wir schlafen nicht“

ab 2000: o

11.9.2001  internationale Umgruppierung des Kräfteverhältnisses: „Neue Fronten“  Annahme, dass es Gegensatz zwischen fundamental-islamistischen und kapitalistischen, westlichen Staaten

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12.3.2013

NATURALISMUS 



Realismus 1850-1880 o Wirklichkeit nicht (!) 1:1 abgebildet o poetischer Realismus: wirklichkeitsgetreue Darstellung verbunden mit ästhetischem Ideal o Synthese zwischen Realität und Ideal o Autoren: Gottfried Keller, Theodor Storm, Theodor Fontane  durch jüngere Generation bedroht gefühlt o programmatischer Realismus:  publizistisch: Rückzugsgefecht  Reaktion: Skepsis  z.B. Votum (?) gegen Emile Zola, Polemik 1886  habe Beobachtung der Realität zur Aufgabe des Romans gemacht, zu sehr jedoch Bar und Bordell, Verkommenheit, sozial untere Sphären, Sündhaftigkeit  Realisten: das ist nicht die ganze Wirklichkeit, es gibt auch etwas „Schönes“ o Polemik gegen neue Generationen o zuerst kritisiert: französischer Naturalismus  Emile Zola, Gustave Flaubert Naturalismus von älteren Zeitgenossen Realisten genannt, Bezeichnung hat sich verschoben

 Programm: o

o

Emile Zola:  1880: naturalistisches Programm (Le Roman experimental)  der Roman ist ein quasi naturwissenschaftliches Experiment  Figuren: Versuchsanordnung, beim Agieren vom Romancier beobachtet (häufiger Vorwurf an Flaubert: mitleidsloser Umgang mit seinen Figuren)  soziologisches + psychologisches zeitgenössisches Wissen zur Plausibilisierung der Figuren  Mensch erscheint als deterministisches Triebwesen, ohne Entscheidungsfreiheit, in seiner Physis/Milieu verhaftet, alles ist davon vorherbestimmt  naturalistische Themen der Fabriksarbeit, Arbeiterelend, Prostitution Henrik Ibsen  Familien- und Gesellschaftsdramen  Zerstörung der scheinbar guten Fassade  Lebenslüge der Figuren (markantes Thema)  „Nora oder ein Puppenheim“ (1881) und „Gespenster“  Aufdeckung doppelmoralischen Verhaltens  Nora: frühes Emanziaptionsstück (verlässt Familie -> war damals Skandal)

 weltanschauliche und naturwissenschaftliche Strömungen o

naturwissenschaftliches Wissen scheint in Texten durch 8

o

o

ausschlaggebend: Prinzip des Positivismus  philosophisch-wissenschaftstheoretische Richtung  jedes Wissen beruht nur auf authentischer Sinneswahrnehmung beruht  metaphysische Spekulationen werden abgelehnt  ausschlaggebend ist bloße Empirie: Überprüfung von tatsächlich faktisch Vorhandenem  Experiment + Beobachtung (Taine) auf Kunsttheorie übertragen – Philosophie de l’art  drei Faktoren, die eine Person bestimmen o Rasse (bestimmte Ethische Gruppe) o Milieu (Umgebung) o Augenblick (zeitgeschichtlicher Kontext)  Milieutheorie (vor allem dieser Faktor ist rezipiert worden)  jeder Mensch von Anlagen, klimatischen Bedingungen, Gruppe und sozialen Faktoren bestimmt  Theorie geht in Figurenkonzeption ein Evolutionstheorie von Darwin (The Origin of Species 1859)  britischer Naturforscher  Eigenschaften werden vererbt an nächste Generation  winzige Teilchen im Körper zirkulierend, in Geschlechtsorganen versammelt und dann weitergegeben (=Pangenese) – Voraussetzung für Evolutionstheorie  Mutationen der Teilchen: manche sind besser angepasst und überleben deshalb  nicht das Stärkere setzt sich durch, sondern jener Organismus, der durch Mutationen besser an seine Umwelt angepasst ist  Stammbaum für Entwicklung der Arten (siehe Folie, Illustration)  neue Arten nicht durch Vererbung sondern durch Mutationssprünge  auch komplexe sprachgeschichtliche Entwicklungen werden anhand eines Stammbaumes dargestellt

 Naturalisten: o o o

o

Intentionen geben sie selbst programmatisch kund (Realisten haben das nicht gemacht, Impressionismus nach Naturalismus machen es ebenfalls nicht) Institutionalisierung in Vereinen und Zeitschriften Devise „Natur = Kunst – x“  formuliert von Arno Holzund Johannes Schlaf  Programmschrift: Die Kunst. ihr Wesen und ihre Gesetze  Formel an Emile Zola angelehnt  „x“ = Individuelles des Autors, „Natur“ = Realität, faktisch Gegebenes  das Individuelle muss so klein wie möglich gehalten werden, weshalb die Zusammenarbeit von Autoren gut möglich ist  X soll nur als Protokollant des Wirklichen fungieren Künstlerpartnerschaft durch Holz und Schlaf  Autor ist auch Experimentator, der auch im Team arbeiten kann  Papa Hamlet (1889) 9





Techniken: 

   



verarmte Schauspielerfamilie, leben im Elend, Vater erwürgt 3-jährigen Sohn, stirbt betrunken im Schnee Sekundenstil (alles soll naturgetreu, mit fotographischer Genauigkeit dargestellt werden) o Foto (Naturalisten) vs. Gemälde (Realismus)  Zufälligkeit des Moments wird im Realismus weggelassen, was aber bei den Naturalisten elementar ist o damals schon Massenproduktion von Kameras (1880er – Zeit des Aufstiegs des Naturalismus): erste Firma war Kodak phonographische Wiedergabe von Geräuschen Dialekt, ungrammatische Sprache Gebrauch der Interpunktion (akustische Natur) schriftstellerische Arbeit ist angelehnt an die der Technik: Fotoapparat, Phonograph o Phonograph von Thomas Alva Edison, 1878

Techniken im Drama:  



z.B. „Die Familie Selicke“ (1890) – Holz, Schlaf o Alkoholismus, Tod eines Kindes Dialekt auf der Bühne o in der Komödie gibt’s Dialekt schon lange, jedoch nicht in der Tragödie nonverbaler Ausdruck o klassisches Drama: Figuren regieren mit Vernunft den Körper, statisch Gedacht (z.B. Maria Stuart von Schiller, Gegenüberstehen von Maria und Elisabeth: dazu gibt es keine Regieanweisungen, es gibt nur eine rhetorische Aktion) o naturalistisches Drama: Semantisierung von Bühnencodes verlagert sich von Sprache auf Körper (z.B. stammeln, stottern, herumtaumeln, tanzen, Umarmungen, usw. o Leid der Figuren zeichnet sich dadurch ab, gequälte physische Person, z.B. durch stammeln

 Institutionalisierung: o

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Verein „Durch!“ (1886; Eugen Wolff: „Moderne“, „Jüngstes Deutschland“ an Anknüpfung Junges Deutschland)  bewusst eine Avantgarde darstellen  Begriff „Naturalismus“ stammt von Emile Zola Theaterverein Frei Bühne / Berlin (1889; Otto Brahm)  allgemein: strenge Zensuren, v.a. bei Dramen: öffentliche Veranstaltungen, Furcht vor revolutionärem Agieren des Publikums – Dramen der Naturalisten hätten keine Chance gehabt, deshalb:  Gründung von privaten Bühnenvereinen (Mitglieder mit geringem Beitrag)  Otto Brahm: Regisseur 10



 Gerhart Hauptmann, Schlaf+Holz zur Aufführung gebracht o Zeitschriften:  Freie Bühne für Modernes Leben (1890-94) – gehörte zur Freien Bühne Berlin  Heinrich u. Julius Hart: Kritische Waffengänge (1882-84)  theoretische Begründung des Naturalismus  Michael Georg Conrad: Die Gesellschaft (1885-1902) – München o Verlag S. Fischer  hat Gerhart Hauptmann zum Durchbruch verholfen  hat Zeitschrift der Freien Bühne übernommen  Vorabdrucke  Naturalistenverlag  auch Hinzunahme von z.B. Arthur Schnitzler als „Hausautor“  Dispute gegen österreichische Impressionisten daraufhin Zentren: o Berlin o München (war immer „hinter“ Berlin)

 GERHART HAUPTMANN o in Niederschlesien geboren, Sohn eines Hotelbesitzers o schlechter Schüler o Bildhauerausbildung und Philosophiestudium abgebrochen o in 80er Jahren Kontakt mit Verein „Durch!“ o Dramen Die Weber und Vor Sonnenaufgang zum Druchbruch auf Freier Bühne o Phasen:  naturalistische Phase  Biberpelz (1893), Bahnwärter Thiel (1888) 

symbolistische Traumspiele





Hanneles Himmelfahrt (1894), Und Pippa tanzt! (1906) weltanschauungskritische Romane



 Der Narr in Christo Emanuel Quint (1910), Atlantis (1912) mythologische Dramen 

Atriden-Tetralogie (entst. 1940-1944) o 1912 Nobelpreis o im Dritten Reich durch Zensur kontrolliert, trotzdem als Symbolfigur fungiert o starb 1946 an einer Krankheit, beigesetzt auf Ostseeinsel

o VOR SONNENAUFGANG  5 Akte 

1. Akt: Figur von Alfred Loth (Volkswirtschaftler, neues Projekt einer Studie zur sozialen Lage der schlesischen Bergarbeiter), Hoffmann (hat Tochter des Bauern Krause geheiratet, der durch Kohlevorkommen auf seinem Grund reich geworden ist), Helene, neureiche zweite Frau des Bauern, Wilhelm Kahl o antagonistische Figurenkonstellation (verschiedene Weltanschauungen gegenüber) o Parodie eines Familienidylle 11



2. Akt: Ausbeutung des Gesindes, Elend der Bergarbeiter, Befreiungssüchte von Helen auf Loth projiziert, Alkoholiker



  





  

3. Akt: Loth akzeptiert nur Frau von geistiger und körperlicher Gesundheit, Streit, Liebesgeständnis von Helene an Loth  4. Akt: Geburt beginnt, Zukunftsplanung von Helene und Loth  5. Akt: darauffolgende Nacht, Geburt, Krausesche Familiengeschichte enthüllt durch Arzt an Loth, Totgeburt, Helene ersticht sich Zeitspanne: 1,5 Tage Akt 2 und Akt 5 spielen vor Sonnenaufgang Titel zitiert Kapitel aus „Also sprach Zarathustra“ (1883-85) von Friedrich Nietzsche, Kap. Vor Sonnen-Aufgang  verkehrt klassische 5 Akte des kanonischen Trauerspiels  Wechsel durch Schauplätze (Gutshof, im Haus)  zyklische Struktur: o 1. Akt: Auftritt Loths, 5. Akt: Verschwinden Loths  3. Akt als klassischer Höhepunkt (Streitgespräch zwischen Loth und Hoffmann, unerhört: Liebeserklärung einer Frau an einen Mann und physisches Zeichen eines Zusammenbruchs) Höhe- = Tiefpunkt (Vorausdeutung des Endes)  lebloser weiblicher Körper im 3. und 5. Akt ist deutliche Markierung o weibliches Opfer (klassisch!: für Nachdruck notwendig, besondere Idee oder Konzept); hier keine ideengeschichtliche Vorgabe, sondern Korruptheit und Verdorbenheit des Milieu  Konflikt zwischen Kapitalist und Sozialreformen ist nicht tragfähig genug für eine Konzeption wie im klassischen Drama! o kein antagonistisch ausgetragener Konflikt, sondern ZUSTAND (der Familie) Episierung des klassischen Dramas in „Theorie des modernen Dramas“ von Peter Szondi (1956)  entwickelter Konflikt im Dialog, zwischen den Figuren  Drama zeigt/erzählt bestimmte Zustände = Episierung o keine dramaturgisch herausragende Ereignisse, sondern diese werden erzählt (wie hier: nach und nach)  erzählerische Momente im Drama (siehe: „episches Drama“ bei Brecht – Begriff ist aber hier noch nicht in Verwendung) Determinismus: Figuren sind vorbestimmt, „ferngesteuert“ Drama kann sich nicht mehr zum Konflikt schürzen, deckt aber die Faktoren der Determinierung auf Themen:  Alkoholismus, Ehebruch, Tod des Kindes => wird alles nach und nach aufgedeckt, weshalb dies als „analytisches Drama“ bezeichnet werden o eigentlicher Konflikt liegt in der Vergangenheit 12

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Konzepte (naturalismustypisch) 



berühmtes analytisches Drama: „König Ödipus“ von Sophokles (Handlung ist Aufdeckungshandlung)

erbliche Belastung, Milieueinfluss o konzentriert sich in Figur der Helene  hat Sonderstellung, weil sie dem Milieu entzogen war (pietistisches Internat Herrenhut: Bibellektüre große Bedeutung) – Gegenmilieu zu Wittsdorf  höhere „Interessen“ entwickelt durch anderen Milieueinfluss  wird überlagert durch Vererbung (Loth geht von vererbtem Alkoholismus bei Helene aus) – Theorie: Vererbte Anlage, die sich realisieren kann oder auch nicht – wobei Loth von unausweichlicher Vererbung ausgeht  Bezug auf „Die Alkoholfrage“ (1887) von Gustav Bunge  Helenes Not ist nicht, dass sie von Determinismus bestimmt IST, sondern dass eine Figur gezeigt wird, die dogmatischen Glauben an die Vererbung (des Alkoholismus) glaubt !

naturalistische Strategien des Textes: 





Nebentext (Regieanweisungen): o sehr ausführlich (charakteristisch für Naturalismus; beim klassischen Drama bei Goethe und Schiller wird sehr wenig zu den Figuren und dem Schauplatz gesagt, was im Naturalismus ganz anders gehalten wird) o Bühnenbildskizzen (soziale Signale durch Bühnenbild und Requisiten) o expliziter Nebentext gibt soziale Signale o Figurencharakterisierung, z.B. bei Loth, Helene Haupttext o soziale, lokale und individuelle Charakterisierung  Soziolekte, Dialekte und Ideolekte  z.B. Hoffmann: zögernd, selbst unterbrechend; Hausmädchen von Frau Krause: leichtes Stöhnen beim Sprechen; Bauer Krause: Stereotypsätze; Wilhelm Kahl: einfache Syntax, restringierter Code  schlesische Mundart  ebenfalls so gehandhabt:  „Die Weber“ (1893) = umgeschrieben für Bühnenpräsentation / „De Waber“ (1891) = Mundartwerk, erste Fassung  Georg Büchner: „Woyzeck“ Bewusstsein und Emotion 13

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klassisches Drama: Figuren sind von Bewusstsein reagiert, beherrschen Körper (Ausnahmen bei Heinrich von Kleist – dadurch Kritik von Zeitgenossen) hier: Bewusstes setzt aus (s. Sucht- und Krankheitsausprägung) Sprache wird von Emotion „verstümmelt“, z.B. bei Helene (Liebesbekenntnis; Ausruf des Schocks bei Brief) oder auch unartikuliertes Sprechen, z.B. Miele am Ende des Dramas (Schreien)

Rezension:   





Eklat sogar bei fortschrittlichen Zuschauern auf der Freien Bühne (Geburtszange wurde auf Bühne geworfen) Arno Holz: bestes Drama überhaupt Theodor Fontane: gelobt wegen Konsequenz und Klarheit; allerdings große Bedenken wegen Bühnenrealisierung (im Buch: ja, auf der Bühne ist es allerdings zu viel) Conrad Alberti (München, Zeitschrift): „Theater wurde zur Mistgrube gemacht“ (naturalistischer Kollege!, stand selbst vor Gericht wegen eines Romans und dessen Rohheit), schrieb Parodie auf Gerhart Hauptmann heute interessant: Ausbeutung von Arbeitern und gleichzeitige Zerrüttung innerhalb der Familie

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9.4.2013

Fin de siècle der „impressionistische Mensch“ -

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Naturalismus: Sujet-Wahl des Hässlichen o danach: Ästhetizismus – zurückholen des Schönen Überschneidung mit Naturalismus + ältere Generation der Realisten (1895: Effi Briest von Theodor Fontane) Unterscheid zu nat. Autoren: o keine programmatische / theoretische Bekundungen in der Wiener Moderne o Selbstbewusstsein als Gruppe nicht im selben Ausmaß propagiert geographisches Zentrum: Wien o Wiener Autoren: „Jung-Wien“ (von außen zugesprochen worden) Verbindung mit anderen Kunstrichtungen: o Psychoanalyse o Musik o Malerei o Architektur

- Begriff Impressionismus: o

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mit zeitl. Verspätung von 20 Jahren aus Malerei übernommen – Claude Monet: Impression. Soleil levant (1873) o kunsthistorischer Begriff:  malerische Techniken bezeichnet (Pointilismus)  Wiedergabe von Sinneseindrücken (einzelne Nervenreize auf Sinnesorgane, erst im Gehirn zur kompakten Einheit geschlossen – einzelne Pinselstriche imitieren das Eintreffen der Nervenreize) o sprachliche Mittel o um 1890: Malerei ist schon weiter – dominante Stilrichtungen:  Symbolismus  Ideen und Konzepte werden in traumhafter Weise verschlüsselt  keine direkte allegorische Entzifferung der Bilder, keine konventionalisierte Bedeutung dieser Form von Bildern  Bsp. Fernand Khnopff: Die Sphinx oder die Kunst oder Die Zärtlichkeit  Jugendstil  florale Elemente auch in der Architektur  leitende Vorstellung: Verschmelzung von Kunst und Leben im Dekorativen  Kunsthandwerken (Möbel, Stoffe)  ..beide Richtungen tauchen auf in der Literatur auf  neuklassizistisch, symbolistisch literaturgeschichtlich dominant ist der Impressionismus! „Nervenkunst“, Nervosität als Zeitkrankheit vielfach diagnostiziert

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- Wien um 1900: o o

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epochentypische Erfahrungen in Figuren widergespiegelt durch Datum der Jahrhundertwende geprägt – großer Einfluss auf zeitgenössische Mentalität  Unsicherheit, etc.  Sehnsucht nach Genuss des Augenblicks + starke psychische Irritation  dialektisches Phänomen  Dekadenz ist hier ein problematischer Begriff, der hier nicht unbedingt zu verwenden ist sozialgeschichtliche Nervosität:  technische Erneuerungen, Digitalisierung  Modernisierungsschub, der sich im Alltag aller Menschen auswirkt  Lebensgewohnheiten werden verändert Phänomen der Beschleunigung  Neuerung durch Innovationen: Kommunikation, Wahrnehmung, Fortbewegung  1830er: starke technische Innovationsschübe, hat sich vor 1900 wiederholt  1830: Eisenbahn als neues Fortbewegungsmittel  1885: technische Innovation – Motorwagen (Karl Benz) Gaslicht in den Häusern ab 1880er elektrische Beleuchtung eingeführt (Stefansplatz, Graben, Burgtheater als erstes Gebäude), auch in Privathaushalten = die Nacht zum Tag machen (auch Straßenbeleuchtungen)  Vermittlung der Erfahrung der Plötzlichkeit  bei Gas: gewisses Dispositiv/Vorrichtung für Licht  im Moment (durch einen Schalter) wird aus Dunkelheit Licht  auch: Finsternis auf der Bühne als mögliche Neuerung ab 1837: Telegraph - Übermittlung dringender Nachrichten ab 1881: erste Ortsnetze mit elektromagnetischen Telefonnetze soziale Mobilität:  Trennung von Job und Haus  Einfluss auf das alltägliche Leben und die Familienstruktur  Etablierung der Kleinfamilie  nicht Dinge von Tradition (Möbel, Häuser), sondern alles wird neu kreiert (=Traditionsverlust)

o Modernisierungsschübe als Kontinuitätsbrüche  

Selbstwahrnehmung und Blick auf die Welt verändert von Literatur gespiegelt  1890er: Typus, der sich selbst als diskontinuierlich und sprunghaft versteht; Erfahrungen nicht mehr ordnen kann, Identität nicht mehr Substanz geben können = der impressionistische Mensch

- Hermann Bahr o

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Autor, Journalist, Publizist  mehrmals Studien abgebrochen, Frankreich, Berlin und Russland Aufenthalte  Ziel: europäische Moderne nach Wien importieren Programmatiker 16

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eigene Werke heute nur noch literaturgeschichtliche Dokumente Vermittlerrolle im Literaturbetrieb

o Essay „Die neue Psychologie“ (1890)  





