31. Mai 2013 ... mit der vorliegenden Ausgabe halten Sie zum vierten Mal das neue RONDO in
Händen. Viele Zuschriften haben uns dazu erreicht, aus denen ...
Das Klassik & Jazz Magazin 2/2013
Anna Prohaska Verhextes Barock Julia Lezhneva Kirchliches Kehlwunder Ian Bostdrige Bloß keine Tenöre!
A r c a d i Vo l o d o s
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Bei Gefallen:
Geld zurück ! Das Klassik & Jazz Magazin 6/2012 Das Klassik & Jazz Magazin 5/2012
Christian Gerhaher
Gerne auf Distanz
Alisa Weilerstein
Barenboims Cellistin
Rudolf Buchbinder
Debüt mit Mozart
MARtin GeCk
Wagner weiterdenken
Gabetta und Grimaud
Liebe Leserinnen und Leser,
Das Klassik & Jazz Magazin 1/2013
Das Labsal-Duo Das Klassik & Jazz Magazin 2/2013
Kastraten vs. Countertenöre
Who-is-who der hohenAlexander Töne Krichel Liederfrühling statt Funktionslehre Joyce DiDonato Rigide Regentinnen Carlo Gesualdo Anna Prohaska Mörderische Verhextes Barock Madrigale
Hille
Julia Lezhneva PTale &rGroethuysen l Kirchliches KehlVierhändiger wunder Holländer
Krisensicheres J o n A s K Au f m A n n Silber Mein lieber Schwan A r c A d I Vo L o d o s Jetzt einfach vollendet Ian Bostdrige
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Bloß keine Tenöre!
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mit der vorliegenden Ausgabe halten Sie zum vierten Mal das neue RONDO in Händen. Viele Zuschriften haben uns dazu erreicht, aus denen wir ersehen, dass Sie mit dem neuen Layout zufrieden sind. Auch wir finden: RONDO ist übersichtlicher, lesefreundlicher und ansprechender geworden. Das kann in unseren Augen niemand besser vermitteln als Sie. Und das zahlt sich jetzt aus: Wenn Ihnen das neue RONDO gefällt, erzählen Sie doch Ihren Bekannten und Freunden davon. Für jeden Abonnenten, den Sie dazugewinnen, erhalten Sie von RONDO die halbe Jahresgebühr zurück.* Für drei Abonnenten beispielsweise beziehen Sie also RONDO drei Jahre lang zum halben Preis. Auf der Anmeldung sollte Ihr Neu-Abonnent Ihren Namen und Ihre Anschrift ergänzen unter dem Stichwort „empfohlen von“. Dann erhalten Sie noch für dieses Jahr den halben Abo-Beitrag rückwirkend erstattet. Und Ihr Bekannter kann sich sechs Mal über das neue RONDO freuen, druckfrisch nach Hause geliefert. Mit dabei: die RONDO-CD mit vielen Tracks aus den Neuheiten aller großen Labels.
Abo-Jahresbeitrag ab 21. März: € 28 für sechs Magazine mit Rondo-CD Bestellungen schicken Sie bitte postalisch an: RONDO, Johannisplatz 3a, 81667 München oder
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* Die Prämie erhalten alle leserwerbenden Abonnenten (mit laufendem Abo zum Stand 21.3.). Auch Neu-Abonnenten können wieder werben, die Prämie wird dann ab dem Folgejahr angerechnet. Die Aktion läuft bis Stichtag 19. Mai 2013 Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
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Themen Pasticcio: Meldungen und Meinungen aus der Musikwelt4 So war’s in Venedig5 Arcadi Volodos: Jetzt einfach vollendet6 Anna Prohaska: Lolita, nicht Lulu8 Jan Vogler: Regelrechter Luxus10 Blind gehört: Manfred Honeck12 Julia Lezhneva: Vokales Feuerwerk14 Digital Concert Hall: APPetizer16 Ian Bostridge: „Ich mag keine Tenöre“18
Musik im Riesen:
Feine Klunker35
Da Capo: Gezischtes Doppel
der RONDO-Opernkritik36
Intonations:
„Nächstes Jahr: Jerusalem!“37
Leserreise Zermatt38 Musik-Krimi39
CDs, Bücher & Sammlerboxen RONDO-CD: Abonnenten
kriegen was auf die Ohren40
Klassik-CDs
mit der „CD des Monats“41 Vokal total: Neuerscheinungen
São Paulo: Zukunftsland der Klassik21
Klavierklassiker:
Pergolesi: Kreuzglücklich24 Comics: So oder ähnlich – Musikgeschichte in Bildern25 Stephen Wright: Der Schallplattenjäger26
für Stimmfachleute42
Kulturanschlag auf
die Anschlagskultur46
Premieren-Abo:
Stimmen in HD-Qualität47
Jazz-CDs
mit dem „Meilenstein“51 Jazz-DVDs:
Jazz auf dem Schirm54
Magazin: Schätze
Testklang: Klein, aber Premium27
für den Plattenschrank55
Hörtest: Schumann „Waldszenen“28
für Leseratten56
jazzwerkstatt: Die Planschmiede30 John Medeski: Nackt am Klavier31
Oper, Festival, Konzerte
Bücher: Musik
Boulevard: Bunte Klassik57
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Termine: Opernpremieren58 Termine: Konzerte Klassik60 Termine: Konzerte Jazz64
Musikstadt Aldeburgh32
Impressum66
Fanfare: Proben, Pleiten und Premieren aus Oper und Konzert34
Zugabe: Nettigkeiten von den Hinterbühnen
dieser Welt67
28. Juni – 28. Juli 2013
Anna Prohaska: Lolita, nicht Lulu
20 Jan Lisiecki: In der Zeit gefrorene Musik
22 Julia Fischer: Musik als Muttersprache
Termine
Lust auf Klassik? www.reservix.de
Arcadi Volodos: Jetzt einfach vollendet
Doktor Stradivari:
Jan Lisiecki: In der Zeit gefrorene Musik20
Julia Fischer: Musik als Muttersprache22
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Dein Ticketportal.
