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Die SRDP ist auf dem Weg, entsprechende Schulversuche starten bereits heuer zum ... Hörverständnisaufgabe in Englisch oder Französisch nicht machbar.
Schwerpunkt Standardisierte, kompetenzorientierte Reife- und Diplomprüfung Die SRDP ist auf dem Weg, entsprechende Schulversuche starten bereits heuer zum Sommer-Prüfungstermin. In dieser Vorbereitungsphase ergeben sich vor allem für die Lehrer/innen noch einige offene Fragen: Inwieweit sind die Lehrenden an diesem Prozess mitbeteiligt? Wie sehen die konkreten Prüfungs­modalitäten in den einzelnen Fächern aus? Welche Vorgaben gibt es bei den mündlichen Prüfungen? Zu den wich­tigsten Fragestellungen geben das Unterrichtsministerium und das Bildungsforschungsinstitut BIFIE die Antworten.

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Cover. Die SRDP ist auf dem Weg – auf die wichtigsten Fragen gibt es hier die Antworten. Autorenteam: Die Antworten kommen von den Expertinnen und Experten des BMUKK und des BIFIE.

3. Was soll der hohe Aufwand mit „Qualitätsschleifen“, „Expertenreviews“ und „Feldtestungen“ von Aufgabenitems für die schriftlichen Klausurarbeiten der Reifeprüfung bringen? Früher gab es das auch nicht!

1. Welche Vorteile soll eine kompetenzorientierte, standardisierte Form der Reifeprüfung gegenüber der bisher praktizierten Reifeund Diplomprüfung haben?

Die Aufgaben zur Reifeprüfung werden in Österreich mit einer – auch europäisch – ganz neuen Methode entwickelt: Die vorgeschlagenen Aufgaben werden nach einer Korrekturschleife im Erstellungsteam „feldgetestet“. Das heißt, alle Aufgaben werden unterteilt (in „Items“) und Schülerinnen/Schülern des letzten Jahrgangs anonym zur Lösung vorgelegt. Damit werden sinnstörende Darstellungen oder komplizierte bzw. missverständliche Formulierungen erkannt und verbessert. Gegen Ende des Verfahrens werden Fachleute nochmals die Lehrplanadäquatheit und Praxis­ tauglichkeit der Aufgaben überprüfen (Expertenreview). Erst dann kommen sie in den Aufgabenspeicher, um zu einem Prüfungstermin abgerufen zu werden.

Die Klausuren der neuen Reifeprüfung sind standardisiert, d.h., es sind von den Kandidatinnen/Kandidaten Aufgaben zu lösen, die der Schule vorher nicht bekannt sind. Dabei müssen einerseits die Rahmenbedingungen genau geklärt werden und andererseits müssen die Kandidatinnen/Kandidaten so vorbereitet sein, dass sie eben auch fremde Aufgaben lösen können. Dies ist der europä­ ische Standard – nur er gewährleistet, dass der Transfer von Pro­ blemlösungskompetenz funktionieren kann oder eine allgemeine, umfassende Sprachkompetenz trainiert und gekonnt werden. Bei den Sprachprüfungen ist die Sache besonders einleuchtend – das Reifeprüfungszeugnis garantiert gleichzeitig ein definiertes Sprachniveau (GERS = gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen – B1 oder B2) und hat damit eine europäische Dimension. Auch in Mathematik wird es bald einen europäischen Standard geben. Die Diplomarbeit und die mündlichen Prüfungen sind ebenfalls neu gefasst und ermöglichen, die Schwerpunkte des Schul­ standortes und eine persönliche Entwicklung durch eine längere Arbeit – im Regelfall mit Kollegen/Kolleginnen – beurteilbar und damit nutzbar zu machen.