Reaktion auf Naturalismus (als „Der Überwinder“ eingegangen) Naturalismus gebe sich primär mit äußeren Tatsachen zufrieden, aber nicht mit inneren Zuständen, aber die Menschen interessiert eher das Innere, darum muss sich die (literarische) Psychologie ändern, weil sich die Seelen auch ständig verändern neue Methode (neue literarische Psychologie) notwendig, weil man über Naturalismus hinaus und nicht hinter ihn zurück will – aus moderner Denkweise, die deterministisch, dekompositiv und dialektisch ist  deterministisch = Errungenschaften des Naturalismus dürfen nicht aufgegeben werden (Milieu und Vererbung bestimmt den Menschen)  dialektisch = Gefühle werden nicht einzeln behandelt, sondern in ihrer Relation, im Umschlag von einer Emotion zur anderen  dekompositiv = Zusätze, Nachschriften des Bewusstseins werden ausgeschieden und alles auf den Zustand vor des Bewussten reduziert, Anfänge in der Finsternis der Seele, Geschehen in den Nerven, nicht im Bewusstsein(wichtig: in dieser Zeit gab es die Psychoanalyse noch nicht, 1895 erste Veröffentlichung von Freud mit Entwicklung von psychoanalytischer Therapie; erste Theoriebildung von Freud zum Bewusstsein/Unbewussten um 1900!) – Vorgänge, die vor dem Bewusstsein liegen, sollen gezeigt werden sieht das literarische Ich als wichtig  Ich-Form kann der neuen Psychologie höchstens einer Notunterkunft gewähren (siehe Unbewusstes)  literarische Form, die dazu passt, kann er selbst nicht bestimmen – neue Methode ist allerdings zu finden (neue literarische Psychologie)

- Ernst Mach o

Beiträge zu einer Analyse der Empfindungen (1886)  Professor für Experimentelle Physik in Prag zur Zeit der Veröffentlichung (später Lehrstuhl für Philosophie)  Bereiche von Außen- und Innenwelt auflösen  Dualismus von Subjekt und Objekt – soll überbrückt werden o erkennendes Subjekt hat immer nur Sinneseindrücke; ein Objekt gibt es nicht, es gibt nur die optischen/taktilen/akustische Reize/Sinneseindrücke, nie ein Objekt selbst o dasselbe gilt für das Ich -> nicht das Ich ist das Eigentliche, sondern die Elemente (=Empfindungen)  kein Ich im Sinne eines kompakten, soliden Wesens, sondern nur ein Bündel von Sinneseindrücken (=nervöses Gewirbel von inkonstanten, psychischen Partikeln) – Text auf Folie! o als Philosophie des Impressionismus 17

- Sigmund Freud o

o o o o

Die Traumdeutung (1900)  im Frühjahr von 1900 wurde von Arthur Schnitzler gelesen (vor Leutnant Gustl)  jeder Traum ist Äußerung eines Wunsches  enthaltene Inhalte dürfen nicht an das Bewusstsein gelangen  unangenehme Inhalte ins Unbewusste geschoben, was sich im Traum manifestiert  z.B. Flugtraum -> sexueller Wunsch  Trauminhalte werden verschlüsselt  Verdichtung: Bedeutungskompression (Mischpersonen, verbotene Ausdrücke zu einem komprimiert  Verschiebung: Verbotene Gefühle werden von realen Personen auf ein Traumsymbol verschoben (z.B. Pferd -> verhasster Vater)  …Metonymie und Metapher sind damit kongruent o Mischperson: Metonymie (das Eine steht für das Andere) o Verschiebung: Metapher (Symbol für etwas Anderes)  Grundstein für „Ödipus-Komplex“ von Freud hier gelegt  ödipale Phase (zw. 3-5): Tendenz, Vater aus dem Weg räumen zu wollen, da sich die Libido auf die Mutter richtet Hypnoseexperimente  Interesse bei Schnitzler das Unbewusste gilt es zu erforschen ein zuvor Unterbewusstes gegeben, war nichts Neues Kausale Erklärung und System des Unbewussten sollte von ihm gegeben werden

ARTHUR SCHNITZLER -

psychoanalytisch kompatible Figuren! Faszination für Psychoanalyse Sohn eines Spitalleiters „Anatol“, „Sterben“, „Liebelei“, „Reigen“ Gesellschaftsstücke nach Kriegsende: Aufführung von „Reigen“ und „Professor Bernhardi“ „Traumnovelle (1926), „Fräulein Else“ (1924) von Nazis wurden Schriften auf Liste der vorbotenen Bpcher gesetzt

- Leutnant Gustl: o o o o o

eigentlich „Lieutenant Gustl“ französisches Vorbild: „Les lauriers sont coupés (1887) – Edouard Dujardin  Student, unglücklich verliebt, 6 Stunden Begleitung James Joyce: Ulysses (1922) – ebenfalls innerer Monolog zweiter Monolog von Schnitzler 1924: „Fräulein Else“ Innerer Monolog  Wiener Moderne wird von einer Person wahrgenommen, die nicht der Künstler ist  1. Person und Präsens 18



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mit erstem Satz Hinweis auf Beschleunigung (zeitgenössische Erfahrung) „Wie lang wird denn das noch dauern…“  scheinbar spricht Gustl – Eindruck soll erweckt werden  Leser bekommt Einblick in Kontrollmechanismen seiner Psyche und kann verfolgen, wie er an die Grenzen gerät  das Ich erzählt nicht wie in einem autobiographischen Roman, keine retrospektive Erzählweise, sondern Erzählung im Moment  Figur hält keine Ansprache an die Leser  nicht Denkvorgänge/Überlegungen werden artikuliert, sondern Unbewusstes/Vorbewusstes wird annähernd ausgedrückt o Vorurteile, Einstellungen, usw. werden gezeigt o paradox: unbewusste Vorgänge werden eigentlich nicht verbalisiert, jedoch muss das in der Literatur auf diese Weise geschehen, um dargestellt werden zu können o Bewusstes + Unbewusstes wird stringent (Forderung von Hermann Bahr nach neuer Psychologie wird erfüllt) wichtig: Militär  nach außen gelegte Identitätsstiftung (s. Uniform)  Ehrbegriffe  äußere Zugehörigkeit (Uniform)  gab Identitätsmodell  Abhebung von anderen durch Feindbilder:  Zivilist (Frieden), Gegner (Krieg)  für Mitglieder gab es Regelbücher, die das Verhalten bestimmten  minimaler Spielraum für individuelle Entscheidungen  Sicherheit der Identität von außen gewahrt Figur des Gustl:  Ich, das sich durch Institution des Militärs verdankt  identitätsstiftende Wirkungen versagen  Zerfall der alten Sicherheit setzt Aggressionen frei  homoerotische Neigungen, die er homophob abweist  nackt, gezogener Säbel als Phallussymbol  lebhaftes Interesse an Rivalen  somit werden unbewusste Vorgänge wirklich exponiert und teilen sich dem Leser mit  Typus, der halbes Jahrhundert nach Erscheinung beschrieben worden ist:  „autoritärer Charakter“ (Adorno, Fromm -> zur Erklärung des Entstehens solcher Ideologien in Deutschland) o Konventionalität, Autoritätsfixiertheit, autoritäre Aggression, Reflexionsfeindlichkeit, Identifikation mit der Macht (Macht anerkennen, sich einordnen), Projektivität („die anderen“ als „die Bösen“), Destruktivität (nichts Positives wird aufgebaut), u.a.  kein Charakter, sondern ein Typus o sowohl Subjekt als auch Objekt der autoritativen Macht 19

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 Typus an Schwelle des eigenen Bewusstseins charakterisiert Mitte Juli 1900 entstanden, am 25.12. in Weihnachtsbeilage der Neuen Freien Presse gedruckt Zeit- und Raumstruktur:  Zeit:  dichtes Netz von Zeitangaben (auf die Uhr sehen, Kirchenglocken, etc.)  von 21.45-7.00  zuerst Desorientierung nach dem Vorfall mit dem Bäcker und nach dem Schlafen  anaphorische Gliederung der Erzählstruktur o „Wie lang…“ (siehe Folie) – kommt sehr häufig vor o exakte Gliederung / narratives Kalkül  fällt aus Chronologie heraus: o Zeit dehnt sich, wenn ihm zu langweilig ist o Uhrzeit tritt für ihn außer Kraft o Symptom der Krise ist, dass Zeitgefühl verloren geht o verlässt sich auf militärischen Stundenplan (Zeitturbulenzen, die er erlebt hat, werden wieder gefestigt durch seine Identität als Militärangehöriger)  geographischer Raum:  Beginn im Musikvereinssaal (Oratorium „Paulus“ von Felix MedelssohnBartholdy), läuft Ring entlang, überquert Donaukanal, auf Praterstraße/Praterstern bis in den Prater, Rückweg durch Innenstadt in den 8. Bezirk, wo sich die Kaserne befindet  Prater galt damals als gefährlich o Park = unheimlich, unzivilisiert (s. Prostitution) o = Abbild des Unbewussten  geht danach an Gebäuden/Denkmalen vorbei, die Sicherheit zurückgeben = gesellschaftliche Autoritäten seiner Zeit (Denkmal von Tegethoff, Stephansdom, Burghof (Diktat für Kaiser und Vaterland)) o Kirche und Burghof sind Topoi, symbolisch aufgeladen, Ort von Autoritäten -> Gustl richtet sich daran auf  zuerst unstrukturierte Natur -> dann „wichtige“ Orte, die ihm wieder Halt geben

o Gustl - Monologstrategie: 

innerer Monolog organisiert Desorganisation der Inhalte werden  zum Vorschein gebracht: o Einstellung, Haltung, etc. ist kein Urteil, sondern Vorurteil o geprägt von Überzeugungen seines Standes (Leutnant = unterste Offizierskategorie) – Abwehr des Anderen/des Fremden  gerichtet an die Frauen und die Juden  Frauen: o Verdinglichung der Partnerin o Ökonomisierung der Liebe o Liebe = Markt, Mädchen = Ware 20

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o o o 



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Typus des süßen Mädels darf nicht romantisiert werden -> Zweckallianzen, brauchen reichen Liebhaber, um zurechtzukommen Liebesobjekt -> inflationärer Entwertungsprozess nicht aggressiv Durchkapitalisierung der Liebe (bequem, keine Unannehmlichkeiten bei „Affäre“ -> Steffi)

Juden: o Komponist des Oratoriums war selbst Jude o Abwehrhaltung (im Musikverein, beim Militär) Kollegen beim Militär: o positiv besetzt o Vorbilder in Tapferkeit und Männlichkeit (die über ihm Geordneten)

Rezeption:  Kritik am Staat:  auch schon im Liebelei: autoritäre Institutionen werden kritisiert (z.B. Duell) o Kleinbürger sind nicht satisfaktionsfähig  prekäres Problem: „Ehrennotwehr“  in Gegensatz zum Ehrenkodex gesetzt  1896: Leutnant wurde von Techniker beleidigt, dieser war nicht satisfaktionsfähig und der Leutnant erstach den Mann  im Reichstag diskutiert: o eigenes Recht für Offiziere?  wunder Punkt:  wo Duell abgelöst wird vom Schlagen eines Unterlegenen – kann Gustl nicht, weshalb er sich umbringen will  Schnitzler war 1 Jahr lang Freiwilliger beim Militär  3 Tage nach Erscheinen wurde Schnitzler attackiert in Zeitschrift „Reichswehr“  Jänner 1901 vom Militär gerufen, hinzukommen, Schnitzler kam jedoch nicht hin  „Novell setze das Ansehen der k.k. Armee herab“  „Verteidigung der Armee gegen Schundschrift eines Juden“

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EXPRESSIONISMUS - Begriff: o o o o o o

Stilbegriff aus Kunstgeschischte 1901 Ausstellung mit dem Namen in Paris ab 1911 auch im Deutschen verwendet (Braques (?), Picasso) übertragen auf Wr Autorengruppe ab 1915: Begriff für jüngste literarische Bestrebungen – waren noch nicht so bekannt aus Retrospektive wird Avantgarde als die dominante literarische Richtung gewürdigt (war zu der Zeit noch nicht so)

- Beginn: o o o

o o

o

markiert Hoddis Gedicht „Weltende“ zentrales weltgeschichtliches Ereignis ist 1. WK expressionistische Bewegung etabliert sich 1911 bis 1914, Kriegsjarhe selbst sind mittlere Phase  zuerst stürmische Kriegsbegeiesterung, danach Ernüchterung  Fanatismus wandeln sich in Pazifismus  Technikbegeisterung weicht einer enormen Skepsis (Erfindungen und damit verbundene mögliche Zerstörung z.B. im Krieg) Zusammenbruch des Monarchie und Wilhelmismus in Deutschland 20er: Breitenwirkung und Selbstkritik dieser Strömung  neue Strömung:  Dada ab 1916 (sprachliche Strukturen zerstören), Vorläufer der experimentellen Poesie (Wiener Gruppe)  Surrealismus ab 1919 Begleitung der Bildenden Kunst:  Der Schrei, Edvard Munch (1893)  Fauvismus  Henri Matisse, der Tanz (1910)  wichtig ist Ausdruckswert der Farbe  „Die Brücke“ (Künstlervereinigung)  „Der Blaue Reiter“ (1911 gegründet) – wichtigste Künstlervereinigung  Franz Mark, Kandinski  Intention gegen verbürgerlichte Kunst, bringt neue Sehweisen  Kokoschka  Themen:  apokalyptische Sujets auch schon vor Kriegsausbruch (auch in Literatur, wie im Gedicht von Hoddis) o vieles dem Krieg vorweggenommen o danach entsprechende piktoriale Dokumentationen

- Programmatik und Institutionen o o

wichtig: unmittelbarer menschlicher Ausdrucks Sujets des Naturalismus (Elend, Krankheit, Hässlichkeit)  als unmittelbare Vision, nicht punktgenaue Darstellung (nackten Tatsachen) 22

o

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o

 keine persönliche Tragödien bürgerlichen und kapitalistischen Denkens  keine fotographische Abbildung Zeitschriftengründungen:  „Der Sturm“ (die wichtigste) – Walden  neue Richtung eine Infrastruktur gegeben  „Die Aktion“ Verlage:  Kurt Wolff Verlag  Kafkas Verleger in Leipzig  Buchreiche „Der jüngste Tag“ o Expressionistische Autoren sind hier untergekommen o apokalyptischer Aspekt und Verweis auf jüngste Generation „Menschheitsdämmerung“ (1919) - Sammelwerk  vorläufige Bilanz  Verweis auf Nietzsches Götzendämmerung und Wagners Götterdämmerung  zentrale Merkmale des Expressionismus: Sturz und Schrei, Erweckung des Herzens, Aufruhr und Empörung, Liebe und Mensch

- Gattungen o

o

radikaler Kulturpessimismus und utopischer Vitalismus  a) das Alte muss gestürzt werden, damit etwas Neues kommen kann (hat zur Kriegsbegeisterung beigetragen)  Bezug auf vorzivilisatorische Kulturen (unentfremdetes Dasein)  politische Utopien der Verbrüderung Stilpathos, das versucht, alte rhetorische Techniken zu verwerfen  Übertreibung, Antithese, Exclamatio, Imperativ  Satzordnung wird verworfen  Ausdruck „Oh Mensch“-Pathos -> Anlehnung an Werfels Gedicht „An den Leser“  keine konkreten Personen als Protagonisten, sondern Stellvertreter für die Menschheit o auch bei Drama „Gas“ haben die Personen keine Namen, sondern nur Funktionsbezeichnungen

o DRAMA:  

 

Musik, Tanz, Licht sind wichtig in expr. Bühnengestaltung Stationendrama (Episoden aneinandergekettet)  keine geschlossene Tragödie von Schicksalen, sondern als Passage moderner Existenz Grausamkeit ersten Dramenkonnten nur privat aufgeführt worden (wie Naturalismus)

o EPIK:    

durchbrochene antipsychologisch setzt auf Irrationalität von Traum und Irrsinn (s. Verbreitung Psychoanalyse) Handlungen der Figuren nur von außen betrachtet (s. Analogie Stummfilm, z.B. von Fritz Lang) 23



Franz Kafka „Das Urteil“ Kafka: o o o o o o o o o o o o

o

1883 – 1924 jüdischer Herkunft zu 10% der deutschsprachigen Bevölkerung Prags 1901-1906 studierte er Jura in Prag, schloss mit Dissertation ab Versicherungsbeamter bei Arbeiter-Unfall-Beratung 1917: Tuberculose und vorzeitige Pensionierung Bindungs- und Versagensängste mit „Das Urteil“ gelang sein Durchbruch zu Lebzeiten nur Romanfragmente veröffentlicht und Erzählungen Max Brod veröffentlichte (trotz Kafkas Verbot) Werke nach Kafkas Tod „kafkaesk“ = Darstellung von undurchschaubarer Wirklichkeit Werk sprengt Epocheneinordnung („Das Urteil“: Expressionismus, nächste Epoche: Lapidarstil) – kein expressionistischer Pathetiker wichtig: „Widerstand gegen die Väter“    



Urbild des Patriarchen Franz Josef und Wilhelm II. in Deutschland Aggressionen überdauerten 1. WK – Ausdruck in vielen Texten scheitert, führt nicht zu „Vater-Tötung“ (Freud) Walter Hasenclever „Der Sohn“ (1913/14)  erstes erfolgreiches expressionistisches Drama  5. Akt: Höhepunkt mit Tod des Vaters (Herzanfall, nicht durch Sohn) Franz Werfel „Nicht der Mörder, der Ermordete ist

schuldig“   

  

Vater ist General, Vorabend des 1. WK Sohn ist Anarchist Mordversuch an Vater scheitert, substituiert durch Mord an Budenbesitzer  Arnolt Bronnen „Vatermord“ (1920)  Schüler im Aufstand gegen kleinbürgerlichen Vater  ödipaler Ausgang: Familientyrann getötet nach orgiastischer Vereinigung der Mutter  Sprache stammelnd und ekstatisch Vater nicht als Autorität, sondern erscheint unreinlich, befleckt o Schreckensbild keine Verbindung mehr mit Ästhetizismus umgekehrtes Ödipusmodell (Sohn stirbt) 24



Text endet mit Tod des Sohnes, der aus rätselhaften Gründen vom Vater zum Tod verurteilt worden ist



ödipales Drama: o o

o

o



Die Unerklärlichkeit des „Urteils“ werden gelesen, als wären sie Träume, die auch Entschlüsselung bedürfen Kafka: „Gedanken an Freud natürlich“ – Kenntnisse der Psychoanalyse in den Text „Das Urteil“ – Ödipuskomplex wird hier dargestellt (Todeswünsche gegen Vater)  Problem: Mutterfigur fehlt, Verlobte als Muttersurrigat Schuldbewusstsein geht mit Wunsch bestraft zu werden einher (psychoanalytische Lektüre)  rätselhafte Momente plausibilisiert: Tiefengrammatik des Wunsches, Chiffrierungen (Verkleidungen im Text) sind Zensur des Wunsches Ödipusdilemma vertrat ganze Generation für Kafka (Konflikt mit partriachaler Autorität)  Zusammenfall mit weltgeschichtlichem Ereignis  Krieg: Söhne wurden in den Tod geschickt  reale und symbolische Väter

„Brief an den Vater“ o o o o



 

 



halbfiktives Dokument schreibt aus persönlicher Situation, ästhetische Gestaltung Angst vor dem Vater, Furcht vor Auseinandersetzung Ausweg des Sohnes: Unterbrechung der Generationenkette und entmachtet so den Patriarchen Unmittelbarer Sitz in seinem Leben haben diese beiden Werke o Prozess gegen sich selbst -> Beziehung mit Felice Bauer nach Ver- und Entlobung gelöst erschienen im Jahrbuch „Arkadia“ 1913 und bei Kurt Wolff in Leipzig 1916 hat seinen Text selbst für unerklärlich gehalten o Brief an Felice Bauer begründet o scheint als wäre es nicht an ihm selbst gelegen, den Sinn aus dem Text herauszubekommen o „Entbindung“ eines Textes – Produktionsmetaphorik (gibt es seit der Antike), Kafka bedient sich dessen führt Ende eines Sinnes in der Literatur vor Erzählung lässt sich nicht mehr erklären, hermeneutische Anstrengungen – kaum überblickbare Sekundärliteratur o 10 Modellanalysen nach methodischen Richtungen das Rätselhafte: o warum Vater Urteil fällt und Sohn es vollzieht o welche Rolle spielt entfernter Freund und in welchem Verhältnis steht der Vater dazu? welche Funktion die tote Mutter und die nur erwähnte Verlobte? 25