31 John Medeski: Nackt am Klavier
Sabine Meyer & kammerorchesterbasel 28.07.13 Passau
Vesselina Kasarova & Hansjörg Albrecht (Pianoforte) 26.07.13 Fürstenzell
Münchner Philharmoniker 30.06.13 Passau
Alle Veranstaltungen der Festspiele Europäische Wochen Passau und weitere 30.000 unter:
www.reservix.de
Meldungen und Meinungen der Musikwelt
Dunkle Wolken über dem Goldenen Musikverein
Aufatmen: Die Wiener Philharmoniker haben ihre Vergangenheit aufgearbeitet
Dass die Wiener Philharmoniker ihre Geschichte im Nationalsozialismus nie richtig aufgearbeitet haben, konnte man schon 2010 in dem Büchlein „Treffpunkt der Moderne“ nachlesen. So wurden noch Jahrzehnte nach Kriegsende in den Konzertprogrammheften tatsächlich Texte abgedruckt, die ein Ex-Mitarbeiter des „Völkischen Beobachters“ über den ‚Juden‘ Mahler geschrieben hatte. Nun scheint aber endlich ein Ruck durch das Traditionsorchester gegangen zu sein – auch wenn der Anstoß dafür erst von der Öffentlichkeit kommen musste. Ein dreiköpfiges Historikerteam hat nach umfassenden Recherchen auch im Orchester-Archiv ihre ersten Ergebnisse vorgelegt und u. a. auf der Internetseite der Philharmoniker veröffentlicht (www.wienerphilharmoniker. at). So besaß die Hälfte der Orchestermitglieder ein NSDAP-Parteibuch (bei den Berliner Philharmonikern waren es lediglich 20 von rund 110 Musikern). Und während von den entlassenen jüdischen Musikern fünf im KZ ums Leben kamen oder ermordet wurden, kehrte u. a. das einstige SS-Mitglied Ernst Wobisch als Solo-Trompeter zurück. Bis 1968 war er sogar Geschäftsführer des Orchesters. gf
Kolumbianer wird Wahl-Hesse
Wunschkandidat: Andrés OrozcoEstrada
Überall, wo Andrés Orozco-Estrada dirigiert, sorgt der gebürtige Kolumbianer mittlerweile für Jubelstürme. Etwa bei den Wiener oder den Münchner Philharmonikern. Kein Wunder, dass der 35-Jährige überall dort ein heißgehandelter Kandidat war, wo demnächst ein Chefposten frei wird. Auch das Kölner Gürzenich-Orchester war an ihm dran. Um ihn als Nachfolger von GMD Markus Stenz zu gewinnen. Im Januar gab Orozco-Estrada den Kölnern aber einen Korb – und sagte zwei Monate später beim hr-Sinfonieorchester Frankfurt zu! Ab August 2014 wird er damit Chef von einem der besten deutschen Radio-Orchester. Orozco-Estrada stand erstmals mit 15 Jahren am Pult eines Orchesters. 1997 ging er für ein Dirigierstudium nach Wien und schaffte dort 2004 den Durchbruch. Als er im Musikverein beim Tonkünstler-Orchester Niederösterreich einsprang, wurde er prompt als „Wunder von Wien“ gefeiert. „Das hr-Sinfonieorchester ist in hervorragender Verfassung“, stellte Orozco-Estrada nun bei seiner öffentlichen Präsentation fest. Ein größeres Lob konnte er damit seinem Vorgänger Paavo Järvi nicht machen. rl
Scheidung abgewendet!
Aufatmen II: Duisburg und Düsseldorf bleiben ein Opernverbund
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„Dies ist ein Befreiungsschlag und ein wichtiges Signal für die Kulturlandschaft beider Städte. Wir freuen uns, dass diese seit Jahrzehnten erfolgreiche Kooperation fortgeführt wird.“ Mit diesen Worten haben die Oberbürgermeister von Düsseldorf und Duisburg gerade Entwarnung geben können. Denn die Opern-Ehe zwischen den beiden Städten wird vorerst doch nicht geschieden. Im Gegensatz zu der finanziell gut aufgestellten Landeshauptstadt sah sich das stark verschuldete Duisburg nicht mehr in der Lage, den Spielbetrieb der Deutschen Oper / Rhein aufrecht zu erhalten. Nun hat man aber einen rettenden Deal ausgehandelt. Der Duisburger Anteil wird um eine Million auf 9,5 Millionen gekürzt. Düsseldorf übernimmt die Differenz sowie nahezu komplett den Großteil der Tarifsteigerungen. Zudem werden im Ruhrpott die Opernaufführungen von 100 auf 70 bis 80 pro Spielzeit runtergefahren. Ob diese Kompromisse jedoch von langer Dauer sein werden, steht schon jetzt in den Sternen. Schon 2017 will man sich erneut an einen Tisch setzen. gf
Leserbriefe Zu Rondo 1/2013 – Interview Jonas Kaufmann Deplazierte Feststellung „Abgesehen davon, daß man nichts verallgemeinern sollte, finde ich die von Jonas Kaufmann aufgeworfene Frage und Feststellung „Wer liest denn heute noch Bücher?“ reichlich deplaciert! Da möchte ich ihn hingegen fragen, in welchen stupiden, geistlosen Kreisen denn er sich orientiert hat? Die gesamte Literatur erhebt doch unbedingten Anspruch auf Respekt und positive Resonanz; das darf man nicht mit der seichten, vulgären Prosa von heute vergleichen!“ Florian Fontane, Baden Baden
Zu Rondo 01/2013 – Musik-Krimi Nr. 1 Im Krimifieber „Großes Lob für den neuen Musik-Krimi im letzten Heft! Ich finde es eine schöne Idee für alle Klassikfreunde-im Krimifieber. Nun kann man sich mit einem Detektiv in musikalischem Detailwissen messen. Leider habe ich nicht gewonnen, aber so schnell gebe ich auch nicht auf.“ Therese Brittwang, Erfurt
Zu Rondo 01/2013 – Rezension einer Korngold-Biografie Korngold im Aufwind „ […] Ihre sehr wohlmeinende Rezension las ich mit großem Interesse. - Die Beschränkung auf sein Violinkonzert und die Soundtracks bedarf einer Korrektur.[…] DIE TOTE STADT wurde seit 2000 an 43 Theatern aufgeführt; noch in dieser Saison in Innsbruck, Hof und Lübeck. Die steigende Anzahl der Kammermusik-Aufführungen in den letzten Jahren führte auch zu einer Anzahl von insgesamt mehr als 200 Korngold-CDs. Ging das an Ihnen vorbei?“