2. In welcher Weise werden die Lehrerinnen und Lehrer an der Entwicklung mitbeteiligt? – Denn: So eine gravierende Umstellung kann nur dann funktionieren, wenn sich möglichst viele Lehrenden und Prüfenden in positiver Hinsicht betroffen fühlen. Ausgewählte Lehrende sind die Itemwriter/innen, die am BIFIE (= Bundesinstitut für Bildungsforschung) die Aufgaben konzipieren und für weitere Testschritte vorlegen. Auch wenn nur ca. 120 Personen diese Items erstellen, ist doch klar, dass sie alle von Lehrenden aus dem eigenen Schulwesen kommen. Prinzipiell wird auch eingeladen, vor dem Regelfall für die BHS-Schulen 2015/16 die neue Form durch Schulversuche zu erproben. Wenn also Lehrende an einem Standort Pionierarbeit leisten wollen, ist ein Zustieg zur „Schulversuchsszene“ in den Schuljahren 2013/14 und 2014/15 kein Problem bzw. wird von der Schulverwaltung sehr unterstützt. Alle Lehrenden in den Maturaklassen sind auch Prüfer/innen und können die Korrekturleitfäden mit ihren Schülerinnen/Schülern erproben. Prinzipiell können alle Schulstandorte, auch diejenigen, die keinen Schulversuch angemeldet haben, an den Probemature (kein Tippfehler) im März 2013 (AHS-Mathematik Mai 2013) teilnehmen. Ab dem Schuljahr 2015/16 ist die standardisierte Reifeund Diplomprüfung für alle Schulstandorte verpflichtend.

Lohnt sich der hohe Aufwand? Auf jeden Fall! Denn so ist es immer möglich, gut formulierte Aufgaben parat zu haben, die nicht nur von einer Lehrerin/einem Lehrer rasch zusammengestellt werden, sondern nach testtheoretischen Kriterien überprüft sind. Dies gibt Sicherheit und eine hohe Wahrscheinlichkeit, die richtigen Kompetenzen der Kandidatinnen/Kandidaten für die spätere Anwendung in der Universitätsbildung oder im Beruf aufweisen zu können.

4. „Wir haben an unserer Schule immer wieder schwer seh- und/ oder hörbeeinträchtigte Schüler/innen. Für beide Gruppen ist eine Hörverständnisaufgabe in Englisch oder Französisch nicht machbar. Der sehbehinderte Schüler arbeitet mit Kamera und kann die ganze Zeile nur mit enormer Zeitverzögerung lesen, daher nie im gleichen Tempo wie die anderen ausfüllen. Bei hörbehinderten Schülern/ Schülerinnen bedarf es ja keiner Erläuterung. Wie wird die Reifeprüfung für sehbehinderte oder hörbehinderte Schüler/innen in den Fremdsprachen aussehen? Weiters: Werden alle bisherigen Sonderbedürfnisse der körper- und sinnesbehinderten Schüler/innen (u. a. Zeitzugabe) auch bei der ‚Zentralmatura‘ berücksichtigt?“ Behinderungen sind sehr verschieden und haben bei der Lösungskompetenz auch sehr unterschiedliche Ausformungen. Prinzipiell gilt: die Arbeitsumgebung so anpassen, dass mit Beeinträchtigungen die gesamte Klausur, wenn auch oft mit längerer Prüfungszeit, durchgeführt werden kann. Die unterstützenden Elemente sind: eigener (überwachter) Prüfungsraum, Kopfhörer (zusätzliche CDs können vom BIFIE jederzeit angefordert werden), längere Prüfungszeit. Wenn Schüler/innen wirklich gehörlos sind, entfällt der Hörtext – ganz einfach. Im visuellen Bereich gibt es Sehschwächen, Tunnelblick u. a. Hier hilft meist eine Seitenvergrößerung der Aufgaben über einen Prüfungscomputer. Das BIFIE stellt hier die Prüfungsaufgaben in A3 oder wie gewünscht vergrößert zur Verfügung. Blinde müssen in den Sprachen über die Braille-Tasta-

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Wie steht es um die neue Reife- und Diplomprüfung?

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Alles Weitere ist über www.bifie.at/Reife- und Diplomprüfung zu finden!

7. Welche Informationen kann man Schülern/Schülerinnen bereits geben, im Hinblick darauf, wie die Kompensationsprüfungen aussehen werden?