Deutungen: o metaphysisch    



in älterer Kafka-Forschung geht es oft um Dimension der Schuld Schuld als der Todeswunsch  Strafe mit alttestamentarischer Wucht Erbsünde? existenzielle Sünde Repräsentant des modernen Menschen schlechthin, nicht durchschaubarer Schulzusammenhang, dem er erliegt Möglichkeit, individuelles Tun zu entscheiden?  theologisch / atheistisch gedeutet

o sozial- und familiengeschichtlich  



v.a. in 70er und 80er Jahre Machtkonstellationen autoritärer Herrschaftsverhältnisse  Vater = Gesetzgeber (staatliche Macht)  Sohn = Individuum (Bürger)  im Privaten (Vater ist Agent der gesellschafltichen Normen)  Normen werden Sohn internalisiert, Aggression werden nicht nach außen sondern gegen sich selbst gerichtet (Suizid) Rahmenbedingungen: sprachliche + religiöse Minderheit, Bürgertum (-> Kafka selbst)

o dekonstuktivistisch 

 

keine Plausibilisierungen, sondern kreisen um das Unerklärbare des Textes, z.B. um rätselhafte Figur des Freundes  gibt es ihn? ist er ein Freund?  Freund als exemplarisches Zeichen, dessen Sinn nicht festgesetzt werden kann, sondern im Verweisungsspiel und Aufschub des Sinns besteht Freund als Dekonstruktion – er wird Freund genannt, aber Freundschaftsdienst gibt es nicht Frage nach Unerklärlichkeit des Zeichens

o LYRIK:   



Hauptkategorie ungeregelte Formen neben einheitlichen Mitteln – Kombination lyrischer Ästhetizismus wird aufgebrochen: gegen traditionelle Stimmungslyrik  z.B. Gottfrieds Benn „Morg?“-Gedichte o Kranke und Leichen sind die Protagonisten einfache Parataxe dominant -> führt zum Reihenstil 26



Gedicht von Jakob van Hoddis „Weltende“ (1913)  



  



gehalten für Antizipation des Weltkriegs Person: o Hans Davidson (van Hoddis ist Anagramm) o Schizophrenie, Heilanstalten o polnisches Vernichtungslager durch Nazis Erstdruck 1911 in Zeitschrift „Der Demokrat“ o zu der Zeit hat Gesellschaftsdrama von Schnitzler „Das weite Land“ Uraufführung Kultgedicht für junge Zeitgenossen an Spitze gestellt in Antologie „Menschheitsdämmerung“ Form: o 2 4-zeilige Strophen im 4-hebigen Jambus o erste Strophe:  abba  betonte Silbenendung o zweite Strophe:  abab  unbetonte Silbenendung o jede Zeile eigener Sachverhalt (Sinngrenze mit Versgrenze, aber nicht zwischen 5 und 6) Inhalt: o 1. Zeile: programmatische Richtung gegen den Bürger  fliegt der Hut weg, lange Symbol  Sturm: symbolthematisch und weltanschaulich  nicht Hut ist spitz, sondern Kopf = „Schlauberger“, Gendarme, Philosoph, Protestant, Teufel o 2. Zeile: parodistischer Nachklang von Goethe  vorbei mit klassischer Ruhe o 3. Zeile:  metrische Uneinheitlichkeit (bei Dachdecker) drückt stolpern aus  Inkongruenz des Verbums (entzweigehen) – Verdinglichung der Menschen -> metronymisch: von Ziegeln auf Dachdecker verschoben o 4. Zeile:  Parenthese (Einschub)  Montage von Zeitungsschlagzeilen gedeutet (durch „liest man“) o 5. Zeile (2. Strophe)  Bezug auf Sturm, literarische Anspielung auf „Der Sturm“ von Walden (Hoddis hat hier publiziert)  wilde Meer und die Brücken: Anspielung auf die Fauves und Künstlervereinigung „Die Brücken“  Subtext des Gedichtes sind neue Institutionen 27

 





 

Sturm = Teilhabe an etwas Neuem, das Alte wird wie durch Sturm hinweggefegt Inkongruenz des Verbs (hupfen – für Berliner Hoddis ein Exotikum aus süddeutschem Raum) Verben werden vermenschlicht

 o 6. Zeile:  Dammbruch (Verweis auf „Der Schimmelreiter“ von Storm) o 7. Zeile:  Alltagsproblem steht nicht in richtiger Größenordnung zum Rest o 8. Zeile:  nicht ganz passendes Verbum (fallen statt stürzen) – wirkt wie Spielzeugeisenbahnen expressionistischer Reihenstil o Tragisches und Banales zusammen o nicht-zusammenpassen der Teile (komisch, grotesk) o nicht-zusammenpassen von Welterfahrung gezeigt Interpretation: o biographisch (ausbrechende Schizophrenie) o bezogen auf kollektive Panik (hallescher Komet) o Vorwegnahme des 1. WK  kann aber keine politische Prognose gehabt haben o Expression für auseinander fallende Wirklichkeit  selbstreflexiv  entgleist wie Eisenbahn  Parenthese: nicht nur medial, sondern an Leser gerichtet, der das gerade liest (=Öffnung auf den Leser hin, Leerstelle für das gelesen werden) o Kampfgedicht  Sprachfalle für Bürger-Leser Epochensignal für antibürgerlicher Ästhetik o radikalisiert durch Dada (nicht mehr semantisches Sprechen)

„Dämmerung“ von Alfred Lichtenstein (1913)  

ähnlich wie „Weltende“ Sinneinheiten, die nicht miteinander verbunden sind (nur in Zeile 5 und 6)

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NEUE SACHLICHKEIT -

-

-

Kunstgeschichte Namensgeberin o 1925: Mannheim Ausstellung neuer Malereien Stilmerkmale der Dichtung: o von expressionistischer Dichtung distanziert o Nüchternheit, Distanziertheit, „steril“ Architektur: o Konzept spielte auch hier Rolle: Bauhaus-Stil  Zeigen von Baumaterial  Authentizität des Gebäudes Deutschland nach 1.WK: 4 Mio. Kriegsinvalide o Thema der Zeit

- Sachlichkeit o o o

für Literatur ein problemtatischer Begriff: wie sachlich kann es sein, wenn es sich um Wirklichkeitsdarstellung handeln soll? Möglichkeitssinn:  „Mann ohne Eigenschaften“ – Musil Stilbegriff

- politische Datierungen und Termini: o Literatur der Zwischenkriegszeit    

unscharfer Begriff Zusammenbruch der Kaiserreiche = endgültiger Untergang der Kultur der 19. Jhdt. Expressionismus/Dada/Surrealismus schon vorher eingesetzt Beginn des 2. WK 1939, Machtübernahme 1933, Anschluss 1938  krasse literaturgeschichtliche Zäsur  nicht Kriegsbeginn ist ausschlaggebend! (daher Begriff „Literatur der Zwischenkriegszeit“ unscharf)

o Literatur der Weimarer Republik  

-

bezieht sich auf politische Situation 1919-1933 unter Begriff werden Autoren wie Kafka (aus Prag) subsummiert, auch Hermann Broch, Joseph Roth (Habsburgische Vergangenheit dargestellt), Robert Musil (Kakanien = Habsburger Monarchie karikiert) o kein Terminus ganz treffend, daher: Neue Sachlichkeit Versachlichung, Verdinglichung des Menschen o finanzielle / sexuelle Ökonomie, in der Stadt

Historische und Gesellschaftliche Voraussetzungen o o o o

o o

o

Ende 1. WK Zusammenbruch des Hauses Habsburg, der Wilhelminischen Monarchie Errichtung der Weimarer Republik und in Österreich wirtschaftliche Krise  Reparationszahlungen  Hyperinflation 1923 vorläufige Stabilisierung durch Hilfe von außen 1924-1929 Destabilisierung  AL steigt  rechtsradikale Parteien bekommen Zulauf (NSDAP) Polarisierung zwischen SD und CS (1934 Machtübernahme: Austrofaschismus 29

o gesellschaftliche Veränderungen:  

Massenkultur: Unterhaltungsindustrie mit hoher Bedeutung neue Schicht: die Angestellten  Siegried Kracauer „Die Angestellten“ (1929) - Essay o Schicht proletarisiert o Bewusstsein vom Schein der Unterhaltung o zentraler Punkt: Frage des Falschen Bewusstseins der Figur (auch bei Ödön von Horvath) o nehmen Schicksal nicht selbst in die Hand: reicher Mann, Betörung durch Unterhaltung  hoher Teil weiblich

- Medien: o

o o

Massenmedien  millionenfache Verbreitung  Zeitschriften  Film vorher Zensur (auch Zeitung)  fällt nach Kriegsende ca. 50 neue Zeitschriften gegründet (ohne Zensur gedruckt!)

o FILM   

Stummfilm in ersten Jahrzehnten US-Filme, Hollywood ab 1927 neben altem Stummfilm (expressionistische Merkmale) auch Tonfilm = Inhalte wurden dadurch bestimmt  Musical und Revuefilme

o RADIO   

ab 1923 in Berlin, ab 1924 in Wien rasche Verbreitung, schnell angenommen Nazis: „Volksempfänger“

o SCHALLPLATTE  -

ab 1923 hergestellt

kommerzialisierte Unterhaltung o o o o

-

-

Bars- und Nachtleben Kehrseite der Krise Zeit des Charlston und Hollywoodfilms Freizeit der Angestellten = ökonomisch ausbeutbar gemacht und als Absatzmarkt entdeckt Typus ANGESTELLTE o großer Unterschied zur Mode der Vorkriegszeit  Einschnitt in Damenmode (Fall des Korsetts, etc.) o kurzer Rock, Zigaretten, Hosen, kurze Haare o „glamouröse Emanzipation“ wurde angedeutet o Ideal des Soldatischen Mannes  praktische Emanzipation: Männer an der Front, Frauen auch in „männlichen“ Tätigkeiten  sollte nach dem Krieg rückgängig gemacht werden o Mehrheit unter Existenzminimum o Angstfantasien durch neues Bild der Frau  Forderung zur Rückkehr ins Zuhause (Nazis: Ideal der deutschen Mutter) Propaganda: o Film „Metropolis“ 30

o o

konservative Kulturkritiker: Furcht um Ideale / Kulturwerte durch die Massenphänomene antidemokratische Plädoyers -> Nazis  aufmarschierende Massen

- LITERATUR o o o

o o

o

Ambivalenz zwischen Reformen und Radikalisierung durch Krieg, Fall der Zensur, Rede- und Pressefreiheit viel größerer Spielraum gegeben  Tatsache: letztere durch wirtschafltiche Interessen eingeschränkt (große Firmen) neue literarische Formen  Kabarett:  Kurt Tucholsky  Joachim Ringelnatz  Reportage:  Egon Erwin Kisch  Joseph Roth  beide große Popularität und Qualität  gegen diese Formen und politisches Engagement große Opposition auch: Heimatliteratur, völkische Propaganda neue Formen des Dramas  politische Revue  episches Theater  Lehrstück  kritisches Volksstück o Ödön von Horvath o sozialkritische Analyse: von Nestroy abgesetzt  Bertolt Brecht:  „Die Mutter“ (1932) o Lehrstück  Bertolt Brecht: „Die Dreigroschenoper“ (1928) o englisches Vorbild o läuft Revueähnlich ab o Opposition von Bürgern und Gangstern auf den Kopf gestellt  expressionistisch, anarchistisch geprägt  Verfremdungseffekt  politische Intention: Erkenntnis der Klassenfrage vermitteln  Marieluise Fleißer: „Fegefeuer in Ingolstadt“ (1926)  Milieu der Kleinstadtjugend Zeit- und Gesellschaftsromane  Kafkas Romane erst jetzt publiziert  große Dichte epischer Großformen  Themen:  untergegangenen Wilhelminische oder Habsburger „Geschichte“  nähere Vergangenheit  Schrecken der Kriegsvergangenheit  anonymisierte Großstadt  neue Weiblichkeit  Erkenntnisunsicherheit  Beispiele:  Thomas Mann: „Der Zauberberg“ (1924) o junger Held in Sanatorium mit elitärer Gesellschaft o Modell des Bildungsromans wird ironisch mit kranken Gesellschaft konfrontiert 31



Hermann Broch: „Die Schlafwandler“ (Trilogie, 1930/32) o o







Verfallsprozess der wilhelminischen Ära Wertzerfall der alten Gesellschaft Robert Musil: „Der Mann ohne Eigenschaften“ (Tl 1 und 2: 1931/32; Tl 3 aus dem Nachlass – fragmentarisch) o junger Protagonist Ulrich, in Kakanien, Vorbereitungen zum 70jährigen Thronjubiläum von Ks. F.J. (Fiktion: ist nie eingetreten) o utopische Konzept des „anderen Zustands“ = wird durch Möglichkeitssinn vorstellbar, als ein erotischer Zustand gedacht = Möglichkeit, Individuum und Gesellschaft befreien Joseph Roth: Radetzkymarsch (1932) o Familienschicksal der kaisertreuen Familia van Trotta o elegischer Abgesang auf Donaumonarchie / nostalgische Verklärung o zum Prototyp des Habsburgischen Mythos

Franz Kafka: „Der Process“ (1914/5; 1925), „Das Schloss“ (1922; 1926) o



 

paradigmatisch für Erkenntnisunsicherheit Erich Maria Remarque: „Im Westen nichts Neues“ (1929) o Kriegsroman o Roman einer verlorenen Generation o Kultbuch Alfred Döblin: „Berlin Alexanderplatz“ (1929) o Stichwort Großstadt Irmgard Keun: „Das kunstseidene Mädchen“ (1932) o neues Frauenbild o Protagonistin ist Angestellte mit falschen Bewusstsein (Aufstiegsträume durch Mann)

Ödön von Horváth (1901-1938)

Geschichten aus dem Wiener Wald (1931) -

Diplomatenkind 1919: Germanistikstudium in München schriftstellerische Tätigkeit schon im Studium Berlin: Durchbruch als Dramatiker 1927 Kleist-Preis Emigration (aus Deutschland und später aus Österreich) lebt in Paris, stirbt dort durch herunterfallenden Ast

- Inhalt und Figuren o

o

Marianne:  Tochter des Zauberkönigs (Spielwarenladenbesitzer)  Verlobt mit Oskar  verliebt sich in Alfred, verlässt Vater um mit ihm zu leben  Kind mit Alfred  Nacktdarstellerin wg. finanzieller Nöte (als Allegorie des Glücks)  wird entdeckt, des Diebstahls bezichtigt, verhaftet  Kind stirbt im Waldviertel bei Oma Kleinbürgermilieu  nicht strikt soziologisch verstanden 32

o

 Terminus ist nicht soziologisch, keine konkret statistisch bezeichenbare Gruppe  Schicht des „falschen Bewusstseins“ von der sozialen Lage Figuren: Gesellschaftspanorama der Zwischenkriegszeit  am erfolgreichsten: Fleischermeister Oskar, Trafikanten Valerie  konjunkturunabhängige Geschäfte  Zauberkönig von Konkurs bedroht  u.a. ein Grund, warum er Marianne mit Oskar verheiraten will  Rittmeister  steht für Weltkriegsverlierer  seit Zusammenbruch pensioniert  aus diesem Milieu kommen  Erich  neuer nationalsozialistischer Typus  Alfred und sein Freund  Halbkriminelle und Rotlichtmilieu  Spielt und „verkauft“ Marianne  Marianne  isoliert aus Milieu  versucht Ausbruch, scheitert u.a. wegen fehlender Berufsausbildung  arbeitet für Vater als Dienstbotin, Verkäuferin  interessiert sich für Rhythmische Gymnastik (s. neues Frauenbild)  spiegelt sich die Frage der Frauenerwerbstätigkeit nach dem Krieg  kommt nicht auf Idee, sich selbst etwas zu suchen o Ähnlichkeit mit „süßem Mädel“ o „Fräuleins“  Illustration der Asymmetrie in Geschlechter und Gesellschaft

- Struktur o o

o

3 Teile, 15 Bilder Schauplätze: Wien, Wachau (s. Folie)  Doppelrahmen durch „stille Straße im achten Bezirk“ und „draußen in der Wachau“  struktureller Höhepunkt: Verkauf Mariannes (ab hier geht es mit ihr abwärts) Zeitangaben  sehr ungenau  Regieanweisung: „in unseren Tagen“ (=1931)  Handlungszeit:  1. Teil: Frühling / Frühsommer  2. Teil: 1. Todestag von Oskars Mutter, nächster Sonntag Verlobung gefeiert, exakt 1 Jahr später  3. Teil: Nachtklub, 4 Wochen U-Haft  zwischen Beginn und Ende ca. 2 Jahre vergangen  Wiederkehr! (= Leben als Karussell) o in Schauplätzen, Geschehnissen o Struktur:  geschlossener Gesellschaftskreis von Alfred betreten  wird von ihm verändert / gesprengt  Mittelteil = veränderter Zustand  danach fällt alles in Ausgangsposition zurück, nur mit zerstörten Vorstellungen (Parallele zu „Vor Sonnenaufgang“) 33

o

auch in Handlungsdetails:  Rittmeister betrachtet 3x Ziehungslisten (1.2, 2.4, 3.3)  am Ende Szene nur noch kürzelhaft  Vorstellung vom immer wieder erträumten Lottoglück, das immer wieder verfehlt wird (=> ideeller Voraussetzung des Stücks)  Glücksspiel = häufiges Motiv in Zwischenkriegszeit (auch Stefan Zweig) o Vorstellung von verarmter Mittelschicht = man kann nicht so viel arbeiten, um je Glück zu erfahren o Wertunsicherheit o vom Zufall geprägt, nicht durch Arbeit

Symbole - Handlungsebene o

o

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Tod und Sterben  Auslage des Spielzeugladens: Skelett  Zinnsoldaten + Fallende des Weltkriegs  Kommerzialisierung des Todes Wiederholung und Kommerzialisierung des Todes  Valerie gibt Alfred das Geld (Witwenpension) für Glücksspiel, damit er es vermehre – betrügt sie dabei  am Anfang: Gespräch über Renngewinn, von Grabstein gesprochen  am Ende: zieht Geldscheine aus Hosentasche (bei Großmutter), wollte es eigentlich Sohn geben, ist tot – Valerie: kaufe ihm schönen Grabstein  Grabstein! = bildet Klammer um das Werk Zerstörung Mariannes Illusionen:  Anfang: sie meint, sie sei nur von dummen Leuten umgeben, Alfred sei das nicht  Mitte: Alfred meint, sie stelle sich dumm an  Ende: Valerie zu Zauberkönig: Marianne sei dumm, woraufhin der Vater zustimmt  DUMMHEIT = kein Zusammenhang mit IQ, sonder geht um Verständnis, sein eigenes Geschäft ordentlich zu machen Marianne = Symbol der Resignation  Zirkel – sie endet dort, wo sie angefangen hat, jedoch des Kindes und der Illusionen beraubt

- Sprache o

o o

o

Bildungsjargon  Kunstsprache, dem Wienerischen angelehnt  in ersten Inszenierungen Dialekt nicht auszumachen (Aufführungen in Berlin)  dadurch Zersetzung der eigentlichen Dialekte  fordert zu Kritik heraus: Dialog des neuen Volksstückes  Synthese aus Ernst und Ironie zu Beginn als Dialektstücke bezeichnet (von Horváth), dann anders „Gebrauchsanweisung“:  kein Dialekt erlaubt, nur Standardsprache, die erzwungen wirkt  Darstellung eines höheren Bildungsstandards als er wirklich vorhanden ist ZITATE:  Zerstörung des naiven Bewusstseins durch die PHRASE  längst bedeutungsleer, Klischees der Unterhaltungskultur 34



 

-

 von Liebe und Tod nur in Floskeln geredet Zauberkönig = „Büchmann“  Vorwurf, dass Leute nicht die Werke lesen, sondern nur Zitatenwörterbücher  mischt Zitate mit dummen Sprüchen  fehlerhafte Zitate Kalendersprüche  Signale für Bewusstsein, dass immer nur in Phrasen gesprochen wird Zitate als Anspielung auf Gretchen-Motiv  Verbindung: ledige Mutter, von Mann verlassen, Kindstod  Marianne keine Erlösung, im Gegensatz zu Gretchen o muss mit Oskar weiterleben

Musik o o

o

Unterhaltungsmusik Montagen:  Klavierspiel  Grammophon  auf Laute  Cluborchester Verkitschung und Sentimentalisierung der Unterhaltungskultur  was Figuren an Emotion fehlt, wird hier ersetzt

- Stille o o

Horváth besteht auf ihre Wichtigkeit Figuren ringen um Sprache, die ihnen fehlt  Kommunikationsversagen  kaschiertes „Unbewusste“  (Interessens-)Konflikte