Bernd Rachold, Hamburg
Foto: Richard Schuster
Pasticcio
Rodion Shchedrin Die Dokumentation von WOLF SEESEMANN über den preisgekrönten russischen Komponisten RODION SHCHEDRIN. Archivmaterial, Live-Mitschnitte und zahlreiche Interviews mit Musikern wie Martha Agerich, Valery Gergiev, oder Lorin Maazel bieten einen faszinierenden Einblick in das Leben und die Arbeit des Mitglieds der Berliner Akademie der Künste und international gefeierten Musikers Shchedrin. 101663 RODION SHCHEDRIN
Leserreise Venedig Acqua alta
Dunkelrot leuchtet die Warnung: Hochwasser bis 1,50m. Ob die RONDO-Leserreise nach Venedig in’s Wasser der Lagune fällt? Von C a r s t e n H i n r ich s
N
a das kann ja heiter werden: Kurz vor dem Start der Reise checken wir nochmal die amtliche Hochwasserwarnung. Alarmstufe rot! Dazu sagt der Wetterdienst heftige Schneefälle voraus. Doch Glück im Unglück. Die Flut hat ihre Aktivität auf 01:00 Uhr nachts gelegt. Als die Teilnehmer der Leserreise nach und nach in Venedig eintreffen, sind zwar noch Schäden von den ungewöhnlichen Schneemassen zu beseitigen, ansonsten fallen aber Masken und Konfetti in den Straßen auf. Der Karneval hat seinen letzten Tag. Vom berüchtigten Acqua alta selbst ist nichts zu sehen. Fast nichts. Eine Pfütze im Frühstücksraum zeigt, wie souverän und routiniert die Venezianer mit diesem typischen Winterphänomen umgehen – ein Wischmopp ist ihre stärkste Waffe, die Wände sind bis in Kniehöhe unverputzt. Dann steht aber endlich die Musik im Mittelpunkt: Ein Rundgang durch das ehrwürdige Barockpalästchen bereitet uns auf das Konzert mit Klavierwerken Wagners und Liszts vor. Der Palazzetto Bru Zane gibt der leidenschaftlichen, nur beim Applaus seltsam schüchternen Pianistin den intimen und stimmungsvollen Rahmen. Wenn nur die verflixten Calle ein wenig rechtwinkliger angelegt wären – der Rückweg in’s Hotel wird zum Triumph der Ariadne.
Warum die Flut hier nicht durch die Türen, sondern immer von unten kommt, erfahren wir am nächsten Tag bei der Stadtführung. Anschaulich erläutert uns die Dame das komplizierte System der halb hölzernen, halb steinernen Stützpfeiler, die sich auf die tragenden Mauern konzentrieren. Mit der übrigen Fläche hängen die Paläste sozusagen frei über dem Wasser. Auch der Markusdom, die nächste Station unseres Rundganges. Dank Ortskenntnis der Führerin sind wir genau im richtigen Moment zu gegen. Mit einem Mal erstrahlen die 2t Blattgold, die den Kirchenraum als Mosaiken schmücken, im Licht der Scheinwerfer. Und das gibt es jeden Tag nur für eine halbe Stunde. Die verantwortliche Dame des Wagner-Museums hat sich trotz Grippe extra auf den Weg gemacht. So stehen wir genau am 130. Todestag in den originalen Räumen des Palazzo Vendramin-Calergi und atmen die kultische Verehrung aus hundert staubigen Reliquien. Da wirkt die quirlige abendlichen „Bohème“-Inszenierung im satt-rotgoldenen Opernhaus La Fenice wie eine Frischluftkur!
Neugierig geworden? Die nächste Leserreise startet Anfang September. Nähere Infos auf S. 38
Ebenfalls erhältlich: 101477: RODION SHCHEDRIN DIE MÖWE - BALLETT IN ZWEI AKTEN
Arcadi Volodos bei seinem Recital im Wiener Musikverein 2009
Arcadi Volodos Einfach in Vollendung Paris, adieu! Arcadi Volodos genießt lieber die Ausblicke an der Costa Blanca. Mit Kompo sitionen Mompous huldigt er nun auch musikalisch der Stille. Von M at t h i a s Kor n e m a n n Mir scheint, Ihre Aufnahme möchte ein repräsentatives Panorama aller Schaffensphasen Mompous bieten? Arcadi Volodos: Exakt. Natürlich hätte ich einfach die komplette Musica callada aufnehmen können, sein ganzes Leben strebt diesem magischen Punkt entgegen. Ich wollte aber auch den langen Weg zu diesem letzten Gipfel nacherzählen, Ideen aus seiner Jugendzeit zeigen, in der auch jene spanische Atmosphäre
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aufscheint, die später völlig aus seiner Musik verschwindet. Wer Ihr bisheriges Repertoire kennt, ist einigermaßen überrascht über diese CD. Wie haben Sie Mompou eigentlich entdeckt? Das ist schon Jahre her. Im Haus eines Freundes hörten wir eine Schallplatte. Mein erster Eindruck: hübsche Musik, farbig, etwas nostalgisch, sehr gewählte Harmonien – sie gefiel mir, aber mehr auch nicht. Es hat Jahre ge-
dauert, zu verstehen, was die Musica callada überhaupt bedeutet. Das kann man beim ersten Hören einfach nicht wahrnehmen. Viele tun diese Musik nach dem „ersten Hören“ etwas verächtlich ab, weil sie so quer zur Fortschrittsideologie der Musikgeschichtsschreibung steht. In der Geschichte der Musik steht Mompou abseits; schon seine völlig zurückgezogene Art zu leben war „anders“. Die Komponisten der Moderne verkomplizierten Harmonie und Rhythmus immer weiter – Mompou aber ging genau in die andere Richtung. Er schrieb immer minimalistischer bis zur absoluten Einfachheit seiner letzten Werke. Das war in seiner Epoche etwas absolut ungewöhnliches, wo es immer schwieriger und komplizierter sein musste. Jeder Komponist geht seinen Weg – Beethoven den großartigen späten Quartetten entgegen, Skrjabin dem Mysterium, das er dann nicht mehr schreiben konnte. Mompou aber vollendet sich in der absoluten Einfachheit und Abstraktion der Musica callada.