In Englisch, Deutsch und seit Jahresbeginn auch in Mathematik stehen die Aufgaben und Prüfungsmodalitäten fest. (Homepage des BIFIE, Bereich Reifeund Diplomprüfung: https://www.bifie.at/srdp) tur arbeiten, die Aufgaben werden über eigene Prüfungshefte geliefert. Lösungsrelevante Bilder oder Grafiken werden soweit wie möglich verbal beschrieben. In Mathematik müssen hier noch Lösungen gesucht werden – zur Not gibt es hier mündliche Prüfungen mit standardisierten Aufgaben. Auch für starke motorische Beeinträchtigungen gibt es Lösungen! Wichtig ist, die Beeinträchtigungen durch ein ärztliches Attest der Schulbehörde zu melden und die Art der Beeinträchtigung etwa drei Monate vor der schriftlichen Klausur dem BIFIE mitzuteilen. Das BIFIE wird im Sommer 2013 eine zusammenhängende Darstellung herausgeben, wie bei Kandidaten/Kandidatinnen mit Behinderungen bei der Reifeprüfung zu verfahren ist.

5. In Englisch und Deutsch ist die Situation sehr klar. In Mathematik wird bei jeder Sitzung etwas anderes kolportiert. Wann weiß das Ministerium endlich, was es (in Mathematik) genau will? Die Aufgaben und Prüfungsmodalitäten in (angewandter) Mathematik sind seit dem Jahreswechsel 2012 auf 2013 genau festgelegt und wurden nun über die Webpage des BIFIE1 und eine Informations-CD verbreitet.

6. Wie schauen die aktuellen Vorgaben aus bezüglich der Gestaltung von schriftlichen Aufgaben, die derzeit ja noch von den Lehrerinnen/Lehrern selbst erstellt werden? Die Aufgaben sind entsprechend dem Prüfungsfach unterschiedlich und enthalten zur Aufgabe einen Lösungsvorschlag für die Lehrenden und einen Korrekturvorschlag für die Prüfenden. Zu jedem Prüfungsfach gibt es ein genaues fachdidaktisches Grundsatzpapier, das die Grundkompetenzen im Fach, die Art der Aufgabenstellung und die Prüfungsmodalitäten ausweist.

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Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens (BIFIE) (Hrsg.) (2013). Standardisierte kompetenzorientierte Reifeprüfung I Reife- und Diplomprüfung. Grundlagen – Entwicklung – Implementierung. Wien. https://www.bifie.at/node/2045 Unterrichtsaufgaben zur Unterstützung der Vorbereitung auf die SRP-Mathematik AHS: http://aufgabenpool.bifie.at/srp_ahs/index.php

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Die Kompensationsprüfungen, die an den BHS erst 2016 eingesetzt werden, sind mündliche Prüfungen, die schriftliche Kompetenzen abbilden sollen – ein pädagogisch durchaus schwieriges Unterfangen. Im Wesentlichen wird das Kompetenzschema der schriftlichen Klausuren gekürzt und Elemente einer mündlichen Prüfung wie „Argumentationsfähigkeit“ u. a. aufgenommen. Es wird an bestimmten Tagen Aufgaben für ganz Österreich geben, die zu einem gewissen Zeitpunkt geprüft werden müssen. Ab April 2013 wird es auf der Webpage des BIFIE die Modelle geben.

8. Inwieweit wird es Vorgaben bezüglich der Erstellung mündlicher Reife- und Diplomprüfungsangaben für die Lehrer/innen geben? Für die mündlichen Prüfungen gibt es einen Leitfaden für die Findung der Themenbereiche, deren Veröffentlichung und für die Entwicklung der Fragen zu den Themen. Der Leitfaden wird erst im Mai 2016 benötigt und von BMUKK-Arbeitsgruppen erstellt.

9. Wird auch die Berufsreifeprüfung zentral durchgeführt? Wenn ja:

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Ab wann ? Sind die Aufgabenstellungen ident mit der „Zentralmatura“? Wenn ja, in welchen Gegenständen? »» Werden dann absolvierte Prüfungen der Berufsreifeprüfung für eine andere Matura anerkannt? Die Berufsreifeprüfung (BRP) ist entsprechend der letzten Novelle des BRP-Gesetzes ab April 2016 zu standardisieren. Die Aufgaben werden eigens an Lehrlingen feldgetestet und können in der Endfassung etwas anders formuliert sein wie die AHS-/BHSAufgaben. Die Erstfassung der Aufgaben und damit die Bildungshöhe ist dieselbe. Die Aufgaben werden in Deutsch, Englisch und angewandter Mathematik zur Verfügung gestellt. Teilprüfungen werden dann – ganz gleich, bei welcher Art von Prüfung sie abgelegt wurden – global anerkannt. Die Rechtsgrundlage dafür ist allerdings noch in Vorbereitung.