Horváths Neue Sachlichkeit -

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-

-

Sprache endgültig von Expressionismus entfernt sachlich: sprachliche Analyse gesellschaftlicher Bedingungen, die Bewusstsein der Figuren verformt und zerstört haben keine Parolen (wie Brecht), sondern durchkapitalisiert Rolle des Geldes! o Alfred, Valerie, Großmutter, Marianne o Verdinglichung und Entwertung des weiblichen Körpers  Charakteristikum der dargestellten Gesellschaft keine eindeutige politische Richtung o empirischer Befund der Wirklichkeit „Kasimir und Karoline“ o satirische Züge o ohne Gebrauchsanweisung (?) NS-Presse: o als gefährlichen Schriftsteller o Drohungen vor Machtübernahme ab 1933 nicht mehr gespielt, Aufenthaltsverbot Figur des „Erich“ = Zukunftsfigur

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30.4.2013

DRITTES REICH UND EXIL - Zeitgeschichte und Literaturpolitik o

nach Machtübernahme 33: Gleichschaltung des öffentlichen Lebens  Grundrechte außer Kraft gesetzt, Verfolgung Politiker  erstes KZ in Dachau: unerwünschte Oppositionelle  Ermächtigungsgesetz (systematische Ausschaltung)  Bevölkerung zur Mithilfe aufgerufen (Flugblatt)  Verhaftungswelle jüdischer und linker Schriftsteller (Bücherverbrennungen – konkretes und symbolisches Zeichen für auch physische Vernichtung)  Publikationen sollten alle kontrolliert werden können  Reichsschrifttumskammer (Folie!) o Präsident war 1935-1945 Hanns Johst (Schriftsteller) o Mitglieder nur arischer Abstammung, politische Willfährigkeit  Judenverfolgung: Kennzeichnung, Aushungerung, Deportation, Vernichtung  Die Nürnberger Gesetzt (Abstammungen – Folie)

- Literarische Richtungen o

Blut und Boden – Literatur    





Verherrlichung der deutschen Heimat, des germanischen Menschen, hingabe an Volksgemeinschaft Regimekonforme Literatur Propaganda des „Deutschen Buches“ (kein Import, Übersetzungen) „Thingspiel“  nach altermanischen Versammlungen (Massenveranstaltungen zur Feierung des deutschen Reichs) allgemein: keine Literaturkritik wegen „Gleichschaltung“  durch nationalsozialistische Kunstbetrachtung ersetzt (Umsetzung NSIdeale)

Beispiele: 



Hanns Johst: Ruf des Reiches – Echo des Volkes! Eine Ostfahrt (1940) o Verherrlichung der Deportationen  Hermann Burte o durch völkisch-antisemitische Schriften hervorgetan o Rede: Glaubensbekenntnis pervertiert und Hitler als Erlöser dargestellt o Gedicht An das Ich (1938)  Unsinnigkeit des Gehalts kommt mit Scheitern der Form überein einige mit NS sympathisiert (z.B. Gottfried Benn)

o Innere Emigration      

komplex Schriftsteller, die Deutschland nicht verlassen haben aber sich nicht als regimekonform verstanden Ariernachweis musste man erbringen, Kompromisse mit Partei eingehen Halbjüdische Schriftsteller, geschützt durch „arischen“ Ehepartner: Schreibverbot heimliche Entstehung und ohne Veröffentlichungsmöglichkeit von Werken andere gehörten der Reichsschrifttumskammer an und gingen Kompromisse ein  später umstrittene Literatur  verdecktes Schreiben: o „Sklavensprache“ 36

 

o

o Doppelsinn in Reden höchstes Risiko / scheinbare Affirmation Beispiele:  Werner Bergengruen o Loyalitätserklärung o Ehefrau ¾-Jüdin: wurde aus RSK ausgeschlossen o schrieb dennoch weiter o Roman „Der Großtyrann und das Gericht“ (1935)  Doppelrezeption:  Nazis: Lob als Führerroman (Tyrann als guter Herrscher, Versöhnung mit Untertanen)  Kritik der Gewaltherrschaft durchaus möglich (als Parabel auf Nazi-Deutschland)  Position des Herrenmenschen für Nazis attraktiv  Reinhold Schneider o christlicher Autor: anfangs Erwartung von Verschmelzung christlicher Inhalte mit NS-Programm o Kontakte zu Widerstandsgruppen o durfte nicht mehr publizieren o Hochverratsprozess gegen ihn geplant kurz vor Zusammenbruch o Roman „Las Casas vor Karl V.“ (1938)  historisch (ca. 1550)  Mönch Disput mit Karl V.  Rassenwahn als unmenschlich dargestellt  riskant, Einspruch des Mönchs gegen Herrscher zu publizieren

Exilliteratur:     

 



nach Anschluss: Emigrationsschübe (Folie!) insgesamt 2500 Schriftsteller Deutschland verlassen (Anna Seghers, Elias Canetti, Alfred Döblin, u.a.) in Schweiz zu flüchten musste man sich leisten können, sonst: USA, Mexiko, UdSSR (kommunistische Autoren), Frankreich insgesamt halbe Mio. ins Exil gegangen (Künstler, Wissenschaftlicher, Juden, u.a.) Zeitschriften und Exilverlage gegründet (Folie!)  „Sammlung“ in Holland  „Das Wort“ und „internationale Literatur“ in Moskau Emigranten in London nicht einig: Konflikte zwischen bürgerlichen antifaschisten und Linksgerichteten Arbeits- und Publikationsmöglichkeiten: Gegenwartsromane  Anna Seghers: „Transit“ (1944 erschienen, geschr. 1941 in Frk und Mexiko) o Flucht aus Deutschland, nach Frankreich (Paris, Marseille)  Stefan Zweig: „Schachnovelle“ (im Brasilianischen Exil entstanden) o Emigrant auf Passagierschiff, Geschichte eines Arztes erzählt, durch Schach Leben und Verstand gerettet historische Romane mit Parabeln auf Herrschaft und Gewalt (Parallele zwischen Exilliteratur und Innerer Emigration)  Heinrich Mann: „Henri Quatre“ (1935-38 in Frankreich) – danach in USA o „guter König“ Heinricht IV. im 16. Jhdt., Hugenotten, Religionsfrieden o Schicksal der verfolgten Hugenotten = Schreckensherrschaft in Deutschland 37







Thomas Mann: „Joseph und seine Brüder“ (4 Romane) – Exil USA o biblischer Stoff o parabelhafte Züge zum Schicksal verfolgter Menschen in Deutschland dramatische Gattungen:  Bertolt Brecht: „Leben des Galilei“ (entst. 1938, UA Zürich 1942) – Exil Dänemark o Galilei ist Exempel für verfolgten Intellektuellen in Deutschland Lyrik:  Themen: verzweifeltes Heimweh, Abschied von den Toten  Else Lasker-Schüler: „Mein blaues Klavier“ (1943)

Das Siebte Kreuz – Anna Seghers - Anna Seghers: o o o o o o o

1900 geboren Geschichte und Kunstgeschichte studiert Mitglied der Kommunistischen Partei Flucht nach Frankreich, 1940 weiter (hier entstand der Roman „Das Siebte Kreuz“), 1941 von Marseille nach Mexiko nach 14 Jahren kehrte sie zurück in die DDR (als Kommunistin) 1983 in Berlin gestorben schriftstellerisches Pseudonym

- Inhalt o

aus Lager Westhofen brechen 1937 7 Häfltlinge, 7 gekappte Platanen mit Querbalken als Kreuze, nach 1 Woche 6 gefangen oder tot, Kommunist Georg Heisler: versteckt, Hilfe von anderen, Schiff nach Holland

- Aufbau: o

o o

7 Kapitel  Titelsignal: 7 Kreuze für 7 Häftlinge, 7 Tage der Handlung, 7 als symbolische / biblische Zahl) Kurzabschnitte (insg. 44, zw. 3 und 9) 130 Kurzepisoden des Romans  Handlungsstränge durchgeführt  Fluchthandlung um Georg  Geschichte der anderen Flüchtlinge  Personenkreise von Georgs Frau, Freunden und lose Verbindungen  2 kleine Leibesgeschichten (als künstlich und zu harmonisch kritisiert)  ehemalige Frau Elli  ehemaliger Freund Franz  werden gegeneinander montiert  simultan / markieren Verstreichen der Zeit / analog /antithetisch gegenläufig  1. Szene: Franz Marnet, Ernte (Sonntag)  4. Szene: Ernte vorbei, übrig gebliebener Apfel gefunden (Sonntag) o kreisförmige Struktur  35 Apfelbäume: antithetisch zu 7 Kreuzen (Platanen)

38

o

o

Platanen zu Folterkreuzen gemacht (Kapitel 1: Krone abgeschnitten, 2-3: ausgebreitete Arme an Bäume gebunden, 4.2. für Heisler hergerichtet, 5.3. vier darauf gebunden, danach Wallau müsse tot sein, seine ist leer symbolische Aufladung

- Figuren o o

o

o

o

eng an Realität des 3. Reiches gehalten Freunde: Wahl zwischen Verrat und Solidarität – Beispielgeschichten  Gärtnerlehrling Fritz Heiwig  zuerst Diebstahl anzeigen, danach „Wandel“ (identifiziert seine Jacke nicht als die seine), kleine Widerstandshandlung  alter Freund Paul Röder  früher überzeugter Kommunist, dann wegen Frau und Kinder angepasst (Erpressbarkeit wird dargestellt)  hohes Risiko mit Hilfe  eine unauffällige Heldenfigur des Buches  Hechtschwänzchen (Spitzel)  beliefert Gestapo freiwillig mit Informationen  Trambanschaffner Otto Bachmann  früher Kommunist  hilft Wallau, begeht Selbstmord, weil er Verrat nicht erträgt Heldenfigur Ernst Wallau  Verhörsszene: mentale Einstellung des Gestorben-Seins und ist daher stumm (Gedankenmonolog)  Konstruktion: Faktengeschichte und Kommunistische Bewegung (Spartacus-Bund – rev. komm. Arbeiterpartei, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg - beide ermordet nach erstem Spartacus-Aufstand)  geht um lebendigen Auftrag  heilsgeschichtliche Anspielung (generell Erzählsstrategie) KZ-Schergen und Kommissare  großes Verhaltensspektrum  Buchhalterei bis Sadismus Schilderung der Alltagswelt (Acker, Familie, etc.)  bestürzende Selbstverständlichkeit, ewig menschliche Tätigkeiten (überdauern politische Katastrophen)

- Symbolik und Realismus o

o o o o

Roman schon im frz. Exil geschrieben  Berichte durch andere Emigranten  Intensität des Romans ist verblüffend  Behauptung, Menschen haben von KZs, etc. nichts gewusst, ist damit widerlegt historische Vorlagen für Wallau und Heisler (jüdischer Anwalt aus Mainz) historisches KZ: Osthofen, im Roman: Westhofen für nicht-deutsches Publikum ein realistische Bild über Zuständen geben wollen Intention nicht nur dokumentarisch!  Funktion des Realismus: Debatte in Exil-Presse (Realismus-ExpressionismusDebatte)  v.a. in „Das Wort“ geführt  Abrechnung mit vorangegangenen literarischen Richtung (Expr.) – 2 Gründe: 39

o

o o

politisch: Anlass, dass expr. Lyriker G. Benn 1933 Kniefall vor NS getan und Propaganda genommen – Vorwurf: Boden für Faschismus bereitet o literarisch: Expr. als dekadent, abstrakt und elitär abgelehnt, Georg Lukácz (Sozialist): plädierte für Realismus-Begriff für gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit  sich widersprechende Beiträge  Polemiken der Exilanten gegen Expressionismus von den Autoren, ebenso bei den Nazis (waren gegen Expressionismus: „entartete Kunst“ – abschreckende Beispiele)  Autoren gegen Totalvernichtung des Expressionismus: Anna Seghers o schriftlicher Dialog mit G. Lukácz (in „internationale Literatur“) o setzt sich von seiner orthodoxen Vorstellung von Realismus ab o verteidigte z.B. Montage, simultane Erzählung, filmische Erzähldarstellung, als adäquatere Darstellung der Wirklichkeit als reine Wiedergabe (Berufung auf Kriegserfahrung der eigenen Generation) keine expressionistische Verzerrung symbolische heilsgeschichtliche Überhöhung der dargestellten Wirklichkeit  Märchensymbole: aussichtslose Situation könnte sich zum Guten wenden  Namen wie z.B. Pfeffernüsschen, Heftschwänchen, Holzklötzchen, etc.  unglückliches Ehepaar: 7 Gläschen und 7 Gläschen – Zahl 7 erscheint verniedlicht  nach Ausbruch aus Lager: Auftreten wie Märchenfiguren, die eine Deckung bilden, wenn sie über Acker gehen + Hoffnungsfarbe Grün  biblische und mythologische Ebenen:  Christusmotiv des Gekreuzigten  Odysseusmotiv der Irrfahrt (Marcel R-R. Passionsgeschichte des ungekreuzigten Georgs)  geschichtsphilosophisch:  Ernst: o Hirte (jahrtausendealte Tätigkeit) o Zeugenfigur innerhalb Geschichtspanorama (röm. Reich, präfiguriert 3. Reich und Untergang)  jedes Gewaltreich kann mit jedem identifiziert werden  relativiert Realismus  Mischung aus Geschichtlichkeit und Zeitlosigkeit – problematisch o Ironie der Wirkungsgeschichte

- Publikation und Wirkungsgeschichte o

Publikationsgeschichte  typisch für Exilliteratur  1939 Teilabdruck in „internationale Literatur“  1941 weiterer Teilabdruck „freies Deutschland“ in Mexiko  als Kommunistin nicht in USA gelassen  1942 in amerikanischer Ausgabe, im selben Jahr deutsch, danach schwedische, portugiesische, englische Übersetzung  Comic-Strip-Fassung  sicherte Roman in USA weitere Popularität  Verfilmung in Hollywood (erstaunlich, wegen Kommunistin) 1944 (The Seventh Cross)  im Film kommt nicht vor, dass es sich um Kommunisten handelt 40



o

Werbemaßnahme: o Menschenjagd organisiert  Double von Spencer Tracy (Hauptdarsteller) an 7 Kreuzen vorbei (kommt nie zur gelungenen Flucht)  in Deutschland nach Kriegsende (Ostausgabe 1946 in Berlin und Westausgabe 1947 in München) Wirkungsgeschichte  in DDR: vorbildliche antifaschistische Schriftstellerin  im Westen:  Aufführung von Amerikanern verboten  als Künstlerin angegriffen, die Unrechtsregime der DDR legitimierte  RR: Buch gegen Diktatur schlechthin (nicht nur historische Lesart) o anthropologische und märchenhafte Färbung o Funktion der Beschreibung des Lebens in NS-Diktatur dennoch gut dargestellt (kann man nicht absprechen)

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7.5.2013

LITERATUR NACH 1945: KALTER KRIEG UND NEUTRALITÄT -

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Kapitulation Deutschland: 8. Mai 1945 o Ende einer 12/7-jährige Diktatur in Deutschland und Österreich o in Literaturgeschichte als Epochengrenze  nicht ganz so radikaler Einschnitt, wie Begriff „Stunde 0“ suggeriert  neue Zeitrechnung, völliger Neuanfang in Literatur  später heftige Kritik am Begriff später: „Nazi-sein“ war nicht auf einmal vorbei  Vergangenheitsbewältigung  Schriftsteller aus 3. Reich schrieben weiter, erhielten auch Preise o z.B. Max Mell: im Ständestaat und unter Hitler berühmt und ausgezeichnet  neutraler: „Literatur nach 1945“  fraglich, wie lange die Periode dauert, wenn man nicht die ganze zweite Hälfte des 20.Jhdt. bezeichnen möchte  Zeitraum bis Fall der Mauer  enger Begriff: „1945-1949“  D und Ö: 4 Besatzungszonen  Unterstützung der USA 17 Mrd. Dollar in westliche Gebiete  1949: 3 Westzonen in BRD, Ostzone in DDR o Beginn 40-jährige Geschichte des geteilten Dtschld o 1955 Staatsvertrag, Neutralität Periode auf 1945-1955 zu beschränken o Kahlschlag o Trümmerliteratur weiterer Versuch der Periodisierung: 1945-1968 o 50er und frühe 60er: in Ö und D durch konservative Politik gekennzeichnet, „reeducation“ war eher eingeschränkt o D: Adenauer-Ära (1949-1963 erster Bundeskanzler der BRD)  Stabilisierung der Wirtschaft größtes Anliegen  erfolgreiche Politik  zum Wirtschaftswunder Mitte 50er geführt o lückenhafter Prozess: NS-Politiker wieder in wichtigen Positionen o Ö: 1966 große Koalition  Traditionalismus (Sissi-Filme) o 1968: gegen Weiterwirken der NS-Zeit, autoritäre Strukturen der Staaten demonstriert von neuer Generation o Klima des Kalten Kriegs  Gegnerschaft West- und Ostmächte  bis 1945 gemeinsam gegen 3. Reich – nun Gegensatz: Demokratie – Diktatur  Wettrüsten, atomare Bedrohung  Konflikte unter offenem Krieg ausgetragen  Koexistenz: Phasen der „Entspannung“  USA: stark gegen Kommunismus (Leute bespitzelt, etc.) o BRD – DDR –Konflikte an Grenze

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1. Phase bis 1949 der Nachkriegsliteratur o

BEGRIFFE



Emigrantenstreit        



Erwartung: kehren aus Exil zurück Kontroverse zwischen innerer und äußerer Emigration Thomas Mann: nicht zurückgekehrt, Literatur des 3. Reichs ist wertlos innere Emigranten: Gegenposition viele kehrten gar nicht zurück, z.B. Thomas Mann andere gingen nach Ostdeutschland, z.B. Bertolt Brecht, Anna Seghers (wegen politischer Überzeugung) Vergangenheitsbewältigung: mythologische Schemata – überzeitliche Kategorie, Relativierung der Schuldfrage Elisabeth Langgässer (1899-1950) o Gedicht: „Frühling 1946“ (1947)  Frühling als Wiedererscheinen nach Winter (geschichtliche Ereignisse auf Jahreszeiten/Natur zurückgeführt)  mythologisch: Unterwelt, Übersetzen über die Flüsse, Wiederauferstehung (mit dem Frühling)  von Vergangenheit in Parabelform die Rede  heftige Kritik solcher Gedichte in 60ern

Kahlschlagliteratur  Günther Eich o



Trümmerliteratur  Wolfgang Borchert o





„Draußen vor der Tür“  Kriegsheimkehrer findet nirgends mehr ein Zuhause

Ilse Aichinger: o

„Die größere Hoffnung“ (1948)  parabelhafte Sprache  Heranwachsen eines Mädchens in NS

Gruppe 47 o o o o o

-

Gedicht „Inventur“ (1948)  materielle und sprachliche Not nach 1945 durch Benennungsakt bannen  „Bestandaufnahme“/Inventur von dem, was noch übergeblieben ist  Reduktion auf Lebensnotwendiges

Gründung von Hans Werner Richter Lesungen prominente Kritiker Eich 1950 und Aichinger 1952 Auszeichnung bis 1966

1950er Jahre o

neue Stimme in BRD aus Gruppe 47  z.B. Heinrich Böll, Günther Grass, Martin Walser (alle mit Gruppe bekannt geworden)  Heinrich Böll:  Gattung der Kurzgeschichte (v.a. im anglo-sächsichen Raum vertreten) o typisch: Sammlung „Wanderer, kommst du nach Spa …“ (1950) 43





o

 Spa = Sparta – Zeichen des Abbruchs  Kriegsheimkehrer als Protagonist  gegen Bildungsbürgerliche Überhöhung des Kriegsopfers  Hörspiele (ebenfalls Günther Eich) o Radio als wichtigstes Unterhaltungsmedium o Boom nach 45 Günther Grass  „Die Blechtrommel“ (1959) o moderner Schelmenroman o Verhalten in Diktatur Martin Walser  „Ehen in Philippsburg“ (1957) o Auseinandersetzung mit westdeutschem Bürgertum

in DDR:  nach 1. Phase der „Aufbauliteratur“ (sozialist. Menschenbild) in 50er: „Ankunftsliteratur“ (DDR-Literatur bei Realität angekommen)  Bitterfelder Weg (Autoren in die Betriebe, Arbeiter werden zum schreibenden Projekt)



Christa Wolf 

o

„Der geteilte Himmel“ (1963) o Konzept verwirklicht o Republikflucht eines jungen Mannes o positive Heldin des Sozialismus: im Engagement für Staat neuen Lebensmut gefunden  hat an Bitterfelder Weg teilgenommen experimentelle Entwicklungen in Literatur  z.B. Typocollage 1955 von Gerhard Rühm  eig. Karriere der Wiener Gruppe in 60er