Foto: Ali Schafler
keinen der Kandidaten eliminiert?“ – „Das Sie haben sich mit dieser CD nicht nur wird das Leben schon machen“, war die einem Meister des Rückzugs in die Stille gelakonische Antwort. widmet, Sie machen sich selbst auch auf Wenn man ihn als großen Komponisten den Konzertpodien etwas rarer. lobte, sagte er immer, ich bin kein Komponist, Ja das stimmt, ich mag die Hektik des Reisens nur Musiker, und ich komponiere nicht, ich nicht besonders und spiele deutlich weniger löse auf [Anm.: im spanischen ein Wortpaar: Konzerte. Ich habe auch meinen Pariser componer – descomponer]. Wohnsitz aufgegeben und wohne jetzt hauptsächlich an der Costa Blanca und genieße die Hinter dieser Zurücknahme seiner Person Weite der Landschaft nah am Meer. Ich verversteckte sich aber doch ein geradezu bringe mehr Zeit in der Stille, der Natur oder philosophisches künstlerisches Konzept. mit meinen Freunden. Ja, ein philosophischer Dualismus zog sich Vor allem gibt es im spanischen Leben ein durch sein ganzes Leben. Er suchte die Grenze anderes Zeitgefühl, alles geht sehr langsam, zwischen Musik und Schweigen niederzues gibt nicht diese Aggressivität, diese ewige reißen. Für ihn waren das keine Gegensätze, Eile, die ich in Paris oder Berlin so unerträglich sondern sich durchdringende Sphären. finde. Mich interessiert dieses vermutlich aus der östlichen Philosophie stammende Phänomen sehr, wie der Zeitbegriff in der Musik zum Verschwinden gebracht wird. In der Musica callada gibt es diese Momente, in denen die Schmal, erlesen und nicht von Zeit plötzlich stillsteht. dieser Welt ist das Werk des KataHaben Sie eigentlich auch lanen Frederic Mompou (1893– die Aufnahme angehört, die 1987). Allzu oft als „SoundMompou selbst von seiner track“ melancholischer Abende Musica callada gemacht oder als gehobene Cocktailbarhat? Beschallung missverstanden, Es ist sehr interessant, den stehen die magischen KlavierKompo nisten selbst spielen zu miniaturen des Einsiedlers aus hören und man ahnt eine Menge Barcelona in ihrer kunstvollen Kunstseiner Ideen, aber er war schon sehr losigkeit jenseits aller Stilbegriffe. Es ist, als rufe der alt und konnte nicht mehr alles Komponist einzelne Klänge und Figuren aus einem realisieren, was er wollte – er hätte Raum des Schweigens hervor, in den sie sich, kaum das früher aufnehmen sollen. Die Klang geworden, wieder verlieren. Der Spieler gleicht Aufnahmequalität ist auch miserabel, einem reglosen Medium, durch das Mompou die bedie Mikrofone sind viel zu nah schwörenden Monologe seiner späten Musica callada am Flügel, der auch noch schlecht spricht, kristalline Bildungen von der Konzentration intoniert ist. Das ist sehr schade, eines symbolistischen Gedichtes. ist diese Musik doch eigentlich so immateriell, sie liegt jenseits der In dieser Welt eines derart aggressiv beTastatur. schleunigten Zeitempfindens ist es unheimWie würden Sie denn Ihren pianistischen lich schwierig, die Musik Mompous zu hören. Zugriff auf diese Miniaturenkunst beDarum musste ich diese CD einfach machen, schreiben? und ich hoffe, dazu beitragen zu können, dass Ich würde hier nicht von einer pianistischen viele Musiker diese geniale Musik entdecken Aufgabe sprechen wollen. Das ist eigentlich Musik, an der es nicht viel zu „interpretieren“ und spielen werden, die Partituren kaufen, gerade hier in Deutschland, wo Mompou nicht gibt, sie spricht eher aus sich selbst, Farben sonderlich bekannt ist. Das ist mein Plan. sollten wie auf natürlichem Wege entstehen. Aber das sagt sich so leicht. Das Aufnehmen fiel mir hier unendlich schwerer als bei allen Erscheint am 19. April: Frederic Mompou: meinen vorhergehenden CDs. Viel schwerer Klavierwerke, Sony als beim Liszt zuletzt. Bei Mompou gibt es Abonnenten-CD: Track 13 nicht diese leicht fasslichen Kontraste. Hat man, wie bei Liszt, solche starken Gegensätze, Die nächsten Konzerte: 21./22./23.03. München, Philharmonie ist der weitere interpretatorische Weg einfach. 24.03. Nürnberg, MeistersingerAber hier gibt es nicht die großen Kontraste, halle sondern Millionen Mikro-Kontraste, eine 05.05. Freiburg, Konzerthaus 06.05. Frankfurt, Alte Oper ganze kleinteilig-subtile Welt … 07.05. Berlin, Philharmonie … und auch keine eindeutige emotionale 14.05. Wien (A), Konzerthaus Botschaft … 16.05. Düsseldorf, Tonhalle … es gibt so viele Botschaften darin. Es ist geradezu metaphysisch.