10. Wie ist das bei der Studienberechtigungsprüfung: Erfolgt hier im Zuge der „Zentralmatura“ eine Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen Berufsreifeprüfung und Studienberechtigungsprüfung? Werden z. B. facheinschlägige Teile von Studienberechtigungsprüfungen für die Matura anerkannt? Die Studienberechtigungsprüfung ist nicht standardisiert. Anrechnungen von Teilprüfungen der Studienberechtigungsprüfung auf die BRP – und damit für die allgemeine „Matura“ – sind seit der letzten BRP-Gesetznovelle bereits möglich (Englisch II, Mathematik III). Da die Studienberechtigungsprüfung an Attraktivität verliert, werden keine weiteren Anpassungen vorgenommen werden. Y

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„Es wird klarer, was ich kann.“ Schulversuch. Die „Teilzentralisierte Reife- und Diplomprüfung“ startet an den Schulen des bfi Wien. Mag. Claudia Zekl, MA Englisch- und Französischlehrerin, Bildungsberaterin und Coach an den Schulen des bfi Wien

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n ein paar Monaten nehmen Schüler/innen des V. Jahrgangs der Handelsakademie an den Schulen des bfi Wien am Schulversuch „Teilzentralisierte Reife- und Diplomprüfung“ in Englisch teil und sind so die ersten Schüler/innen unserer Schule, die sich an die neue Form der Matura heranwagen.

Wie aber war es dazu gekommen? Im Schuljahr 2011/2012 erhielt ich die Information, dass die Möglichkeit besteht, schon vor der offiziellen österreichweiten Einführung der teilzentralisierten Reife- und Diplomprüfung, an der im Schuljahr 2014/2015 alle Schüler/innen einer BMHS (berufsbildende höhere Schule) in Deutsch, Englisch und Mathematik teilnehmen werden müssen, im Rahmen eines Schulversuches die Reifeund Diplomprüfung in Englisch bereits im Mai 2013 nach diesem Modell ablegen zu können. Zuerst präsentierte ich diese Idee einmal vorsichtig den Schülerinnen und Schülern und stellte fest, dass es Schüler/innen gab, die diese Möglichkeit sofort gut fanden, dass es aber genauso Schüler/innen gab, die die alte Art zu maturieren vorziehen würden. Was folgte, war ein mehrwöchiger Informations- und Diskussionsprozess, in dem sich die Schüler/innen persönlich mit den Ideen hinter der teilzentralisierten Reife- und Diplomprüfung auseinandersetzten, sich Modelle anschauten, wie so eine Prüfung ablaufen würde und sich selbst eine Meinung darüber bildeten. An den Schulen des bfi Wien waren wir nämlich übereingekommen, dass wir die Schüler/innen mit diesem Schulversuch nicht zwangsbeglücken wollten, sondern dass wir nur dann daran teilnehmen würden, wenn alle Schüle­r/innen einstimmig dafür wären. Was wir wollten, war, ihnen die Möglichkeit zu bieten, an einer Form der Matura teilzunehmen, die in Zukunft Standard werden wird, und sie gleichzeitig bei der Entscheidungsfindung zu beraten, aber nicht zu beeinflussen. Die Schüler/innen setzten sich mit den Fragen „Sollen wir an diesem Schulversuch teilnehmen? Was bringt uns das für Vor- und Nachteile?“ in sehr professioneller Form auseinander. Sie nahmen an zahlreichen Informationsveranstaltungen des bifie teil, studierten das vorhandene Übungsmaterial und beleuchteten auch den Englischunterricht dahingehend, inwieweit sie sich die geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse schon in den Jahren zuvor aneignen konnten. Die Vorteile, die sie für sich erkannten, lassen sich wie folgt zusammenfassen: »» „Mit dieser Prüfung werden alle Schüler/innen einheitlich auf demselben Niveau geprüft, das ist fairer und transparenter.“