MAX FRISCH -

1911 in Zürich geboren, 1991 gestorben abgebrochenes Germanistikstudium Journalist 2. WK: Schweizer Armee (Grenzsicherung) Studium Architektur zeitweise eigenes Architekturbüro erste Stücke nach Kriegsende Tagebuch 1945-1949 1954: literarischer Durchbruch mit Roman „Stiller“ (?) 1957: „Homo faber“ 1958 und 1961: „Biedermann und die Brandstifter“ und „Andorra“ o Frage nach Schuld und Mitschuld 1964: wichtig: Tagebücher, Reden, Essays, Autobiographisches

BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER -

Uraufführung 1958 im Schauspielhaus Zürich (Bühnenbild von Max Frisch) häufig als Bourlesque (?) bezeichnet o Tendenz zur Improvisation o stellen Reaktion dar (z.B. Diskurse der Erhabenheit, hoher Stil) o Volkstheater o Witz: unvermittelte Konfrontation von Anspruchsvollem und Menschlichem 44

o -

o o o o o

-

Typus: Bürger Gottfried Biedermann  Haarwasserfabrikant (ist Schwindel) Frau: Babette, Entsprechung seines Charakters Einnistung von Schmitz und Eisenring  Bedienung bis Selbstaufopferung Doktor als schweigender Zeuge der Brandstifter-Vorbereitungen Chor von Feuerwehrleuten  Anlehnung an antikes Drama  warnen Biedermann, finden aber kein Gehör

Aufbau: o o o

o o o

o o o o

-

nicht problemlose Anwendung auf dieses Stück

Inhalt / Personen:

6 Szenen bis Katastrophe  wirkt überdeterminiert erste Regieanweisung: finstere Bühne, Streichholz und Zigarette von Biedermann, Feuerwehrmänner mit Helmen auch auf Bühne  Streichholz: Verweis auf das Ende alles wirkt mit, um auf Katastrophe hin zu arbeiten auf allen Ebenen eine Vorausdeutung undramatisch: nirgends Wendepunkt, Klimax ist zugleich finaler Höhepunkt (kein klassischer Aufbau mit Höhepunkt in der Mitte)  Stück wirkt hier wie eine Rampe nirgends Möglichkeit auf Retardierung (Verzögerung) – oft 4. Akt beim klassischen Drama – Hoffnung auf Änderung des Ausgangs geradliniger Verlauf ohne jedes Nebenereignis Bezug auf Brecht mit epischem Theater keine Spannung erzeugt, Zuseher weiß es vom ersten Augenblick an, wie es ausgeht  Fokus liegt dann auf Biedermann und eigentümlichem Verhalten  „Dissimulation“ = leugnen, dass es etwas gibt, das nicht stimmt o redet etwas weg, tut als gäbe es keine Beeinträchtigung  sieht zu, dass sich Haus in Zündkapsel verwandet  leugnet offensichtliche Tatsachen  Bourlesque: Dissimulation und Nicht-Leugnung der Brandstifter

Rezeption und Hintergrund o o o

o

Auseinandersetzung mit NS-Katastrophe der unmittelbaren Vergangenheit als Schweizer: „Verschonter“ 1. Ansatz zum Stück schon früh in Tagebuch  parabelhaftes Prosastück – hat Titel „Bourlesque“  unklar, welches Unrecht man erlitten hat 1949: Hörspielentwurf  hat große Konjunktur  Entwurf wird Hörspiel „Herr Biedermann und die Brandstifter“  kein Chor, aber „Moderator“ – Bezug zu Medium Radio (fingierter Studiocharakter)  mit Geräuschen hinterlegt (z.B. Feuer)

o Auslegungen: 



Biedermann wäre Typus des Mitläufers im NS-Regime  will es nicht sehen, hilft Massenmord vorzubereiten, ohne es sich einzugestehen Kontext mit Kaltem Krieg  Umsiedlungen, stalinistisches Unrechtsgeschehen 45





Tagebucheintragung mit diesem Stoffkern: Katastrophe in Tschechoslowakei o Unrecht als soziale Ungerechtigkeit, Klassengesellschaft  Unterschied NS und K: o K: Gleichheit o NS: naturgegebene Ungleichheit (rassische, biologisch Überlegenheit)  Unrecht an Nazi: schwer abzusehen auf dieser Ebene  Verstanden als Warnung vor kommunistischer Unterwanderung o Infiltrierung der staatlichen Institutionen  Funktionalisierung auf Kalte Kriegs Propaganda der West-Staaten o Biedermann: will aufgeschlossen und tolerant sein, setzt eigene bürgerliche Sicherheit aufs Spiel o Doktor als theoretischer Marxist der stalinistischen Katastrophe zusieht, distanziert sich, wenn Gewalt in seine Nähe rückt  problematisch an dieser Lesart: o Frisch wollte nicht am bürgerlichen Ideal festhalten o ausgeschlossen, dass es nur ein antikommunistisches Lehrstück ist o Lehrstück ohne Lehre (ohne ideologische Ansprüche, marxistischen Inhalt) o Annäherung und Distanz zum Lehrstückschreiber Bertolt Brecht  Kontakt  verfolgt von Brechts Regimearbeit  mit und gegen Brechts Lehrstückcharakteristik gearbeitet  nicht ganz richtig, dass er ganz gegen Brecht (Komm.) gearbeitet hat 2 Lesarten:  Anti-Nationalsozialistisch  Anti-Kommunistisch

o BRD: 

zeitgenössische Lesart  Kritik Münchner Aufführung o Koexistenzialismus aufs Korn nehmen, Wahn des Biedermanns o Warnung vor kommunistischer Infiltration, Biedermann als Westbürger, der sich dessen nicht bewusst ist o Apathie und Ahnungslosigkeit des Westbürgers o Lehre: Wachsamkeit vor Kommunismus

o DDR: 

-

Lektüre als Faschismuskritik  Eindeutig so gelesen  Adressat: Westbürger  Aufruf zur Wachsamkeit vor Faschismus o Lesarten spiegeln Spalten des Kalten Krieges im Kleinen wieder Biedermann: o Selbstdeutung von Frisch (Folie) o Brandstifter aus Biedermann selbst geboren o 3. Lesart durch diese Selbstdeutung: Tiefenpsychologisch  Brandstifter sind Verkörperungen der unbewussten Aggressionen  betrogener Mitarbeiter entlassen, wird nicht zu Gespräch zugelassen, bringt sich um 46





-

sein eigenes Böses in Brandstiftern entgegengetreten: o Biedermann steckt im Publikum selbst o Pikard („Hitler in uns selbst“ – Boden bereitet durch individuelle Dispositionen) o Brandstifter: abgespaltenen Seiten der Zuschauerpsyche Peter Vonmatt (?) (1979)  Zuschauer fürchtet sich offiziell vor Brandstiftern mit Biedermann, unbewusst: Sympathisierung mit Brandstiftern  ödipal: Strebungen des Knaben, gegen Vater um Mutter zu rivalisieren o Mutter: Stadt (wird durch Flammen zerstört)  in Feuer und Flammen: Symbolanordnung für sexuelle Vereinigung o Wächter: Zensur des Bewusstseins  ermöglichen Publikum offizielle Gefühle mit Biedermann  Publikum ist männlich zu sehen, für weibliche keine Interpretation  Behauptung: jedes Drama ist ödipal zu deuten o konkrete politische Lesart verschwunden? o Biedermann wäre auf jeden Mann anwendbar o Brand als bloßes Symbol oder auf alle menschheitsgeschichtlichen Katastrophen anwendbar, die nicht alle von Natur ausgelöst werden  Biedermann als anthropologischer Urtyp

typischer Vertreter Nachkriegsliteratur: o o o o o

Unprägnanz Stück der Koexistenz verschiedener weltanschaulicher Deutungen typisch für 50er mythologisch/symbolisch/naturhafte Verkleidung Generationenschritt:  im Laufe 60er werden Fragen nach vergangenem und gegenwärtigem Faschismus laut und deutlich gestellt

47

14.5.2013

DIE 60ER JAHRE erste 15 Minuten verpasst

DRAMA -

-

Konrad Beyer: „Flucht“ o Montage: Spirale der Vergeblichkeit Ernst Jandl: „Schützngruam“ (?) o Kriegsgeräusche wiedergegeben

Dokumentarisches Theater o o

-

Auseinandersetzung mit Nazi-Vergangenheit berühmtes Beispiel: Peter Weiss: „Die Ermittlung“ (1965)  rhytmisierend auf Bühne gestellt  paradoxer Effekt des Theatermaterials  authentisches Material fiktionalisiert, soll auf diese Weise Schrecken und Erkenntnis auslösen  Aufführungen im Osten und Westen  Ostberlin: im Hintergrund Lageplan des KZs

Kritisches Volksstück o o o o

direkte soziale Kritik, Forderung nach sozialem Engagement 3. Form des Volksstücks (Nestroy/Raimund – Zwischenkriegszeit Brecht – zurückgriff auf Vorheriges) meist Außenseiter im MP  Sprachlosigkeit (bewusst deformierte Figurenrede), Deklassierung in Gesellschaft Vertreter

 -

Franz Xaver Kroetz Martin Sperr: „Jagdszenen aus Niederbayern“ (1966)

 Gegengründung Gruppe 47: o Dortmunder Gruppe 61  industrielle Arbeitswelt als ihr Thema  Absetzung von Literaturpolitik der DDR 

Max von der Grün: „Irrlicht und Feuer“ (1963)  

-

Roman über schlechte Arbeitsbedingungen in deutschen Zechen Bergbauernroman

Sozialreportage o o o

neue Form engagierter Literatur Reportage als literarische Form schon in Zwischenkriegszeit aufgewertet worden Günter Wallraff als wichtiger Vertreter  in Stahlwerk gearbeitet  berühmt als Enthüllungsjournalist  „13 unerwünschte Reportagen“ (1969)

- 1968 – der Tod der Literatur o o

Jahr der Studentenrevolte Frage ob Literatur als bürgerliche Kunst überholt ist 48



o

ihr Tod ist zu Verkünden ODER  bei gesellschaftlichem Funktionsverlust: lässt sich nicht funktionalisieren (T. Adorno) Hans Magnus Enzensberger: Zeitschrift „Kunstbuch“  „Gemeinplätze, die neueste Literatur betreffend“ (1968)  Literatur hat keinen nachweisbaren gesellschaftlichen Sinn, aber Schriftsteller muss versuchen, öffentlichem Bewusstseinswandel zuzuarbeiten

- LYRIK o

Ingeborg Bachmann: „Prag Jänner 64“   



Preisträgerin Gruppe 47 in 60er Jahren mit Lyrikbänden großen Erfolg gehabt (u.a. „Anrufung des großen Bären“) Titel:  Verweis auf politische Zeitgenossenschaft  Prager Frühling 1968  Bachmann war 64 2 Wochen in Prag  47: Kommunistische Partei durch Putsch an die Macht gekommen (in Tschechoslowakei) o „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ versucht  freie Meinungsäußerung zulassen, etc.  betrifft auch Literatur:  63: Kafka-Konferenz -> Rehabilitation Kafkas, seine Größe wurde anerkannt, durch Literaturzeitschriften verbreitet, durfte gelesen werden  Erlebnis eines liberalisierten Landes (?) -> wird in 1. Strophe sichtbar o gehen, sprechen und sehen wird wieder möglich o Schattenjahre = Jahre der totalitären Regierung o Naturbild des „Frühling-werdens“: befreites Wasser = konkrete politische Ebene (auf Nazi-Vergangenheit in Ö und auf Tschechoslowakei bezogen) Prager Frühling 1968 zu Ende (Liberalisierung beendet)

ANSICHTEN EINES CLOWN – HEINRICH BÖLL Heinrich Böll -

1917 in Köln geboren nach Abitur: Buchhändlerlehre Studium Germanistik und Klassische Philologie 1939 eingezogen worden während Krieg: amerikanische Haft 1945 wieder nach Köln ab 1947: erste Kurzgeschichten 49

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-

o 1950: „Wanderer, kommst du nach Spa…“ Preis der Gruppe 47 mit Satire „Die schwarzen Schafe“ Schnelle Erfolge mit Romanen und Satiren o z.B. „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ o „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ Auseinandersetzung mit Nazi-Vergangenheit 1971: Präsident des PEN-Klubs 1972 Nobelpreis Ruhm und Anfeindungen! o Verdächtigung als Terroristen-Sympathisant „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ o von konservativer Seite scharf verurteilt o Vorwurf der Sympathie mit Werdegang einer Terroristin Nachlass vernichtet worden (Literaturarchiv in Köln eingestürzt)

ROMAN -

1963 in Süddeutscher Zeitung abgedruckt als Fortsetzungroman (März und April) Mai 1963 erschienen (erstmals) Verfilmung 1975 Kritische Ausgabe von Bölls Werken in Köln: kritische Debatte

- Handlung o

o o

März Anfang 62 in Bonn (damals keine große Stadt, Bundeskanzler war Adenauer, CDU: Kooperation mit katholischer und evangelischer Kirche)  Nordrhein-Westfahlen: Großteil der Menschen katholisch  Realpolitik: Akzente wirtschaftlich auf Konsolidierung, schnell gelungen  nach Währungsreform 48 (DM) stieg Wirtschaftswachstum rapide an (1955 um 10% gestiegen)  deutsches Wirtschaftswunder durch Ludwig Erhard verkörpert (deutscher Wirtschaftsminister 1949-1963)  Beitritt zum NATO-Pakt  Kalter Krieg: CDU antikommunistische Haltung, 1956 KP verboten worden und Verfahren gegen Mitglieder  weniger deutliche Abgrenzung von deutscher Vergangenheit  Bundesrat: NSDAP-Mitglieder darin, auch hohe Funktionäre im Krieg, z.B. Kurt Georg Kiesinger (wurde 3. Bundeskanzler nach Adenauer und Erhard)  Böll selbst gegen Kiesinger gesprochen, hat dann Beate Glasfeld (?) Rosen geschickt (Journalistin)  Böll versteht Schriftsteller als einen, der in der Öffentlichkeit für die Menschen spricht Erzählgegenwart: nur 3-4 Stunden Beginn mit Eintreffen Hans Schniers in Bonn (Topos für staatliche, wirtschaftliche und religiöse Machtzusammenhänge)  1935 geboren  aus protestantischer Industriellenfamilie 50

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 Beruf: Clown  Auftritt in Bochum: Knie verletzt  ist in seiner Wohnung, nimmt ein Bad, telefoniert, bekommt Besuch von Vater 25 Kapitel in Ich-Form  gedankliche Monologe  Kindheit: kühl geprägt, Mutter auf Repräsentation bedacht, unempfindlich für Kinder, empfänglich für NS-Propaganda  Henriette: Falck-Helferin in letzter Kriegsphase  findet dabei den Tod, für Hans ein Kindheitstrauma, über das er nicht hinwegkommt  Hans beginnt Verhältnis zu katholischer Marie  Tochter eines von Nazis abgesetzten Lehrers  Heiraten nicht: führt zum Bruch mit Hans‘ Eltern  sie leidet unter Situation in unverheirateter Beziehung  verlässt Marie  Frage von Kindern und Heirat (habe Fehlgeburten gehabt), Taufe kritischer Punkt  steil bergab mit Karriere von Hans  versucht, Anrufe zu führen – in Dialogen wiedergegeben o Kirchenfunktionäre: Abrechnung mit ihrer Härte 13. Kapitel = Achse des Romans  Gespräch mit geistlichem Berater Sommerwild  erfährt, dass Marie auf Hochzeitsreise – nimmt dann selbst „katholische“ Position ein  Gespräch über Sex (Wort selbst wird nicht genannt)  Hans‘ Kritik: kirchlicher Sexualmoral, Verknüpfung der Kirche mit weltlicher Macht

- melancholischer Anarchismus o o

o o

Hans‘ Protest führt nicht zu politischem Engagement in Sekundärliteratur betont, dass sich Hans in alte Tradition des Narren einreiht (z.B. wie bei Shakespeare)  halten weltlicher Macht einen Spiegel vor, sind dafür lizenziert Melancholie als Leiden beschrieben, unter dem er schon immer leidet seit Antike auseinandergesetzt (grundlose Trauer)  Lehre von Körpersäften: überfließen von Galle ins Blut  Melancholiker handelt nicht: Reflexivität prädestiniert für Intellektualität und Künstlersein 

Wolf Lepenies: „Melancholie und Gesellschaft“ (1969,1998) 

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grundlose Melancholie ist Folge von gesellschaftlichen Prozessen, ist nicht von Grund auf gegeben  meint, erzwungene Inaktivität (durch Arbeitslosigkeit) führt zu kollektiver Melancholie o z.B. arbeitslose Jugend in Roman Symptom für Umstand, dass gesellschaftlicher Handlungsspielraum seiner Generation beengt ist 51

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Roman beschreibt Fortbestehen der alten Eliten konkretes Beispiel: Hans Werner Richter und Androsch Zeitschrift in München gegründet: „Der Ruf“  Amerikaner führten Zensur: verbaten Zeitschrift, weil sie überdemokratisch galt  nach Verbot wurde Gruppe 47 gegründet Hans wird romantischer Anarchismus vorgeworfen  Anarchismus = Bestreben, jede Macht/Autorität abzuschaffen  wettert gegen Gesetz und Ordnungsprinzipien  Gegenbegriffe: Humanität und Barmherzigkeit (ursprünglich Eigenschaft Gottes)  meint eine nicht auf Geschäft gerichtete Zuwendung  barmherzige Frauen (nicht für Geld und nicht für den Mann, sondern nur aus Barmherzigkeit mit männlicher Natur)  Mitmenschlichkeit als ungeregeltes Geschenk (bleibt utopisch für Gesellschaft und ihn selbst)

- eine Liebesgeschichte? o

o o

o o

Marcel Reich-R.: Roman aus 2 Teilen: sozialkritische Darstellung und erotische Geschichte  1. nicht geglückt, 2. schon: gelungen, leise und unpathetische Liebe zu vergegenwärtigen worin besteht die Liebe von Hans? Marie gesellschaftliche tiefer rangiert als Hans selbst (gilt als Proletarierin)  alle Informationen kommen von ihm  spricht ihr die Intelligenz ab (sagt es ganz beiläufig), denunziert sie als First Lady des deutschen Katholizismus (traut ihr zu, dass sie zu dämlich auftritt)  Verrat und Hurerei, dass sie mit anderem Mann zusammen ist, will sie wie verlorenen Gegenstand zurück Selbstmitleid und Vorurteile Kritik fiele auf sich selbst zurück, sozialkritische Darstellung darum aber nicht abzusprechen  Lesart ist möglich, steht dann aber quer zur Rezeption  Kritiker haben Bölls Figur als sein Sprachrohr verstanden – Kritisierbarkeit der Figur an sich lag zu fern

- Rezeption o o o o

Zeitpunkt des Erscheinens: renommierter Autor Buch auf enormes öffentl Interesse gestoßen 8 Rezensionen in 1 Zeitschrift katholische Kirche:  gekränkte Reaktion  katholische Buchhandlungen boykottierten Verkauf  im selben Jahr 63: 3x hintereinander öffentlich angegriffen (u.a. Böll)  März durch Uraufführung von „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth o Kritik an Papst (Pius XII.): zu Untaten der Nazis geschwiegen, Deportation unter Augen des Vatikans (er war tatsächlich sehr umstritten, nicht öffentlich gegen Nazi-Deutschland aufgetreten, 52

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versucht Juden zu schützen, hat aber zu Deportationen nichts gesagt) o Stück löste Debatte aus  Carl Amery: „Die Kapitulation“ o Nachwort von Heinrich Böll o beschuldigt Milieu-Katholizismus vor Hitler kapituliert zu haben und würden in Gegenwart (60er) nicht biblische Inhalte sondern rigide Moralvorstellungen und Besitzvorstellungen vertreten  Begriffe Katholiken und Juden im Werk ausgetauscht? öffentliche Auseinandersetzung  Ende 63: über 100.000 Exemplare des Buches verkauft Verteidiger Bölls:  Entgegnung zu R-R. Buch sei sowohl Liebesgeschichte als auch sozialkritische Darstellung  Lob an Sprache und Form vom großartigen, kompakten, geschlossenen Roman Gegenstimmen:  Einseitigkeit, Rührseligkeit und .. des Buches (zwischen Autor und Figur oft nicht unterschieden)  Kritik, er würde den Leuten nach dem Munde reden  auch: Rudolf Augstein (Herausgeber „Der Spiegel“) – Linke Kritik  um Zeit des Romans aus Haft entlassen worden o Verteidigungskonzept von Deutschland angegriffen, einige Redakteure und Augstein wurden unter Verdacht des Landesverrats (=Verrat von Verteidigung an den Feind) in Haft genommen o sog. Spiegel-Affäre“ (1962/63) o wurden freigelassen = Sieg der Pressefreiheit  Schwarz-Weiß-Zeichnung von Böll vorgeworfen  politische Ungezieltheit (Undifferenziertheit) bis 81: 1.000.000 Exemplare in ca. 20 Sprachen übersetzt Kritik an Institutionen in BRD

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DIE 1970ER JAHRE: BEWEGUNGEN -

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Jahrzehnt der Bewegungen in unterschiedliche Richtungen gesellschaftliche Liberalisierung 1968 dominante Jugendliteratur und –kultur Abschaffung von Studiengebühren – studentische Mitbestimmung auf verschiedenen Ebenen erreicht (z.B. bei Entscheidungen über Habilitationen) Vollbeschäftigung in 70ern Krisenjahrzehnt: o Knappheit der Ressourcen ins Bewusstsein getreten o Ölkrise 1973 Terrorismus: o RAF (Rote Armee Fraktion)  Entführungen, Morde, Brandlegungen, usw.  BRD mit Ermächtigungsgesetzen reagiert (weitreichende Befugnisse für Polizei)  kulminiert 1977 (zweite „Generation“)  Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin (alle drei in Hochsicherheitstrakt gestorben, u.a. Selbstmorde, jedoch Spekulationen über Hinrichtungen) Linke und Liberale Bewegungen  Friedensbewegung  Anti-Atombewegung  Zweite Frauenbewegung (1. ab Mitte 19. Jhdt) im Gefolge von 1968 o gesellschaftliche Veränderungen:  Kalten Krieg beenden  gegen friedliche Nutzung von Atomenergie (als bedrohlich empfunden)  Zwentendorf: Volksabstimmung gegen (50,47‘%) Inkrafttreten „feministisches Jahrzehnt“ o Anti-Baby-Pille (Pillenknick in Demographie)  Anzahl der Geburten um fast 50% verringert o Legalisierung Abtreibung  Schwangerschaftsabbruch bis 3. Monat gesellschaftliche/kulturelle Liberalisierung + Ernüchterung darüber, dass Literatur gesellschaftlich relevant sein muss neue Subjektivität in Literatur im Gegensatz zu gesellschaftlichem und sozialkritischem Engagement o Themen wie Familie kommt wieder in den Fokus, wurde zuvor mit 1968 ausgeblendet o Autobiographische Tendenz dieser Literatur o

z.B. Peter Handke  v.a. sprachkritische und experimentische Literatur  „Die Stunde der wahren Empfindung“ (1975)  Bedürfnis nach authentischen Erfahrungen, Dinge als Phänomene für sich zu sehen, keine größere Bedeutung  große Handlungsarmut bei gleichzeitiger Detailversessenheit = „magischer Moment“ (etwas Beobachten ohne Bedeutungen zuzuschreiben) 54

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 als geschichtsfremder Rückzug kritisiert worden Terminus von Marcel R.-R.