Keine Bar-Beschallung
Das Werk ist ja schon seinem Titel nach schwer zugänglich und rätselhaft. In der Tat, der Titel „Musica callada“ ist nicht übersetzbar. Es wäre allzu primitiv, „stille Musik“ zu sagen. Man muss es umschreiben, also eher „tönende Einsamkeit“ oder „tönendes Licht“ oder „Ewigkeit“ – es gibt kaum mehr etwas Materielles in dieser Musik. Man hat beim Hören den Eindruck, dass sie kaum mehr komponiert ist, fast als habe sie vor unserer Zeit existiert. Sie will auch gar nicht verstanden sein. Darin gleicht sie doch dem Wesen ihres Schöpfers … Ja, Mompou war ja eine ungeheuer schüch terne und bescheidene Gestalt, allerdings mit einem ziemlich trockenen Humor. Er saß einmal in der Jury eines sehr renommierten Kompositionswettbewerbes. Die Jury musste bewerten, und die übrigen Mitglieder gaben für die neu gehörten Werke immer schlechte Noten. Mompou aber immer die Spitzenwertung. „Maestro, warum haben Sie denn
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Anna Prohaska Lolita, nicht Lulu
Anna Prohaska begeistert mit ihrem neuen Album „Enchanted Forest“. Und ist jüngster Spross einer illustren Musikerdynastie. Von Robe rt F r au n hol z e r
A
ngenommen, Sie wachsen in einem Haus auf, wo der eigene Name in Goldlettern an der Fassade prangt. Angenommen, im Salon ihrer Urgroßmutter gingen zuvor Brahms und Alban Berg ein und aus. Und schließlich hat Johann Strauß (Sohn) in denselben Räumen, wo Sie mit Ihrem Brüderchen herumtollen, die „Fledermaus“ komponiert. Wenn das so wäre – zumal als Sängerin in Wien –, so wären Sie reif für eine Psychoanalyse. Seien Sie also froh, dass das nicht Ihnen passiert ist. Sondern Anna Prohaska. Sie lacht laut darüber und hat das Ganze in folgende Formel super verpackt: „Goldene Kindheit“. Tatsächlich war ihr als Mädchen, wie sie zugibt, „die Jahreskarte für den Wiener Zoo“ (direkt vis-à-vis) viel wichtiger als die Ahnengalerie! Das bewusste Haus liegt direkt neben Schloss und Tiergarten Schönbrunn und ist bis heute in Familienbesitz. Anna Prohaska (29) ist die Urenkelin des Komponisten Carl und Enkelin des Dirigenten Felix Prohaska. Ihr Vater Andreas Prohaska inszenierte die Uraufführung von Wolfgang Rihms „Hamletmaschine“. Bruder Daniel ist als Operetten-Buffo am Münchner Gärtnerplatz engagiert. Kurz: Keiner in der Familie hat sich von den Vorfahren abschrecken lassen. Seit sieben Jahren ist Anna Prohaska der beste Neuzugang in Daniel Barenboims Berliner Staatsopern-Ensemble. „Meine Homebase“, sagt sie, obwohl sie nur kurz fest am Haus war. Mit Claudio Abbado debütierte sie bei den Berliner Philharmonikern. Mit
Pierre Boulez erscheint dieser Tage Mahlers „Klagendes Lied“. Und mit Harnoncourt probte sie kürzlich in dessen Haus am Attersee die „Fidelio“-Marzelline für Wien. Ihre Solo-CD „Sirène“ vor zwei Jahren war schließlich eines der erfreulichsten Debüts bei der Deutschen Grammophon seit langem. Anna Prohaska hat eine vorzügliche Schallplattenstimme. Auch deswegen, weil die Stimme nicht so riesig dimensioniert ist, dass einem vom Zuhören die Ohren abfallen. Eher kleinere Stimmen – das weiß man seit Fritz Wunderlich – sind fürs Schallplattenstudio meist das Beste. „Ich hatte als Kind niemals so eine typische, behauchte M ä d c h e n s t i m m e “, hätten ihr die Eltern oft erzählt. „Ich war unglücklich, weil ich nicht in einen Knabenchor gehen durfte“, so Prohaska. Nach dem Studium an der Berliner „Eisler“Hoch schule debütierte sie in einer Ho senrolle, dem Yniold in Debussys „Pelléas et Mélisande“. Die vollfruchtige Höhe, ein ironisches Blinzeln und ein leichter LolitaTypus schickten sie indes mit einem One-wayTicket in die höchsten Sopranhöhen, wo sie mit Rollen wie Zerlina, Papagena oder Anne Trulove (in Strawinskys „Rake’s Progress“) für Aufsehen sorgte. Denn Anna Prohaska zwitschert nicht nur, sondern gab diesen Rollen Charakterfestigkeit, Jugendsinn und ein entscheidendes Quäntchen Unberechenbarkeit. Sie verströmte Freiheit. Das ist in einer auf Notentreue und Dienstbarkeit geeichten Klassik etwas ganz
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Foto: Harald Hoffmann
„Und anschließend gehe ich dann meinen Freunden auf die Nerven!“
CATHERINE MANOUKIAN EDWARD ELGAR: VIOLINKONZERT Staatskapelle Weimar · Stefan Solyom Der kanadischen Geigerin gelingt mit ihrem Live-Mitschnitt, dieses großformatige Konzert wie in einem Atemzug zu präsentieren.
Daphne im Zauberwald
1 CD · 0300523BC
Auf der CD „Enchanted Forest“ („Zauberwald“) verirrt sich Anna Prohaska lustvoll im Tannen-Labyrinth aller möglichen barocken Vivaldi-Nymphen, Händel-Zauberinnen und Purcell-Feen. Bis zurück zu Monteverdis „Lamento della Ninfa“ und Cavallis „Calisto“ reicht dieses gut durchdachte Kaleidoskop weiblicher Porträts rund um den DaphneMythos. Um sich vor Gott Apollos Avancen ein für allemal in Sicherheit zu bringen, verwandelt Bernini: sich die Bergnymphe Daphne Apollo in einen Lorbeerbaum. Die und Arien werden begleitet vom Dafne englischen Ensemble Arcangelo. Und enthalten etliche Hits aus Händels „Rinaldo“, „Alcina“, Purcells „Fairy Queen“ und Vivaldis „La fida ninfa“. Superb!
„Ich schaff ’s, die Lulu erst in frühesten acht Jahren auf der Bühne zu singen“, meint sie stolz. Und in derlei professioneller Vorsicht zeigt sich das wahre Künstler-Blut. Die familiäre Prägung. Für Recherche und Zusammenstellung Ihrer zweiten Solo-CD hat Prohaska wiederum großen Aufwand betrieben. „Kein Problem“, relativiert sie. Im Internet könne man heute die Noten direkt ansehen. „Und anschließend gehe ich dann meinen Freunden auf die Nerven! ‚Fällt dir noch etwas ein?’, frage ich überall.“ Das beschert uns nun ein überaus vielseitiges, zwischen England und Italien brillant oszillierendes Album. Glänzend
1 CD · 0300429BC
aufgelegt, strahlfreudig von Lachlust bis Todtraurigkeit pendelt Prohaska exquisit hin und her. Fällt auch alles nicht vom Himmel. „Ideal ist es, wenn ich mir zehn Tage Auszeit vor einer Aufnahme nehmen kann“, sagt sie. Weiß also klüglich abzubremsen. „Als ich aus Los Angeles zurück kam, brauchte ich neun Tage – genauso viele wie die Stunden bei der Zeitumstellung –, um mit der Stimme wieder ganz anzukommen.“ Tatsächlich reisten Sänger früherer Generationen, wenn sie in den USA
STELLA DOUFEXIS NUITS D’ÉTÉ Berlioz · Chausson · Ravel Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz · Karl-Heinz Steffens Mit ihrem warmen Mezzo malt die Sängerin Traumbilder, die uns in die Dunkelheit ahnungsvoller Sommernächte entführen.