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„Ich glaube, dass ich bessere Chancen auf einen Job habe, weil damit klarer wird, was ich kann.“ „Die Angaben werden nicht mehr von unseren Lehrern/Lehrerinnen erstellt und ich finde es gerechter, wenn alle am selben Tag die gleiche Angabe bekommen.“ „Die Prüfung ist international vergleichbar und damit kann ich auch leichter im Ausland arbeiten.“ „In der Zukunft zählt die teilzentralisierte Reife- und Diplomprüfung als selbstverständlich, und daher ist es ein Vorteil gegenüber anderen Schülerinnen/Schülern, schon jetzt am Schulversuch teilzunehmen.“ „Ich glaube, dass diese Matura auch ein höheres Ansehen genießt.“

Einige Wochen später willigten alle Schüler/innen schriftlich ein, an diesem Schulversuch teilnehmen zu wollen. Für die Schüler/innen überwogen schließlich die Vorteile, doch soll nicht ungesagt bleiben, dass durchaus auch Ängste mit dieser Entscheidung verbunden waren. Die Schüler/innen fühlen sich als Versuchskaninchen, die als erste eine neue Art der Prüfung ausprobieren sollen und das bei einer Prüfung, bei der es schon um etwas Wichtiges geht, nämlich um ein Abschlusszeugnis einer Schule, mit dem sie im weiteren Leben reüssieren wollen. Sie erkannten zwar, dass durch »» die Einführung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens, an dem sich der gesamte Englischunterricht seit Jahren orientiert, »» die Arbeit mit dem Europäischen Sprachenportfolio, »» das gezielte Training von Lese-, Schreib-, Sprech- und Hörkompetenzen eine gute Basis für das Ablegen der neuen teilzentralisierten Reifeund Diplomprüfung in Englisch gelegt hat und dennoch haben sie schon ein klein wenig Angst davor, welche Texte sie bei der Prüfung letztendlich zu bearbeiten haben werden und ob ihr Wortschatz wohl auch groß genug sein wird, um die gestellten Übungen gut lösen zu können. Die Tatsache, dass von ihnen erwartet wird, praktisch über jedes Thema aus ihrem Erlebnisbereich schreiben, lesen, sprechen bzw. ein Gespräch darüber verstehen zu können, verunsichert ziemlich. Insgesamt lässt sich aber feststellen, dass die Schüler/innen sich den Spaß an der Sprache dadurch nicht nehmen lassen. Wir sind gespannt, wie sie mit der Probematura im März und letztendlich mit der eigentlichen Matura im Mai zurechtkommen werden, auch wenn ich überzeugt bin, dass sie diese Prüfungen gut schaffen können.  Y

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Die zentrale Matura – nicht ohne Furcht und Tadel Reportage. Die Stimmung in den Lehrerzimmern schwankt zwischen Ab- und Aufbruch. von Dr. Herbert Winkler

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ie standardisierte kompetenzorientierte Reifeprüfung ist delayed. Sie darf 2014 noch nicht landen. Aber 2015 wird es Ernst. Dann zieht die „Zentralmatura“, wie sie salopp genannt wird, auch in die berufsbildenden höheren Schulen mit Normierungen, Benotungsschlüsseln und einer neuen Unterrichtskultur ein. Die Stimmung in den Lehrerzimmern dazu schwankt zwischen Abund Aufbruch.

„Für Mathematik geht das alles ein wenig zu schnell”, sagt mir Mag. Eva M., eine engagierte Professorin aus einer humanberuflichen Lehranstalt. Ihre Schülerinnen waren bis jetzt gewohnt, Standardaufgaben zu lösen. Bei der „Zentralmatura“ bekommen sie nun praxisorientierte Aufgaben aus ihrer Lebenswelt vorgesetzt. Mussten sie bis jetzt hauptsächlich rechnerisch operieren, so müssen sie jetzt auch im selben Ausmaß modellieren, argumentieren und interpretieren. Die ersten Probeschularbeiten zeigten, dass sie damit überfordert sind. Für einige Schülerinnen war schon das Verstehen der Aufgabenstellung eine Hürde.