Individuum und Geschichte -

politisches Bewusstsein und Autobiographie vereinen

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Väterliteratur: o

z.T. Auseinandersetzung mit Nazi-Vergangenheit der Väter, innerfamiliärer Gewalt

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Beispiel: Uwe Johnson „Jahrestage“ (1970/71/73/83) o vierbändiger Roman o fiktives Tagebuch einer alleinerziehenden Mutter in New York über Kindheitserinnerung in Mecklenburg o Innerlichkeit von Geschichte und Reaktion auf zeitgenössische Geschehnisse o Auseinandersetzung mit Medienwirklichkeit  man bezeugt Geschehnisse nicht durch eigenes Beobachten, sondern über die Medien, über Selektion  hier: New York Times  Suche nach Wahrheit lässt sich nicht mehr in objektive und subjektive Wahrheit aufspalten o eigene Position im Roman als Dialogpartner der Figur

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Sprach- und Ideologiekritik o o o o o

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Erzählliteratur versucht Subjektivität und Geschichtsbewusstsein auszubalancieren experimentelle Poesie: esoterische Sprachspiele Vorwurf des Unpolitischen (nicht zu bestätigen, s. Ernst Jandl „Schützngruam“) kein Selbstzweck irritierender Umgang mit der Sprache (wird selbst zum Material) mit Aufkündigung von semantischen Übereinkünften, Verfremdung, Aufbruch von Syntax o z.B. Ernst Jandl „die bearbeitung der mütze“ (1978) (auch: „Schützngruam“, „Wien Heldenplatz“)  Lautgedichte  onomatopoetisch (lautmalerisch) oder neologistisch  Gewalt der Sprache ausgedrückt  Reflexion von Sprache als gesellschaftliches Phänomen  „von einen sprachen“ (1978)  Vorführung einer Gastarbeitersprache  Eliminierung des lyrischen Ich  nur noch Infinitive (kein Subjektbezug), wahres Gesicht der sprachlichen Entstellungen zeigt sich  Kritik: Herunterkommen der Sprache auf Verlogene Diskurse feministische Literatur o Folge der Frauenbewegung, diese wiederum Folge der Studentenbewegung von 1968 o 1969 Formation der Zweiten Frauenbewegung (Familienrecht, Abtreibungsfrage, öffentliches Dienstrecht)  bei Familienrecht zahlreiche Reformen durchgesetzt  Devise „Das Private ist das Politische“ (Slogan) – Bedeutung geschlechtsspezifischer Gegensätze o Literatur und Literaturwissenschaft haben den Prozess begleitet 55

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„Frauenliteratur“ enthält selbst noch Element der Diskriminierung!  von vielen Autorinnen als diskriminierend verstanden  Geschlecht der AutorIn als Differenzmerkmal behandelt o Beispiele:  Verena Stefan „Häutungen“ (1975)  Ablösung aus sexuellen Beziehungen/Mustern, neuer Umgang mit weiblichem Körper, neue weibliche Wahrnehmung + Sprache  Metaphern für weiblichen Körper sind ausgesprochen konventionell  Anspruch, dass Frauen keine Sprache für den eigenen Körper haben  Bachmann: dialektischer Umgang mit Machtverhältnissen durch Sprache Reaktion der Literaturwissenschaft: o „Frauenforschung“  Versuch gegen Ausschluss von Frauen aus Literaturgeschichte zu protestieren, sondern Bücher wieder aufzulegen, Rekonstruierung  Grundlagentexte hergestellt, Biographien von Autorinnen gesammelt o „feministische Literaturwissenschaft“ (80er)  literarische, philosophische, etc. Diskurse o „Gender Studies“ (90er)  Männlichkeit und Weiblichkeit gesellschaftliche Konstrukte, Bedingungen und Bedeutungen dessen

Elfride Jelinek: „Die Liebhaberinnen“ (1975) -

Prosawerke: Die Liebhaberinnen, Die Klavierspielerin (1985), Die Kinder der Toten (1996), Wir sind Lockvögel, Baby (1970), Michael ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft (1972) Dramen: Ein Sportstück, Babel Nobelpreis „Nestbeschmutzerin“ Lockvögel + Michael o Mythen des Alltags im Sinne von Roland Barthes (z.B. Autos schon so natürlich, als wären sie gewachsen)

Die Liebhaberinnen -

Natur als Kunstprodukt entlarven Thema „Weiblichkeit“, das mit Natur verbunden wurde Titel o geht zurück auf „Sons and Lovers“ von D.H.Lawrence 2 weibliche Lebensläufe in Stadt / Land o Brigitte:  hofft durch Heirat und Geburt aus Fabrik herauszukommen  Heinz, Elektroinstallateur  absichtliche Schwangerschaft, um Heinz an sich zu binden o Paula, 15:  Tochter von Holzarbeiter

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o

Wahl zwischen Hausfrau und Verkäuferin – Schicksal von Generation zu Generation weitergegeben und für natürlich gehalten (Tautologie „natürlicher Kreislauf der Natur“)  setzt unerhörte Alternative durch: Schneiderei lernen zu können  wenn es gelänge, wäre es unglaubliche Emanzipation  Erich (Alkoholiker)  unabsichtliche Schwangerschaft 2 Hochzeiten (parallel)  Paula: schlechtes Ende  Gelegenheitsprostitution, schuldig geschieden, endet dort wo Brigitte angefangen hat

- Liebe und Desillusion o o

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beide Frauen „wissen“ genau, wie sich die Liebe zu ereignen hat Liebesklischees der Populärkultur – Herkunft:  Liebes- und Aufstiegsschema im 18. und 19. Jahrhundert nicht obsolet:  Samuel Richardson: „Pamela“ (1970) – eine soziale Stufe über Heldin -> A  Charlotte Brontë: „Jane Eyre“ (1847) -> A  Gustave Flaubert: „Madame Bovary“ (1875) -> D  Leo Tolstoi: „Anna Karenina“ (1878) -> D  Theodor Fontane: „Effi Briest“ (1895) -> D  „Aschenputtel“-Schema (A) tritt zum Sujet der Trivialliteratur herab  dass Liebe zu Ehe führt und die zu dauerhaftem Glück mochte Roman ab Mitte des 19. Jh. nicht mehr glauben – nicht Geschichte von Liebe zur Ehe erzählt, sondern ab der Eheschließung (=Desillusionsromane D) mit Tod der Protagonistin (Ehebrecherin)  wichtig: beschränktes Bewusstsein der Heldin  damit ist bürgerliche Angst markiert o untreue Ehefrau ist nicht Skandal, weil sie sich gegen Liebe vergeht, sondern weil sie die Erbfolge bedroht (durch Kuckuckskind)  dann: „Glücksverbot“ in Hochliteratur (anders in der Trivialliteratur!)  Liebes- und Eheideologie als schlecht markiert in Hochliteratur, in Trivialliteratur gegenteilig  Unterhaltungsroman:  z.B. Ärzteroman  nicht zeitlos, sondern immer an gesellschaftliche Umgebung adaptiert  Reduktion der Wirklichkeit auf Reste, die zu schönem Schein zusammengefügt werden  Erweiterung des Literaturbegriffes / Demokratisierung des Literaturbegriffes in 170ern  neuer Forschungsgegenstand „Trivialliteratur“  daran heftige Kritik geübt Anfang 80er mit falscher Ideologie des „Happy Ends“ setzt sich Jelineks Roman auseinander  Versatzstücke des Liebesdiskurses und Phrasen montiert  Mutter-Tochter-Verhältnis: ideales Glück und reales Unglück 57

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Liebe, Glück und Mutterschaft o o o o

auch Themen der Trivialliteratur auf satirische Weise verkoppelt „schlechtes“ Beispiel: Paula folgt Muster des Desillusionsromans  Gelegenheitsprostitution als Sündenfall „gutes“ Beispiel ist Brigitte mit Haus, Mann und Sohn: hier regiert allerdings der Hass

- Markt, Ware und Kälte o o o o o o o

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Jelinek Mitglied der KPÖ, Mitte 70er Kapitalisierung und Ökonomisierung der Liebe (marxistische Sicht) Liebe ist Markt weiblicher Körper auf Markt als Lockangebot geworfen wichtig, Marktwert des Frauenkörpers zu erhöhen  Frische und Unverbrauchtheit wichtig Schwangerschaft von Paula entwertet sie als Produkt Subtraktionen, Additionen, Kalkulation im Dorf – Metapher der „eisigen Kälte“  Kälte ist Eigenschaft des Marktes und seines Kalküls  neben kapitalismuskritischer auch diskurskritische Funktion:  konkreter „Sitz im Leben“, Metapher zieht sich durch ganzen Roman (steht im Gegensatz zur „heißen“ Liebe)  Figuren vereisen in der Kälte Verdinglichung der Frauen ist Prozess mit tödlichem Ausgang  Frauen als „Leichen“ schon am Anfang des Werkes („heiraten oder anders zu Grunde gehen“) oft Autorin für dargestellte Misere verantwortlich gemacht  rechnet mit Figuren ab, beißende Ironie, keine Sympathie und nur Wut WOBEI es der Witz des Werkes ist, dass der Text nicht auf Empathie setzt, insofern ist er tatsächlich „kalt“ gezeigt wird beschränktes Bewusstsein, Klischees in sich aufgenommen, agieren so, wie es von ihnen erwartet wird

- Rhetorik und Witz o o

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ironisch als „natürlicher“ Kreislauf bezeichnet: sprachliche und stilistische Verfahren rhetorische Figuren der Wiederholung (Anaphern, Parallelismen, vollständig identische Sätze)  z.B. Monotonie von Arbeitsprozessen dargestellt („Erich mäht Gras fürs Futter“  Leser wird dieselbe Langeweile zugemutet wie der arbeitenden Person  Austauschbarkeit der Personen und der Wünsche dargestellt  Hochzeitsschilderung (Ideologisch der Höhepunkt einer Liebesgeschichte)  im Roman als kollektive Erfahrung sichtbar (Parallelisierung der Lebensgeschichten)  in Kritik als Zumutung benannt  zeigt, dass diese Tricks zumindest als Provokation funktioniert haben nicht alles ist verwechselbar und symmetrisch, denn es geht auch immer um Asymmetrie! -> Abweichungen, aus denen antithetische Figuren werden können  unterschiedlicher Aufgang der Lebensgeschichten 58



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Antithese der sozialen Unterschiede (Jelinek angegeben, dass ihr das als Marxistin wichtiger ist)  Antithese der Geschlechter spezifischer Rhythmus durch diese beiden Figuren Metatext  ironische Ansprachen an Publikum  ironische Reflexion der Gattung (Roman – Fortsetzungsroman), ironische Gattungstheorie  eigene Poetologie  Liebhaberinnen als Anfang der öst. Literaturtradition, als AntiHeimatroman bezeichnet (Innerhofer, Wolfgruber, Winkler -> Bösartigkeit des Arbeitslebens)  erwähnt: „Dies ist kein Heimatroman.“ / „Dies ist kein Liebesroman.“ keineswegs ein trostloser Roman, sondern witzig  lange Zeit von bundesdeutschen Interpreten lange nicht so gesehen  Aufeinandertreffen von inkompatiblen Größen, Unerwartetes und Unvereinbares  z.B. triviale Liebes- und Glücksideologie und die Realität  Operation von Diskursen, die bis heute allgegenwärtig gesetzt – werden entstellt und erkenntlich gemacht  Schockwirkung auf Publikum hat sich später in Rezeption von Jelineks Werk erhalten

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4.6.2013

DIE 80ER JAHRE: „POSTMODERNE“ UND GESCHICHTE -

nach 1945, 1968 und 1977 (deutscher Herbst) findet sich Ende 80er wieder politisches Ereignis als definitives Ende der Nachkriegsgeschichte o schlechte wirtschaftliche Situation o Ostblock vs. Westen o 1989: Öffnung des Eisernen Vorhangs zwischen West und Ost – Einleitung des Zusammenbruchs des kommunistischen Regimes (9.11.1989 Fall der Berliner Mauer)  Abgeschlossen mit Wiedervereinigung von DDR und BRD (40 Jahre Trennung zu Ende)

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„Ökologisches Jahrzehnt“ o o o

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globale wirtschaftliche Entwicklungen o o o o o

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mit Zusammenbruch des Kommunismus hatten kapitalistischen Staaten „gesiegt“ Neoliberalismus (Zurücknahme staatlicher Einschränkungen der Wirtschaft) Rückbau des Sozialstaates (England: Thatcher, USA: Reagan) westliche Demokratien: Wiedererstarken rechter/rechtsradikaler Parteien Waldheim-Affäre 1986: längst überfällige Auseinandersetzung mit österreichischer Mitschuld an Kriegsverbrechen (konnte Waldheim nicht vorgeworfen werden!)

Alltagskultur o o o o o o o

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kollektives Bewusstsein für globale Umweltverschmutzung (viele Warnungen schon Jahre lang gegeben, z.B. 1954) – langer Weg zu Industriestaaten Gründung der Grünen Parteien (1980 in D, 1983 in Ö) Ausbeutung der Ressourcen: 1986 Verschärft durch Reaktorkatastrophe in Tschernobyl

neue Medien  Home-PC, Fotokopierer, Anrufbeantworter, Videorekorder Jugendkultur: elektronische Pop-Kultur geforderte schrankenlose Liebe der 70er wurde durch Schock über Aids-Seuche abgelöst Angst vor nuklearem Desaster weltweit ansteigende Arbeitslosigkeit Punk-Slogan „No Future“ verbreitete sich unter Jugend „Post-Histoire“ = Vorstellung vom Ende der Geschichte  These: in Gesellschaft greifen alte Weltbilder nicht mehr, jedoch kann sich prinzipiell Neues mehr ereignen (gibt es nicht mehr)  Annahme der Aufklärung der ständigen Verbesserung der Menschheit nicht mehr gesehen  nur noch Aufzeichnung von Informationen, die sich vervielfachen  verwandt mit Rede vom Postmodernismus

Postmoderne o o o

Bündel von Konzepten aus Philosophie, Ästhetik, Kunsttheorie, etc. Diskussion darüber in 80ern dominant einerseits grenzenlose Spielräume in der Gesellschaft (nichts Absolutes, Pluralität über Weltanschauungen, kein Konsens mehr über Werte, Tendenz des laisser-faire ) – andererseits Moderne (ab 1880-Mitte 20.Jh.) beklagt abgebrauchte Sprache, etc., allerdings wird das in der Postmoderne zum „Spiel“ des Wissens und der Sprache 60

o o o o

„Witz“ der Kunst: respektloses Spiel Absage dem Anspruch von Originalität: Sample, Kopieren, Verfremdung, Veränderung, etc. plurizentrische und heterogene Vielfalt aufgelöst JEFF KOONS  „Pink Panther“ (1988)  „St. John the Baptist“ (1988): Sample mit kulturellen Ikonen, Negierung dessen Wertes, Verfremdung (Kombination mit unüblichen Elementen), aus Porzellan (dysfunktional)

Literarische Beispiele dieser Strömungen: - LYRIK o

Sarah Kirsch: „Erdreich“ (1982) 

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Bsp. für DDR-Literatur, Vorzeigelyrikerin in DDR; Widerstandsbewegungen: Ostdeutsche Autoren spielten große Rolle, eine der ersten Unterzeichnerin eines Protestschreibens gegen die Ausbürgerung eines Schriftstellers (?)  Thema der Umwelt: Titel zeigt dass nicht nur Garten gemeint ist, sondern auch Reich der Erde/Himmelreich/Reich der Menschen  Raupe in erster Zeile: auch Planiermaschine, nicht nur Ungetier  Vernichtung, Ausdörrung  vor Jahren / dort und hier – Vergleich  „meines Vaters Garten“ – Beginn biblische Sprache: Deutung auf verlorenes Paradies, „Plagen“: Anspielung auf Buch Exodus, Engel: profaner Schädlingsbekämpfer, 27 + Rosen: heilige Zahl und Symbol für Maria (Rettungsaktion dessen ist wieder Vernichtung – Anspielung Holocaust)  Israel/Jerusalem bei Celan mit Metapher „Mandel“ – hier aufgegriffen  Bezug auf Essay Walter Benjamin: „Über den Begriff der Geschichte“ (1940)  Referenz auf Bild von Paul Klee (Engelbild)  pessimistische Einschätzung unserer Zukunft und Entwicklung  aufgegriffen von Kirsch mit dem „Engel“ Durs Grünbein: „Grauzone morgens“ (1988) / „Was alles klar wird“  DDR-Literatur (Endzustand!), aus Dresden  damals junger Lyriker  Jammervolle Stadt-Landschaft  Grauzonen-Landschaft (Deutung auf geteiltes Deutschland)  Verbotstafeln: Zeigen auf DDR; auch mit „du fliegst nicht aus“  „haften“ = „verhaftet“  Tausendfüßler = Kollektiv als Kriechtier (jeder ist nur 1 Fuß, kann keine eigene Bewegung machen)  Traum der klassenlosen Gesellschaft zum Trauma  letzte Zeile: + „Stadtbilder aus der Geschichte“  Dresden nach 2. WK eine der meist zerstörtesten Städte  „Brühlsche Terrasse“ = „Balkon Europas“ (in Dresden)  Zeppelinflughafen in Dresden in 20ern: in 1. WK als Bombenfluggeräte verwendet (schwarz wegen Tarnung in der Nacht) 61