singen wollten, so viele Tage vorher an, wie die Zeitdifferenz zwischen Europa und dort betrug. Gern wird sie als „unbrav“ und „unkonventionell“ beschrieben. „Das stimmt vor allem insofern, als ich übertriebenen Beschreibungen ungern widerspreche“, scherzt sie. Dass in Anna Prohaska, in Neu-Ulm geboren und in Berlin wohnend, noch immer ein goldenes Wiener-Herz schlägt, zeigt sich spätestens in ihren Menü-Präferenzen. Sie schwört auf paniertes Wiener Schnitzel. „Und zwar im Gmoakeller oder im Café Engländer in Wien“, empfiehlt sie.
2 CD · 0300531BC
Seltenes. So ist Prohaska heute eine der wichtigsten Sängerinnen des SoubrettenFachs. Aber keine Soubrette! „Danke für das Kompliment“, lacht sie. Denn unterhalb des glockigen Unschuldstons, den sie für Despina, Blondchen oder Sophie hat, hört man bei ihr eine dunklere, lockende Flamme glimmen. „Immer sagen mir alle, ich solle doch Bergs ‚Lulu’ singen“, erklärt sie. Doch für die kindliche Männerverschlingerin – „wahnsinnig reizvoll“, wie sie zugibt – bräuchte man etwas wie einen dramatischen Koloratursopran.
1 CD · 0300429BC
NEUHEITEN BEI BERLIN CLASSICS
ANNEGRET SIEDEL BIBER: ROSENKRANZ-SONATEN Bell‘arte Salzburg
Neu erschienen: „Enchanted Forest“ (Arien von Vivaldi, Händel, Purcell, Cavalli; mit Jonathan Cohen, Ensemble Arcangelo), Universal/Archiv Abonnenten-CD: Track 6
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Auf neun verschiedenen historischen Geigen legt Annegret Siedel eine virtuose wie berührende Interpretation der RosenkranzSonaten vor. Jetzt im Handel sowie als Download erhältlich. Weitere Informationen und den Katalog erhalten Sie bei: Edel Germany GmbH, Hamburg · Telefon (040) 89 08 53 13 www.edelclassics.de
Jan Vogler Regelrechter Luxus
Für seine Bach-Cellosuiten hat sich Vogler strenge Regeln auferlegt. Denn nur so kann er die Musik im richtigen Moment mit Casals-Grandeur aufleuchten lassen. Von C a r s t e n N i e m a n n
W
erlegte er sich anfangs auf: Streng eingebunden“ nach New York ohl jeder Cellist von nach dem Manuskript von Bachs schickte, bekam die AuseinanderBedeutung wird Frau Anna Magdalena wollte er setzung eine neue Dynamik – zudie Versuchung spüren, die be- sich den Stücken nähern, un- sätzlich befeuert von der Möglichbeeinflusst von den dicken keit, auf einem Stradivari-Cello rühmten sechs Solosuiten von Johann Sebastian Bach ein- Schichten von Herausgeberzu (dem Ex-Castelbarco von 1707) sät zen, die sich inzwischen auf zu musizieren. Mit seinem zuspielen. Doch wann ist der den Noten abgelagert haben. sprechenden Klang, seinem richtige Zeitpunkt? Für Jan Die zweite Regel: Alle Tanzsätze großen Ton und seinem „aristoVogler war es ein experimenteller wollte er in einem durchgängigen kratischen Anspruch an sich und radikaler Neuanfang, der selbst“ war das Instrument für zu seinem öffentlichen inter- Tempo gestalten. Und als Drittes Vogler sowohl Ansporn, als auch pretatorischen „Bekenntnis“ ge- beschloss er, das Vibrato, das in Bachs Umfeld als Verzierung ge- Hilfe bei der neuen Auseinanderführt habe: „Mein Vater hatte golten habe, komplett aus dem setzung mit Bach. eine wahnsinnige Sammlung an Zu dieser Arbeit gehörte auch, Schallplatten“, erinnert sich der Vortrag zu bannen. Als ihm Reinhard Goebel zu den Charakter der einzelnen 1964 geborene Musikersohn, „und Weihnachten 2011 seine Ein- Suiten zu definieren. Für Vogler die Aufnahme, die am häufigsten richtung der Sonaten „schön gliedert sich der Zyklus klar in lief, war die Aufnahme mit Pablo zwei Folgen zu je drei Casals.“ Den denkbar Suiten, wobei der größten Kontrast zu dieser Schlüssel die erste Interpretation lernte Vogler Suite sei, in der Bach kennen, als sein Vater in die Gattung praktisch den 70er Jahren die Einerfinde. Dieses „Erspielung der Suiten mit finden“ müsse auch dem Alte-Musik-Pionier hörbar sein: „Die 1. Anner Bylsma erwarb. Während Bachs Suiten und Partiten für Solovioline und die 4. müssen „Das kannte damals in der schon im 19. Jahrhundert vereinzelt im Konzertdie Folge eröffnen DDR kein Mensch“, sagt saal zu hören und schon 1903 teilweise eingespielt – dürfen aber noch Vogler: „Wir waren einige wurden, kam der Durchbruch für die Cellosuiten nicht alles sagen.“ der Ersten, die das gehört deutlich später. Wesentlich zu ihrem heutigen KultPhilosophisch emp haben.“ Wobei sie Bylsmas status trug Pablo Casals respektvoller Umgang mit findet er im Kontrast Leistung auch wertdem zuvor oft nur als Studiendazu die Mittelschätzen konnten: material angesehenen Zyklus suiten. „Und jede der „Da war, jemand, der bei: Er lernte die Suiten zwar Endsuiten ist als Feier ein völliges Reset geschon 1890 als 13-Jähriger gemeint!“ schafft hat“, erinnert kennen, doch erst mit 26 Als Vogler im er sich bewundernd. Jahren wagte er sich an die Frühjahr 2012 sei Ein „völliges Re erste öffentliche Aufführung nen Namen auf den set“ – das beschloss des gesamten Zyklus. Noch Plakaten zu einer auch Vogler zu wagen, länger dauerte es zu seiner ersten Aufführungsum sich im besten ersten Gesamtaufnahme – die serie sah, war ihm Virtuosenalter den folgte trotz des anhaltenden noch nicht nach Suiten erneut zuzuPublikumserfolges mit diesen Feiern zu Mute: „Ich wenden. Drei Regeln Werken erst 1939.