„Die neue Aufgabenkultur braucht ein Umdenken bei Lehrern wie bei Schülern und muss schon in den unteren Schulstufen beginnen”, meint Mag. M. Nebenbei erwähnt sie, dass die Mathe-Lehrerinnen und -Lehrer nun viel mehr Zeit in ihre Vorbereitungen investieren müssen. Man kann nicht mehr aus dem jahrelang erarbeiteten Fundus schöpfen. Als Problem sieht sie das aber nicht. „Eines hat sich nun deutlich verändert“, erzählt Frau Magistra verschmitzt. „Meine Schülerinnen fragen mich jetzt nicht mehr, wozu Mathematik gut sein soll.“ Offenbar hat der Gegenstand mit der standardisierten Reifeprüfung ein nützliches Image bekommen. Er ist lebensnäher geworden. In einer anderen BHS in Wien ist die Meinung zur „Zentralmatura“ eher ablehnend. Die Schwarzseher und Apokalyptiker haben die Oberhand. Es kommt das bekannte Phänomen zum Tragen, dass alles, was von „oben“ kommt, nicht gut sein kann. Man fühlt sich überrollt und außerdem schlecht informiert. Das BIFIE hat das Image der Panzerknackerbande, die den Lehrerinnen und Lehrern die Freiheiten stiehlt. Für die Anhänger der deutschen Schreibkultur ist es unerträglich, dass in Zukunft die Rechtschreibung nicht mehr besonders wichtig ist. Die Forderung, jede Schülerin und jeden Schüler individuell zu fördern, wird zur Farce, sagen die Hardliner. Speziell die Anhänger einer freien Lehrplaninterpretation stört die Fremdbestimmung sehr. Ein Personalvertreter einer Handelsakademie in Oberösterreich brachte die Wetterprognose im Mikroklima seiner Schule

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auf den Punkt: Bei uns haben alle Angst. So als wird demnächst ein Hurrikan die rotweißrote Republik heimsuchen. Dass Neues und Unbekanntes grundsätzlich Angst macht, betrifft nicht nur Lehrerinnen und Lehrer. Veränderungen machen stutzig und lösen Vorsicht aus. Niemand gibt gerne liebgewordene Gewohnheiten auf. Das geht querbeet durch alle Berufsgruppen. Schon die Einführung der E-Card, der Umbau einer Bankfiliale oder die Verlegung einer Autobushaltstelle bringt manche Menschen aus dem Häuschen und aufs Dach.

„Ich will mir gar nicht vorstellen, dass ein Großteil meiner Schüler bei der Reifeprüfung versagt”, sagt mir ein HTL-Lehrer. Es macht ihm Angst, dass er dann als Blamierter dasteht. Was eigentlich ein ehrenwertes Statement ist. Zugleich erzählt er mir als Vater, welchen Vorteil die Zentralmatura für seine Kinder haben wird.

„Mein Sohn ist dann nicht mehr der Willkür so mancher Pädagogen ausgesetzt”, gesteht er unverblümt, denn sein Sohn spielt mit seinen Rechtschreibkenntnissen nicht in der ersten Liga. Wenn in Zukunft die Prüfungsaufgaben zentral vorgegeben und die Auswertungen standardisiert erfolgen, werden Prüfungen gerechter ablaufen. Die Schulnoten unterliegen dann nur mehr teilweise dem subjektiven Lehrerurteil. Dr. Verena K. ist erst seit zwei Jahren an einer Zentrallehranstalt in Wien beschäftigt. Sie findet, dass es höchste Zeit für diesen Paradigmenwechsel ist. Die derzeitige Reifeprüfung hat für sie international keinen Marktwert mehr. Sie war jahrelang im Ausland tätig. Manchmal muss sie Klassen von Kollegen übernehmen, die einen zweckentfremdeten Unterricht bieten und den Lehrplan nur als Empfehlung sehen. Darunter hat sie immer gelitten.

„Das wird jetzt anders werden, denn die Schüler werden von selbst einen Unterricht einfordern, der sie für die Reifeprüfung fit macht”, ist Dr. K. überzeugt. Für sie lässt der Lehrplan genug Spielraum für eigene Schwerpunktsetzungen, denn kompetenzorientierter Unterricht ist mit jedem Lehrstoff möglich. „In einigen Jahren wird sich die „Zentralmatura“ genauso eingespielt haben wie andere Reformen, die vorher skeptisch beurteilt worden sind“, sagt sie. Angst hat sie keine. Nur ein mulmiges Gefühl, ob sie alles richtig machen wird. Das ehrt sie. Wie sagte der französische Schriftsteller Stendhal so treffend: Ich fürchte nur, was ich achte. Y