= Symbol für Katastrophen ab dem 1. WK

- DRAMATIK: o Thomas Bernhard  





  

zu Lebzeiten sehr umstritten der Theatermacher (1985)  Scheitern der Figuren und Thema Umwelt  doppelte Ironie: Ausdruckspathos der Person ist gültig, Ausdruck ist hohl (schminkt Gesicht der Frau schwarz)  Atomzeitalter (Ende der Welt in deinem Gesicht: schwarze Schminke) Heldenplatz (1988)  Emigrantenfamilie nach Wien zurückgekehrt, am Heldenplatz  Nazi-Vergangenheit Österreichs ist Thema + Wiedererstarkender Antisemitismus  Geschrei vom Heldenplatz in Gespräche der Familie o 1938 Rede Hitlers  löste Proteste aus  Text vor Aufführung unbekannt (kam dennoch irgendwie an die Kronenzeitung und diese machte Skandal daraus und legte Bernhard die Worte der Figuren in den Mund, v.a. negative Rede über Österreich) o DER Theaterskandal in 2. Republik (1. war Schnitzerls Reigen) Themen: Verlust von Angehörigen, radikale existenzielle Anklage, NS-Zeit, Krankheit, fundamentaler Zweifel an Kunst und Leben, Bösartigkeit der Zeitgenossen 5 Bände Autobiographie (Ursache, Keller, Atem, Kälte, Kind) = Schul- und Ausbildungszeit in Salzburg Skandalautor, Negativität des Dargestellten gegen ihn selbst gerichtet nach seiner „Verteufelung“ zu Lebzeiten großes Lob nach seinem Tod

- PROSA o

erfolgreichste Romane mit Etikett „postmodern“ 

Patrick Süskind: „Das Parfüm“ (1985)     



meistverkaufte deutschsprachige Buch aller Zeiten Verfilmung 2006 18. Jhdt., Mädchenmörder mit hochsensiblem Geruchssinn Ironisierung von verschiedenen Traditionen, Pseudowissen dieser Zeit Handlung selbst als Biographie linear gestaltet Christoph Ransmayr: „Die letzte Welt“ (1988)  postmodern nicht ganz zutreffend

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Christoph Ransmayr: „Die letzte Welt“ Aufbau und Handlung -

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15 Kapiteln Reisender Cotta: Redner und Freund von Ovid o reist nach Tomi (heute Konstanza in Rumänien) – Ovid wurde dorthin verbannt von Augustus von Anfang an klar, dass es um Schicksal des Autors geht 9 Jahre nach Verbannung trifft Cotta ein (17 n.Chr.) o Handlung von April 17 bis November 18: Handlungsdauer sind 10 Monate Tomi = „die eiserne Stadt“ erste historische Ebene (17 n.Chr.) wird überlagert von anderen Ebenen der Gegenwärtigkeit von Ransmayr (z.B. Bushaltestellen) Figuren mit literarischen Namen aus Ovids Metamorphosen (geschrieben 1-8 n.Chr.) o Fama, Thereus, Arachne „Ein Ovidisches Repertoire“ als Anhang des Romans o ursprüngliche Quelle der Namen, etc. erläutert

die Metamorphosen: o o o

15 Bücher Weltgeschichte vom Beginn der Welt bis zu seiner Gegenwart bei Augustus alte, überlieferte griechische Mythen – Prinzip der Verwandlung / Gestaltwechsel  alles verändert sich und keinem blieb seine Gestalt  Menschen werden verwandelt in Tiere, Steine und Pflanzen  Tereus: o König, mit Procne verheiratet o Vergewaltigung von Schwägerin Philomela + Zunge abgeschnitten; sie webt Lebensgeschichte in Gewand ein, lässt es der Schwester zukommen und so kommt sie Gewalttat auf die Sprünge o Kind tot o alle werden in Vögel verwendet (Philomela-Schwalbe, ProcneNachtigall, Tereus-Wiedehopf: hier Grausamkeit durch spitzen Schnabel gezeigt  Fama: o Göttin des Glücks o positiv dargestellt, jedoch auch negativ durch „Göttin des Gerüchts“ = soziale Kontrolle, üble Nachrede o bei Ransmayr: Krämerin des Ortes (-> Tratsch) 

!Arachne: o o

gr. Spinne (spinnt ihr Netz, weil sie verwandelte Weberin ist, die bestraft worden ist) berühmte Weberin, behauptet schöner zu weben als Palas Athene selbst 63

o

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fordert Göttin zu Zweikampf heraus: tatsächlich sind ihre schöner  Göttin verliert Fassung, zerreißt Gewebtes, Arachne hängt sich daran auf Tomi mit Figuren bevölkert, die mit Eigenschaften, etc. verbunden sind Zyparis (Filmvorführer) o zeigt Zeitüberlagerung o träumt von Größe o Verwandlung in Baum (Traum) – Verbindung mit Ovids Metamorphosen  Zypresse = Baum der Trauer (Friedhofsgewächs, rührt aus dieser Tradition) – Verwandlung o Verschachtelungen der Ebenen:  in Film ebenfalls Verwandlungsgeschichte (von Ceyx und Alkyone)  liebende Eheleute müssen sich trennen, Mann ertrinkt bei Schiffsbruch, liebende Frau sieht toten Körper treiben, will sich das Leben nehmen, Götter haben Erbarmen und verwandeln beide in Eisvögel  Verschmelzung von Fiktion und Realität / medial dargestellte Realitäten  Reaktionen der Film-Seher – Verschmelzung

3. Kapitel: o o o

o o

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4. Kapitel: o

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Cotta begibt sich auf Suche nach Naso (Trachila) trifft auf Knecht Pythagoras 15 (!) Steinsäulen freigelegt  von Nacktschnecken überdeckt, durch Essig von Pythagoras gesäubert  philologische Genauigkeit: Einkerbungen von Ovid entziffert  letzte Verse aus den Metamorphosen (s. Folie) – freie Übersetzung Passage beschäftigt sich mit Materialität der Schrift, ewige Dauer von Schrift in Stein?, Schnecken töten, um Stein freizulegen, etc. „Exkurs“.: Ovid wurde von Augustus aufgefordert, eine Rede zu halten bei StadionsEröffnung  Zorn des Kaisers auf sich gezogen: Wahl eines mythologischen Stoffes mit Verwandlung  Ovid wird dann verbannt (vgl. Ausweisungspraktiken in DDR durch Sprache)  Möglichkeit von individuellem Handeln abgesprochen Faschingsumzug  andere Form von Verwandlung  Anlehnung an Karnevalisierung von Michail Bachtin  soziale Rollen können getauscht werden, Machtverhältnisse der normalen „Welt“ sind außer Kraft gesetzt

5. Kapitel: o

Begegnung mit Echo (Magd und Gelegenheitsprosituierte)  in Mythologie eine Nymphe  Aufgabe, Juno abzulenken, während Jupiter Abenteuer auslebt; Juno kommt darauf und bestraft sie durch Einbuße des Sprachvermögens, nur noch letzten Silben des Gegenübers 64



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6. Kapitel: o o

o o

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Bericht von Rom  Schriften als Form des Widerstandes (Verweis auf 3. Reich) Schilderung eines „goldenes Zeitalters“ am Beginn der Metamorphosen: kein Gesetz, keine Waffen, etc.  wird von Gegnern des Augustus als Widerstand interpretiert  Problem von politischer Indienstnahme von Literatur angesprochen nach Tod von Augustus (14 n. Chr.) und Regierungsantritt von Tiberius wird Verbannungsurteil nicht zurückgenommen letzte Nachricht von Ovid an seine Frau: Möglichkeit des Todes  Regime als „Versöhnungsgeste“: Gedenktafel  allg. Annahme: 16 oder 17 n.Chr.

Liebesgeschichte von Cotta und Echo o o

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Versteinerung der Echo  Sonderform der Verwandlung (hier kein fließendes Element mehr), scheint diametral entgegengesetzt

Beginn mit Vergewaltigung sie erzählt, was sie von Ovid weiß  v.a. Erzählungen von Versteinerungen („Buch der Steine“) und von Umkehrung der Verwandlung (kommt tatsächlich in Metamorphosen vor)  Vorausblick von Ovid auf Weltende durch Flut  s. biblischer Mythos von Sintflut  einzelne Überlebende: Deukalyon und Phyrra o werfen Steine hinter sich und daraus entsteht ein neues Menschengeschlecht  4. Zeitalter (Eisernes) wird in Metamorphosen durch Flut beendet o bleibt dann Zustand der Menschheit: „hartes Geschlecht“ o bei Ovid sind Menschen von Anfang an aus Stein geworden (bei Ovid Anfang der Menschheit, bei Ransmayr apokalyptische Funktion) „verliert“ Echo, Ende ihres Mythos

in Mitte des Romans: Treffen mit Arachne o

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Gewebe: „Buch der Vögel“  Annahme von Cotta: aufsteigende Geschichte der Natur (Stein bis Vögel)  z.B. Ikarus und Dedalus bislang war Geschichte von Cotta und Naso getrennt, ABER: in 2. Hälfte gehen beide Ebenen ineinander über:

9. Kapitel: o o

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Jason trifft mit Schiff in Tomi ein Bewohner Tomis werden selbst verwandelt  Beginn mit Battus (Sohn von Fama): Verwandlung in Stein  ist ursprünglich in Mythologie ein Hirte, der in Stein verwandelt wird Einführung eines neuen Mediums: Episkop (Tageslichtprojektor)  Bilder und Gegenstände des Alltags erscheinen verwandelt  analog projizieren sich antike Geschichten in Roman hinein 65

o

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11. und 12. Kapitel: o

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Todesgräber, Deutscher gr. Hades Trauma vom Krieg, verfolgt in Träumen: Gaskammer (-> Verweis auf Holocaust)  Vergleich von Holocaust mit Unterwelt schon in Nachkriegszeit! „lupus est homo homini“ (Plautus, Asinaria)  Satz berühmt geworden durch T. Hobbes  zitiert, weil Wolfsverwandlung eine Rolle spielt (Lykaos) Rückkehr von Philomela

15. Kapitel: o o o

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Thies   

14. Kapitel: o

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nur Bruchstücke von Spuren zu Naso, wird aber nicht gefunden

13. Kapitel: o

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Gesetze der Logik scheinen verloren: Verschwinden in Fiktion

Rache der Frauen Verwandlung in Vögel Cotta: Stofffetzen, noch einmal ins Gebirge

WICHTIG: o o o o o

Intertextualität Autor und Leser (abwesender Autor, der nicht gefunden wird und suchender Leser) Schrift und Überlieferungsträger (Stoff, Stein) Autoreflexivität Mythos und Geschichte

- Intertextualität o o

gerade in 80ern stark diskutierte Begriff nach G. Genette = Effektive Präsenz eines Textes in einem anderen  Präsenz liegt bei Ransmayr von Anfang an offen (Biographie und Inhalt von Metamorphosen von Ovid) – Personen (Eigenschaften, Faschingsmaske), tatsächliche Nacherzählung der Mythen am Ende des Romans (Verwandlungen)

- Der abwesende Autor o o o o

taucht nie auf, Leser wissen aus Realdaten, dass er wahrscheinlich schon tot ist Parabel als unerreichbarkeit des Autors  Einritzungen auf Steinen, Schrift auf Stofffetzen sind nur Hinweise nicht wirklich zu fassen, biographische Person verwandelt sich interpretiert bezüglich Theorie von Roland Barthes „Der Tod des Autors“  laut ihm ist Autor der, der Text schreibt (entsteht mit dem Text) und dessen biographische Person für Lektüre irrelevant ist  Autor entsteht mit seinem Text (Bild vom Autor entsteht durch Lektüre, muss nichts mit biographischer Person zu tun haben)  Text entsteht im Dialog mit vielen Texten, nicht aus Autonomie des Autors  Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit Tod des Autors  im Roman Narrativierung dessen 66

- Der suchende Leser o o

o

Gegenstück zum abwesenden Autor im Roman durch Cotta verkörpert:  Suche durch Inschriften, Erzählungen anderer, Bildmedium (Teppiche von Arachne)  ist ebenso Interpret  hat am Ende allerdings nichts: kann Autor nicht fassbar machen (wäre Absicht der Interpretation)  Fiktionalisierung dessen, dass Leser den Autor nie erreicht immer zum Scheitern verurteilter Versuch des Lesers, auf Intentionen des Autors zu kommen

- Medialität o

o o

o o

Buch über Medien  Schrift auf Pergament, Stein, Stoff  Episkop  mündliche Erzählungen  Bildlichkeit: Wandteppiche Verwandlungen: im Film / in Realität  Wirklichkeit durchdrungen von medial Vermitteltem? Dauerhaftigkeit?  Steine zerfallen, Stoffe verbrennen, Stein von Schnecken bedeckt (mit Essig getötet)  Buchstaben in Stein gemeißelt: Schrift nur im Kopf des Lesers, individuelle Auslegung  für jeden Rezipienten gibt es einen anderen Text  Urtext ist eine hermeneutische Fiktion alles gelesen im Schriftmedium Roman reflektiert selbstbezüglich im Vorgang

- Autoreflexivität o o o o o o

o

Buch bezogen auf sich selbst alles gilt für Text selbst Etüde über Dichtung, wie sie zusammengesucht werden muss, wie sie von allen anders verstanden wird, wie sie überdauern kann poetologischer Roman: Wie funktioniert Dichtung? Wie funktioniert der Roman selbst? Wie kann der Roman selbst verstanden werden Ambiguität  während erzählt wird, wie Spuren von Ovids Werk verschwinden und verbrennen, ist das Werk selbst Zeugnis, für dauerhafte Überlieferung eines Werkes in unserer Kultur Paradoxie  Verschwinden des Autors und Schrift und bezeugt Unvergänglichkeit der Vorlage

- Mythos und Geschichte o o

Zeitebene der Antike wird gekreuzt durch Ebene von Moderne (Episkope, Filme) Katastrophengeschichte: 67

o o o

o

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 Erinnerung an Lagerhalle, vergaste Menschen in sich geschichtete Zeitelemente mythologische Stoffe 2 Zeitsysteme:  linear fortschreitende historische Zeit, Geschichte schreibt immer weiter fort  fortlaufende Kette menschlicher Barbarei (s. Engel der Geschichte)  Mythos: kreisende Zeit  Welterklärung, die zeitlos und immer gültig ist und reale Zeit unterlegt  Erklärungen des Echos, des Frühlings (-> eigene Zeit der Mythen, ein immer wiederkehrendes Kreisen von Zeit) strukturelle Zusammenführung von Mythos und Geschichte  Posthistoire -> der Roman fällt hinein

Zusammenfassung: o o o

Roman vortreffliches Beispiel für postmodernes Erzählen Überlieferung und Spielmaterial Autor verschwindet, Interpretationsmöglichkeit des Lesers bestritten, Thematisierung von Medialität, Autoreflexivität (Spiel mit Inhalt und sich selbst), Befund zum Ende der Geschichte  v.a. in 90ern als Modellfall postmodernen Erzählens interpretiert  daran nachdrücklich Kritik geübt worden o Punkt Intertextualität: kein „multiples“ Erzählen, sondern Schildern der Suche nach einem ganz konkreten Werkes o letztlich keine Zweifel über Autorschaft von Ovid o Figuren verhalten sich als Leser schlechthin (Tradierung) o Verfall der Schrift ist Beschäftigung mit 2000 Jahre altem Buch entgegengesetzt o Reflexion des Erzählens balanciert: an grundsätzlicher Erzählbarkeit der Mythen werden nicht negiert (letzter Teil: Verwandlung selbst wird erzählt) o Geschichte: römische o Zitat von Ovid aus Metamorphosen: Bestätigung des Autors und des Werks  darum: umgekehrt zu sagen, dass es kein postmoderner Roman ist, sondern Apotheose von Werk und Autorschaft o spielt mit Elementen der Postmoderne, dadurch Existenz des Autors belegt, der mit sich selbst als solcher umgehen kann

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VOR DER JAHRTAUSENDWENDE – MYTHOS UND MAUERFALL -

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stabile Weltpolitische Daten o 3.10.1990: Wiedervereinigung Deutschlands (Beitritt DDR zur BRD) Ende des Jahrzehnts nicht durch Millennium markiert, sondern durch 9/11 2001 o Anschlag auf World Trade Center in New York Epochencharakteristik: Postkommunistisches Jahrzehnt  Auflösung der DDR  Auflösung der UdSSR -> Russische Föderation  Zerfall des Ostblocks (Tschechoslowakei 1992, Slowenien)  Zerfall Jugoslawiens („ethische Säuberungen“), Krieg um Kosovo bis 1999 o Rolle der EU durch diese Kriege aufgewertet  könnten verhindert werden  Ö 1995 beigetreten o Kapitalismus ohne Konkurrenz  günstige Bedingungen  „digitale Revolution“: internationale Verflechtung von Handel, Transport und Kommunikation  Turbokapitalismus  höchstmöglicher Gewinn, Ausbeutung von Ressourcen  Informationstechnologie  Mitte 90er: Boom  immer mehr Unternehmen, auch ohne „Standort“ im Internet („.com“)  Voraussetzung dafür durch Neue Medien o digitalisierte Betriebsführung o Heim-PC o CD und DVD 96 o 97: Handys  Internet: große Datenmengen und Informationsspeicher neuer sozialer Gegensatz: o Armutsgrenzen verlaufen Deckungsgleich mit Computerisierung

westliche Industriestaaten: o o

Digitalisierung zum Alltag in 60er und 70er-Jahren Geborene: Wirtschafts- und Medienkonsumenten herangewachsen  „Generation X“ – Roman von Douglas Coupland  büßt ökonomische Fehler der Eltern  zw. 65 nd 75 geborene:  “Generation Golf“ – Roman Florian Illies o Automarke o politisches Desinteresse, Markenprodukte, materielle Werte  auch “Single-Generation” o Kleinfamilie weicht in Großstädten der Single-Haushalte  YUPPIE – Young Urban Professional  DINK – Double Income No Kids 69

o o

Geburtenrückgang Ich-AG im Kampf um Arbeitsplatz

- Literarische Strömungen o Popliteratur 

 

„Neue Pop-Literatur“, denn Begriff bezeichnet ursprünglich Phänomen in USA in 40ern und 50ern Literatur in Alltag mit einzubeziehen Lebensgefühl einer rebellischen Jugend, die sich über Musik und Drogenkonsum identifiziert – Äquivalente nach 68 in deutscher Literatur Provokation, Elemente der Vulgärsprache, Auseinandersetzung mit „Abfälle“ der Kultur Western, Comic, Schlagertexte Themen: Sex, Drogen, Konfrontation mit Kultur der Älteren



Kommerz

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 

medialer Hype

Christian Kracht: „Faserland“ (1995) o o o o o o o o

o

als Beginn der neuen deutschsprachigen Popliteratur ausgerufen autobiographisches festgehalten End-20er, reiche Eltern, Reisen Welt- und Lebensekel (literarisch traditionell) offenes Ende Äußerlichkeiten: Labels der Kleidung negative Kritik am Roman: Attitüde des Schicks, etc. , Konsumismus Titel: Signal der Ausfaserung aller verbürgten gesellschaftlichen Werke, auch Gefasel der Erzählersprache (dann: Text ist kritisch) -> doppelte Deutbarkeit

Fräulein-Wunder       

auch schon ab 50ern, erst danach im deutschen Raum Medienhype Herd und Haus hinter sich gelassen -> Rollenbild „sei gewesen“  s. auch Madonna (Inszenierung als Girlie) junge Generation von Schriftstellerinnen: weniger verzagt und umstandskrämerisch als männliche Kollegen Autorinnen waren im Durchschnitt 36 Jahre alt Portraits von Jungautorinnen inszeniert wie jene von Filmstars – Kritik! Beispiele: 

Judith Hermann: „Sommerhaus, später“ (1998) o o o

Sammlung von Erzählungen Menschen am Sprung, auf Reisen, warten auf nicht eintretendes Ereignis Titelgeschichte über Sommerhaus: nüchtern, trauriger Ton (mehr Blues als Pop)

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o

epochentypisch: in Welt mit verkommenen geschichtlichen Resten, Neubeginn nicht mehr möglich

o Alte Mythen und Hypertext  





im Zshg. mit Millennium: Frage, ob ganz alte Geschichten noch gültige kulturelle Ressource sind Mythenparaphrase  nach- und umerzählt von Autoren  Suche, Irrfahrt, Kampf, Schuld, Liebe, Tod: anthropologisch? Beispiele:  Michael Köhlmeier: o „Kalypso“ und „T  Stoffkerne aus der Odyssee o auch Stoffe in Nacherzählungen  Serie von Rundfunksendungen  Ensemble von Mythenstoffen mündlich nacherzählt  als Hörbücher erschienen, danach im Druck  neues Medium, ab 1990 bis heute extrem expandiert (Wachstumsrate 20% jährlich)

neues Medium des Internets:      

 

Netzpublikationen (Literatur im Netz vs. Netzliteratur –> letztere speziell für dieses Medium geschaffen) rascher, kostenloser Zugang Autorenkollektive gemeinsam spontane Produktionen hat Printmedium Buch keineswegs ersetzt! – Erwartungen nicht umgesetzt Beispiele: o Susanne Berkenheger: „Zeit für die Bombe“ (1997)  verschiedene Routen können gewählt werden, wie Text weitergeht -> individuelle Lesewege werden möglich Tageszeitung „Die Zeit“: Internet-Literaturwettbewerb (hat nicht lange angehalten, wegen mangelnder Qualität) Hypertexte als Avantgarde – aber kein prinzipieller Ersatz

- Literatur als Gedächtnis – Millennium o

o

Epochengrenzen (beliebig gesetzt; Zeitrechnung durch Konvention!) rufen bestimmte Dispositionen hervor – Grenzen haben psychologische Formen (apokalyptische Ausrichtung, oder auch hedonistisch) vor 2000: Bildungs- und Literaturkanon in Diskussion  Bestandteile des kulturellen Kanons, auf die nicht verzichtet werden darf?  viele Literaturlisten veröffentlicht, Sammlungen der wichtigsten Bücher, etc. 