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dachte: Oh, da spiele ich jetzt ganz allein für all diese Leute – kann ich die unterhalten für diese lange Zeit?“ Erst die spürbare „Sogwirkung“ der Aufführung überzeugte ihn, auf dem richtigen Weg zu sein und sich auch ein wenig von der Strenge der selbstauferlegten Regeln lösen zu dürfen: „Ich hatte eine Freiheit für mich gewonnen und dachte, wenn jetzt ein bisschen was aus meiner Kindheit wieder reinspielt – warum nicht?“ Auf der einen Seite verbiete ihm seine aufgeklärte Haltung zur historischen Auf-
Foto: Jim Rakete
Schöne Stiefschwester
Jan Vogler
R I CHA R D W A G N E R
AUS DER METROPOLITAN OPERA MIT BRYN TERFEL & JONAS KAUFMANN
führungspraxis, die Suiten mit der romantisierenden Naivität mancher geschätzter Vorbilder anzugehen. Andererseits sei sein Stradivari-Cello mit Stahlsaiten bespannt und befände sich durchaus nicht im barocken Urzustand. Vor allem aber stecke auch in älteren Auffassungen historisch Plausibles. Die Idee, dass Bach in der letzten Suite eines jeden Dreiersets auch die Dreieinigkeit feiere, habe jedenfalls schon ein Casals intuitiv gespürt: Die Suiten Nr. 3 und 6 dürften daher „auch etwas von dieser Casals-Grandeur haben“, findet Vogler. Die eigene
Fantasie ersetze historisches Wissen ohnehin nicht: „Wenn man seine Hausaufgaben gemacht hat, ist bei Bach immer die Frage: Ist man in der Lage, ihm mit der eigenen Fantasie Paroli zu bieten? Denn Bach hat sicher einkalkuliert, dass der Spieler mit seiner eigenen Fantasie darangeht – und das ist überhaupt die größte Herausforderung.“ Neu erschienen: Johann Sebastian Bach: Die Suiten für Violoncello solo, Sony Abonnenten-CD: Track 3
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Grammy 2013
Beste Opernaufnahm
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bringen. Und sie sind verdammt schwer zu spielen – gerade wenn es so leicht und durchsichtig klingen soll wie hier … Die acht Jahre als Bratscher bei den Wiener Philharmonikern haben mir sehr geholfen, ein Bewusstsein fürs Dirigieren zu bekommen. Ich habe die berühmtesten Diri genten kennenlernen dürfen und habe gesehen, wie ein Orchester funktioniert. Man versteht einfach die Musikerherzen besser.
Strauss „Ach, du bist wieder da“, aus: Der Rosenkavalier
Manfred Honeck
Blind gehört Manfred Honeck
Als Bratscher hat Honeck viel gelernt über Musikerherzen. Der Dirigent Honeck ist inzwischen in New York und Berlin angekommen. Von A r n t C obbe r s Lange Zeit galt er als Geheimtipp, der ehemalige Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters in Stockholm und GMD der Staatsoper Stuttgart. Mit seinen Debüts bei den Philharmonikern von New York und Berlin ist Manfred Honeck nun endgültig in der Dirigenten-Topliga angekommen. Im August und September geht der Österreicher mit seinem Pittsburgh Symphony Orchestra auf Europa-Tournee. Zum „Blind gehört“ am Tag nach seinem erfolgreichen Debüt in Berlin stand leider nur ein Laptop zur Verfügung und ließ akustische Feinheiten nur ahnen.
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Strauß „Freuet euch des Lebens“ Walzer Wiener Philharmoniker, Claudio Abbado, 1.1.1988, Universal/ Deutsche Grammophon
Bei dieser Musik stellt sich immer die Frage: Ist es wie nerisch angelegt? Und ist es natürlich? Mir gefällt diese Interpretation sehr gut, es hat den Wiener Rhythmus mit der vorgezogenen Zwei, die Übergänge sind sehr logisch, es ist spritzig und hat Charme und geht
im richtigen Moment vorwärts. Die Wiederholungen sind etwas leiser angelegt, wie wir es in Wien gewohnt sind. Es würde mich nicht wundern, wenn das die Wiener Philharmoniker wären, vielleicht habe ich da sogar mitgespielt. Das muss ein Dirigent sein, der eine Verbindung zu Wien hat, ich finde es sehr gut gespürt und geführt … Johann Strauß ist für mich eine Art LeibKomponist, seine Werke eignen sich wunderbar, eine beglückende Stimmung in den Konzertsaal zu
Ach, der schöne Rosenkavalier! Die Stim men sind sehr schön rund, sie schleifen ein bissel und nehmen die Töne nicht immer so klassisch gerade, wie wir es heute gewohnt sind. Das ist auf jeden Fall eine ältere Aufnahme. Es muss ein Dirigent sein, der mit der Sprache sehr gut umgehen kann. Es ist sehr deutlich, ausdrucksstark, im Charakter sehr gut. Ich habe den Rosenkavalier unter Karajan gespielt, er versuchte immer, einen schönen Legato-Bogen und sehr ruhige Phrasierungen zu machen, das kommt hier in diesem Sprechgesang nicht so zum Tragen. Aber es gibt ein paar Stellen, die mich daran erinnern. Es gefällt mir sehr gut! … Für die Oper bleibt mir im Moment einfach keine Zeit, obwohl ich sie genauso liebe wie das Konzert. Das Pittsburgh Sym phony Orchestra will intensiv gepflegt werden, und außerdem ist es mir wichtig, mehr in die Werke einzutauchen, tiefer und tiefer zu gehen, und auch dafür braucht man Zeit. Es ist ja nicht damit getan, dass man einen Komponisten aufführt. Man muss ihn auch verstehen.