Dietrich Schwanitz: Bildung. Alles, was man wissen muss. (1999)  

Psyche, Intelligenz, Literatur, Musik, Kunst, etc. Kritik geerntet! 71







interessant ist: Indiz als Sehnsucht nach dem Kanon in Zeiten unübersichtlicher kultureller Produktion Liberalisierung des Curriculums in der Schule  Auswahl den Lehrern überlassen  nun Überlegung, Kanon einzuführen Umfrage von „Die Zeit“:  Top 5: Faust, Nibelungenlied, Nathan der Weise, Woyzek, Der Prozess o nicht originell, trotzdem repräsentativ o Indiz, dass manche Werke menschliche Erfahrungen über längere Dauer tragen

Simple Storys – Ingo Schulze -

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aus 1998 Autor der Generation X o lange in Altenburg (36.000 EW, ca. so wie Steyr) o „Augenblicke des Glücks“ – Erfahrungen aus Russland verarbeitet auch Essayist o Äußerungen über wirtschaftliche Sitatuion Deutschlands

Inhalt -

neues Regime, AL, neue Jobs, neue Wohnort, verieren Partner, gewinnen neue in Kleinstadt Beginn: Februar 1990, Ende lässt sich nicht genau sagen o nach Fall er Mauer o im 1. Kapitel: Italienreise der Meurers  Groteskes Geschehen: D.Schubert steigt auf Turm, beschimpft Ernst Meurer o Gruppierung der Figuren in Mittäter und Opfer in DDR  Roman setzt sich allerdings nicht mit Schuldfrage auseinander  eher: Unsicherheit im neuen Gesellschaftssystem, Nostalgie nach alter Ordnung  weniger politischer Roman, also sozio-psychologische Reflexion/Darstellung

Aufbau -

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29 Kapitel: vor jedem kurze Zusammenfassungen/Inhaltsangaben könnten als einzelne Kurzgeschichten gelesen werden – Titel: Bezug auf amerikanische Short Story (Darstellung eines Weltausschnitts, offener Anfang+Ende, ein einziger existenzieller Konflikt) Einfluss: Kurzgeschichten von Raymond Carver o lakonischer Ziel o erzählerische Sparsamkeit o häufig rätselhafte Situationen, die Alltag momenthaft und einschneidend unterbrechen o Filmdrehbuch von Robert Altman: Short Cuts  Figuren der einzelnen Kurzgeschichten miteinander in Beziehung gesetzt (oft ohne, dass Protagonisten dies bekannt wäre) Vernetzung des Figurenensembles hier vorgenommen o Beginn wie Kurzgeschichten (ohne Einführung/Erklärung) 72

o o

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verschiedene Erzähler (14 insgesamt) – 2 Erzähler 2x, andere Kapitel auktorial Figuren haben miteinander zu tun (verwandt, bekannt, Vorfälle aus 2 verschiedenen Perspektiven, begegnen einander) o im Rückblick lassen sich längere Geschichten zusammenstellen (über die Figuren) o Figurennetz  ethnographische Feldanalyse durch T. Schweizer und M. Schnegg  Vernetzung  Gruppierung: grün: Familie Meurer (regimekonform), rot: ehemalige Opposition, blau: jüngere Generation (indifferent), gelb: „Restfiguren“  Feststellung: höherer Grad an Verbundenheit, als es im wirklichen Leben der Fall sei  stellt Zusammengehörigkeit wieder her, die im politischen Verständnis, etc. fehlt  auseinanderfallen gesellschaftlicher Strukturen umgekehrt Kleinstadtmilieu Selbstreflexion des Romans: Gemeinplatz „hier kennt jeder jeden“ erinnert sehr an Nachkriegsroman „Tauben im Gras“ – ebenfalls enges Figurenensemble

Kolonialismus und Identität -

2x beiläufig die Rede davon, dass Räume verwanzt waren wichtig: wirtschaftliche Dominanz der Westdeutschen – im Gegensatz zu Menschen der „neuen Bundesländer“ Cook: Postkolonialismus o Kolonialherren gegenüber Einwohnern (DDR und BRD)  hat historisch dazu geführt, dass ehemals kritische Ostdeutsche nachträglich wie „Trotzidentität“ ausgebildet haben (an altem Staat war nicht alles schlecht, z.B. das soziale Netz)  im langsamen Zusammenwachsen der Teilstaaten in 90ern mental immer wieder gezeicht o im Roman: Ostdeutsche wird Kollektiv – Identitätsstiftung, gehören dadurch wieder zusammen  im Figurennetz noch einmal Identität der DDR veranschaulicht

Entsolidarisierung und Neuer Zusammenhang -

alle Aspekte von E. behandelt: gesellschaftliche Brutalität (Skin-Gruppen), Auseinanderfall von Liebesbeziehungen Meurer: geht nach Stuttgart, Reklame für Nordsee, wird dort attakiert o Erzählerin steht loyal zu ihm, halten sich an der Hand, verfallen in Gleichschritt letzter Satz: „…ändert sich daran nichts.“ o Solidarisierung mit Figur o Unveränderlichkeit dieses Zustands o Protagonisten sind Werbeträger, auf leibhaftige Weise kommerzialisiert, Bsp. von solidarischem Zusammenhalt ist gegeben o Figurennetz lässt sich im Bewusstsein des Lesers als Trostpotenzial deuten: funktionieren im Zeitalter des Konsums

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21. Jahrhundert: Globalisierung und Krise Politik -

Zusammenbruch 89 und Folgejahre: kapitalistisches System hat gesiegt Ära „Postkommunismus“ wurde durch Schock 9/11 gestört o symbolisch gewaltsamer Akt o westliche Welt: sah sich neuem Gegner gegenüber = internationaler Terrorismus o sekulare Gesellschaften der 1. Welt und fundamentalistische Regime im Iran, Saudi Arabien (Naher Osten) 

Samuel P. Huntington, “The Clash of Civilisations” (1996) 



Grundthese: zukünftige Konflikte nicht aufgrund ökonomischer/politischer Unterschiede, sondern kulturelle/religiöse  Clash: für rechtsgerichtete Propaganda instrumentalisiert Islam generell unter Verdacht = heftig kritisiert worden

Wirtschaft -

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neoliberale, turbokapitalistische Entwicklung Internettechnologie: Platzen der IT-Blase (2000) o große Rolle in Romanen weltweite Wirtschaftskrise ab 2007 o aufgrund Immobilienpreisblase o DAX (Deutscher Aktien Index) Staatsschuldenkrise (Portugal, Italien bedroht, Griechenland) Zivilgesellschaftlicher Protest: o Occupy-Bewegung (seit 2001)  international (ausgehend von USA) durch Demonstrationen und Besetzungen darauf aufmerksam: 1% Superreiche o weltweiter Besitz: Vermögensverteilung ungleich (steil ansteigende Spitze)  auch in „Simple Storys“ darauf hingewiesen (Firmen und Finanzen)

Klima -

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bereits im 19. Jhdt. These, dass Klimawandel vom Menschen gemacht wird (nicht natürlich) jetzt: Konzentration von Treibhausgasen führt zur Erderwärmung o lange versucht, diese Wissenschaftler zum Schweigen zu bringen (v.a. wirtschaftliche Interessen, z.B. Automobilindustrie) Naturkatastrophen: Dürren, Wirbelstürme, Hochwasser, Meeresflutwellen (Tsunamis 2004 und 2011) o wird auf Klimawandel zurückgeführt Klimaschutzmaßnahmen – wie durchsetzten gegen Industrie? – Problem von Politik und Gesellschaft

Gesellschaft -

Generation im anglo-sächsischen Bereich: „Milleniums“ bei uns: „Generation Y“ o technik-affin o politiksekptisch 74

o o o o

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o

umweltinteressiert Jugendarbeitslosigkeit „Generation Praktikum“ „Ich-AG“  einer für ein Unternehmen voll verantwortlich, Organisation vom Computer aus  Existenzangst (Konkurrenz), Selbstausbeutung „sozial networks“  massive Einwände betreffend kommerzieller Nutzung der Daten und Missbrauch privater Informationen, Mobbing, etc. Wertewandel:  fehlendes soziales Netz, durch steigendes Interesse an privaten Bindungen kompensiert  Familie und Freunde an erster Stelle + Dauerhafte Partnerbindung (bei Umfragen)  Politik als letzter Punkt meist genannt (keine Verbesserung der Lebensumstände dadurch erwartet)  soziale Sicherheit im privaten Lebensbereich o optimistischer als Zukunftsperspektive der Gesellschaft (pessimistisch, negativ)

literarische Tendenzen - Gattungen: o

Migrationsliteratur  Flucht-, Arbeitsmigration; weitere Gründe:  AutorInnen von mind. 2 Kulturräumen geprägt (Interkulturelle Literatur)  oft Sprache gewechselt  Blick von außen (Immigranten) kann 2. Heimat kritisch beleuchten  Konzepte wie Muttersprache des Autors ins Wanken geraten (oft in Zweitsprache geschrieben)  1. Phase: Gastarbeiterliteratur in 70er und 80er Jahren  Aspekt der Diskriminierung spielt große Rolle  Dimitre Dinev: „Engeslzugen“ (2003)  kam nach Österreich  Durchbruch 2003  Geschichte bulgarischer Einwanderer in Wien (2 große Familiensagas)  vielfach preisgekrönt  Kritik am Begriff „Migrationsliteratur“ o Isolierung, statt als natürlicher Teil der Literaturgeschichte o s. auch „Frauenliteratur“ als positiv gemeinte Diskriminierung

o postdramatisches Theater  



Elfriede Jelinek Auflösung konventioneller Theaterpraktiken, z.B. Figur, Figurentext; hin zu Wechsel von Identitäten, die Sprecher auf Bühne demonstrieren Texte/Sprache, die nicht ihre eigene sein muss Marius von Mayenburg: „Der Hässliche“ (2007) 75

 



 o

deutscher Dramaturg, Theaterautor Frage nach körperlicher Identität, die verändert werden kann o Schönheitsideal durch Medien o in Deutschland: 20% der Kinder zwischen 9 und 14 Jahren wünschen sich Schönheits-OP Protagonist: OP -> Erfolg im Beruf und bei Frauen o dann verschwindet er in der Menge (weil alle „nachziehen“) o Inszenierung: immer gleiches Gesicht, aber Schauspieler wechseln Rollen, dass Identitäten verwechselbar sind Frage nach unverwechselbaren Identität einer Person

Lyrik 

Poetry Slam  „Slam“: Besucherzahlen nehmen zu gegenüber traditionellen Autorenlesungen  Performance- und Event-Charakter  Intervention mit Publikum (Bewertung und Preisvergabe)  Professionalisierung und Meisterschaftsbewerbe 

Bodo Wartke: „Hunde“ (2004) o o o

Kabarettist German International Poetry Slam Kritik: Inhalte nicht immer sehr relevant

Kathrin Röggla: „wir schlafen nicht“ (2004) -

Theatertexte, Internettexte, Essays Preise o u.a. Stück „Worst Case“ Sprachkritik und Ideologiekritik (zugleich) gesellschaftliche Probleme

neue Wirtschaft -

Begriff: o

seit Mitte der 90er in USA: „new economy“  oder auch digital, knowledge, information society, etc.  Anstieg der gesmatwirtschaftlichen Produktivität durch IT, Software, Hardware, neue Kommunikation  Zuwächse der Informationsverarbeitungskapazitäten und Übermittlungsmöglichkeiten  Globalisierung und Expansion (Verbilligung der Produkte)  obsolet: schnell in Krise geraten  schnell gegründete IT-Unternehmen: Börsen-Gänge o Aktion von Kleinanlegern gekauft o zu schnelle Expansion o März 2000: Zusammenbruch des Marktes  Dot-com-Blase am NASDAQ 76

 

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 Platzen der Spekulations-Blase o viele Konkurse, Entlassung der Arbeitskräfte -> AL am IT-Markt gestörtes Vertrauen in IT durch Anleger bis 2004 gestört länger dauernde Krise charakteristischer als der rasche Boom

Arbeitnehmer: o

o

YETTIE = Young Enterpreneurial Tech-Based Twentysomething  kinder- und partnerlos (Singlekultur)  Verlierer sind Familien  Preis der Existenz:  neue Anforderungen o Zwang der neuen Flexibilität, standing auf neue Forderungen eingehen o Vernachlässigung des Gefühls der Stabilität o Privatleben ist auszuschließen Verlierer:  Access!  Wohlstand (Infrastruktur)  User- / Nicht-User  Digital Gap / digitale Spaltung  1./3. Welt  Alterskluft  Einkommenskluft

Neue Sprache -

durch New Economy o gleichnamiges Wörterbuch von Duden (2001)  Schlüsselwörter des Betriebs  meist englischer Ursprung  deutsche Ausdrücke, z.B. „Mausbeutung“: Deutung auf Überlastung  Übernahmen und Neologismen  z.B. Komposita o Unwort 2002: „Ich-AG“ o „cappuccino-working“  ein Job reicht nicht aus, erst zusammen Existenzgrundlage o „Plastikwörter“  Wörter ohne viel Inhalt, die aber Zugehörigkeit oder Prestige symbolisierung  Insidertum soll unterstrichen werden (wer kann mitsprechen?)  Sprache als Erkennungsmarke und existenzstifte Funktion  Jargon auch als Exklusion:  Stellenausschreibungen nur so formulieren, z.B.: „Customer Service Manager Warranty“ 77

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Vorauswahl wird dadurch getroffen

Distinktionsfunktionen! o dazu gehören / Außenseiter rascher Sprachwandel o z.B. Produktnahmen Liste auf Handout: Sprache der New Economy

Neuer Lifestyle -

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in Mund der Akteure gelegt Röggla: o ca. 40 Interview geführt mit Personen der New Economy geführt o authentisches Material Hörspiel, Hörbuch und dramatische Bearbeitung (2004) o Audio-Versionen: Interviewcharakter ist erhalten kunstvoll bearbeitet und arrangiert (Material) o leiden und vertreten Situation zugleich o auf Folie: Personen!! Gliederung: o 32 Abschnitte o Überschriften auf Figuren hinweisend o 24. Kapitel: Titel = Überschrift (wir schlafen nicht)  rund um die Uhr gearbeitet  Strategien, sich wach zu halten  Anpassung an System, das permanente Präsenz verlangt – keine Schlafpausen verlangt o Diskussionen zur Arbeit: immer wieder Begriffe der Entgrenzung von Arbeit und Privatem, z.B. Tele-Arbeit  verfließende Gegenüberstellung davon o Flexibilität! o Selbst-Management (immer und überall zur Verfügung stellt) o rasante Lebensweise o Überidentifikation mit Institution, für die man arbeitet  durch abgehobene Sprache Handlungs-Ort: o Messe o Menschen verschwinden (glaubt jemand)  Unheimlichkeit des Settings Druck auf Figuren o Relation durch Position / Hierarchie in Firma  graphische Darstellung von Christian Kremer  A/B/C-Personen o Kapitalvolumen als Maßstab  kulturelles vs. ökonomisches Kapital o Pierre Bourdieu: 3 Kapitalarten  ökonomisches, kulturelles, soziales Kapital 78



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kulturelles Kapital (=Bildung: Höhe durch Grad der Ausbildung)  inkorporiert o Besonderheit gegenüber ökonomischem Kapital o =“im Kopf“ -> hat man immer selbst, kann man niemandem geben = nicht konvertierbar  objektiviert o konvertierbar o z.B. Bücher, Sammlungen, Dateien  institutionalisiert o durch Institutionen vermittelt (z.B. Uni) o Titel, der erworben wird (Grad der Ausbildung als Marke)  DAHER: Praktikantin hat nicht am wenigsten kulturelles Kapital, denn sie hat ja studiert! Personenhierarchie: o „Der Partner“  Herr über Kommunikation mit Interviewerin o „senior associate“  positioniert sich selbst unter anderen (Marken und Anzüge, Autos immer „weniger wert“ halten) – Hierarchie durch Statussymbole beachtet  Anpassung und Opportunismus o key account managerin  Kontakt zu Schlüsselkunden  spart Geschäftsführung die Zeit, sich mit best. Kunden abmühen zu müssen  „Unerreichbarkeitslisten“ o IT-supporter  unzufrieden  Schnittstellen-Koordinator o Online-Redakteurin  Plus an kulturellem Kapital o Praktikantin  unterste Hierarchieposition PRAKTIKUM o i.d.R. kein Entgelt o kein Arbeitsverhältnis (keine Arbeitnehmerrechte) o in Ö: fast 2/3 der Hochschulabsolventen 1-2 Praktika  genutzt zur Überbrückung  kein Kündigungsschutz = deshalb eingestellt o ersetzen Arbeitsverhältnis  eigentlich Gesetzesbruch o „Generation Praktikum“  Begriff 2005 geprägt worden (Zeit-Redakteur)  Phase von prekären Verhältnissen nicht ausdrücklich Gendersprachen, ABER: o Frauen nur in B- und C-Personen  Deutschland Frauenanteil in Führungspositionen: 2,3% 79

o

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ganz oben: Männer  alle Männer nur Wochenendbeziehung  Ehefrau im Hintergrund erhöht Leistungsfähigkeit des Mannes o GRÜNDE:  Annullierung des Privatlebens auf allen Ebenen  S.72: Praktikantin (Freund vs. Jobsuche)  Arbeit dominiert alles Lebensstil: o quick-sleeping o fast-eating o Schlafen im Hotel Suchtverhalten: Workaholic o im schweren Stadium: psychische Abhängigkeit  Schlaganfall, Herzinfarkt Bedrohung  Wegfall der sozialen Beziehungen (s. Figuren im Roman)

Erzählweise -

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Ausgangsmaterial: Interviews o wird arrangiert und komponiert o noch nachgestellte Interview-Situation o akustische Wiedergabe: Regie (lacht, hustet) Wiedergabe in indirekter Rede / Konjunktiv o erzeugt Verfremdung o Erzählinstanz steuert Effekt von Mündlichkeit: o Parataxe o auslassen von Partikeln hohes Sprechtempo vermittelt o in Sek-Literatur = Atemlosigkeit der Figuren o Gehetztheit im Sprechstil ausgedrückt o Hysterisierung des Sprechens:  auch Ausdruck in vielen Wiederholungen (Rhythmus der Wiederholung) o Wiederholung / Annäherung aneinander – andere Sprecher gleiches gesagt  nicht eigene Sprache, sondern Zugehörigkeit zu einer Grppe  eigene Vokabeln, Euphemismen  z.B. „freigesetzt“ für „entlassen“ o als Hilfe für Leute dargestellt! o Mitarbeit wird benotet und selektiert Verschwinden von Menschen in Statistik und im Betrieb o unheilvoll ausgeblendet o z.B. Online-Redakteurin (S.154)  Krankheiten, Tod und Berufstätigkeit Subjekt – Objekt o Figuren erscheinen als Untote und Gespenster o Tod: Verlust an Lebendigkeit wird bewusst 80

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Gegenbewegungen in letzten Kapiteln (z.B. Kapitel 30) o Erinnerungen spielen eine Rolle – davor war dafür keine Zeit  bringt Entschleunigung des Sprechtempos  1979 Jürgen von Scheidt geprägt  Gegenbewegung zur Hektik des Alltags  Augenblicke der Stille /Stillstand -> Wahrnehmungen bekommen Bedeutung  z.B. Pause als Lift stecken bleibt o 31. Kapitel: sie streiken und machen nicht mehr mit  wobei bleibt offen Indikativ im letzten Kapitel o scheint von Neuem zu beginnen o sie machen nicht mehr mit: Interview oder Arbeit Sprache entlarvt sich selbst o Reflexion, was Sprache mit Sprechern anstellt Literatur begleitet ihre Zeit o Sinn und Gefahren historischer Entwicklungen nachgedacht o Anpassung an Mechanismen des Marktes, Literatur besteht darauf, dass Mensch kein Produkt ist und mit ihm nicht gehandelt werden kann

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