Foto: Felix Broede
Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig, Philharmonia Orchestra, Herbert von Karajan, 1956, EMI Classics
Pettersson
Braunfels
Bruckner
Violinkonzert Nr. 2
Fantastische Erscheinungen eines Themas von Hector Berlioz, op. 25
Sinfonie Nr. 7
Isabelle van Keulen, Schwedisches RundfunkSinfonieorchester, Thomas Dausgaard, 1999, cpo
Das kenne ich nicht. Das ist mein altes Orchester? Dann ist es Pettersson? Das Stück sollte ich damals in Göteborg dirigieren, aber ich habe mich geweigert. Weil es im Konzertsaal unmöglich transparent zu bekommen ist. Es ist so dick instrumentiert, dass die Geige, die ja 45 Minuten lang permanent spielt, untergeht. Da hätte ich viel retuschieren und proben müssen. Dabei ist es eigentlich ein tolles Werk. Als Chefdirigent in Stockholm muss man Pettersson dirigieren, er ist einer der wichtigsten schwe dischen Komponisten. Ich bin mit großem Vergnügen an die zwölfte Sinfonie herangegangen, aber auch da musste ich große Retuschen machen. Pettersson hat die Eigenart, sehr viel in seine Werke hineinzuwerfen. Und man versteht irgendwann nicht mehr, was eigentlich wichtig ist. Wenn es von der ersten bis zur letzten Minute im Fortissimo durchgeht, verliert man das Interesse.
10. – 13. 4. 2013 Spirit of music musikmesse.com
WDR Sinfonieorchester Köln, Günter Wand, 1953, Naxos/Profil Edition Günter Hänssler
Naja, ich mache es ein bisschen schnel ler. Ich bin ein großer Fan von Braunfels. Meinen Debütabend bei der New York Philharmonic im Januar habe ich mit der Suite dieses Werkes eröffnet. Mir war es wichtig, mit einem unbekannten Werk zu eröffnen, weil ich denke, wir haben die Aufgabe, immer wieder Neues zu präsentieren und das Pub likum für solche Werke zu begeistern. Braunfels war sehr beliebt in den 20ern. Als die Nazis kamen, wurde er verbannt, und nach dem Krieg galt seine Musik als altmodisch. Dieses Schicksal berührt mich einfach. Er hat so schöne Musik geschrieben. Die Hohe Messe, die wir in Stuttgart aufgenommen haben und die hoffentlich bald auf CD erscheint, ist ein grandioses Werk! Man hört, dass Braunfels in seiner Zeit gelebt hat, und doch hat er eine eigene Tonsprache entwickelt, eine Klangwelt, eigene Har mo nien, die unverwechselbar sind.
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons, 2007, Naxos/BR Klassik
Schön weich eingesetzt! Bei Bruckner ist es mir wichtig, dass diese langen Phrasen von Anfang bis Ende durchgehört werden können, dass es keine Unterbrechungen gibt. In meiner anfänglichen Dirigentenzeit habe ich diese spezielle Interpretationsweise nicht beachtet, aber inzwischen ist mir das sehr wichtig geworden. Bruckners Welt muss man sich erarbeiten, die ist sehr vielschichtig. Er hat ja sogar Volksmusik eingebaut, das wird heute ganz übersehen. Hören Sie mal hier: Das ist ein Csárdás! Wenn man das als Csárdás spielt, erschrickt man zunächst einmal. Hier fehlen mir die Synkopen. Bruckner hat ja als Bratschist in einer Wirtshaus-Band gespielt, um Geld zu verdienen. Man sollte ihn nicht auf sakrale Musik beschränken. Genauso wenig wie man Mahler auf die österreichische Volksmusik beschränken kann. Ich arbeite allerdings sehr daran, die verschiedenen Charaktere dieser Volksmusik herauszuarbeiten. Ich hatte das Glück, dass ich in meiner Kindheit Zither gespielt habe. Mein Lehrer war Auto-
didakt, der konnte nicht einmal richtig Noten lesen. Ich sagte zu ihm: „So, wie Sie es von mir verlangen, steht es doch hier gar nicht geschrieben.“ „Das mag sein, aber bei uns spielt man es so“, sagte er. Ich habe damals schon an der Hochschule Geige studiert und dachte, von ihm kann ich nichts lernen, ich hatte wenig Respekt. Erst später, bei der Beschäftigung mit Mahler, habe ich gemerkt: Er hat mir genau das beigebracht, was Mahler so interessant macht. Mahler kommt aus dieser Tradition, wo man nur das spielt, was zwischen den Zeilen zu finden ist. (2. Satz) Ich interpretiere es anders. Aber es klingt fast wie die Wiener Streicher, ein sehr warmer Ton. Das ist Mariss? Den kenne ich gut aus Oslo, wo ich Erster Gastdirigent war. Ich habe Bruckner nie mit ihm gehört. Er ist ein fantastischer Dirigent. Er liebt die Musik und die Musiker und gibt in jedes Stück seine ganze Seele hinein. Hier diese Streicher-Stelle: Das ist typisch Mariss, diese Wärme, diese Leidenschaft. Manfred Honeck auf EuropaTournee mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra, u. a. in: 31.08. Berlin, Festwochen 07.09. Düsseldorf 08.09. Frankfurt 12./13.09. Bonn
Musik e iv L r ü f Mehr Zeit heck! c n e t n e m u str und den In szeiten für g n u n f f Ö e Neu Musikfans: 18 Uhr is b 4 1 : g a Freit is 18 Uhr b 9 : g a t s Sam
Julia Lezhneva Vokales Feuerwerk
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m Anfang stand Mozarts Motette „Exsultate, Jubilate“, ein Werk, das Julia Lezhneva seit Beginn ihrer Sängerlaufbahn immer wieder begleitet hat. So unter anderem auch bei ihrem umjubelten Debüt 2010 bei den Salzburger Festspielen. Und so war es relativ schnell klar, dass dieses Werk die Keimzelle ihrer ersten SoloCD für Decca sein würde. Ebenso klar war jedoch, dass es kein reines Mozart-Programm werden sollte. Stattdessen entschied sich die sympathische junge Russin dafür, hier die Gattung Motette ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen und deren stilistische Entwicklung von Vivaldi bis hin zu Mozarts Meisterwerk nachzuzeichnen. Und das selbstverständlich keineswegs als trockene musikwissenschaftliche Vorlesung, sondern als vokales Feuerwerk. „Mit dem Aufkommen der Solo-Motetten trat zum ersten Mal die menschliche Stimme bei Konzerten in den Vordergrund. Zuvor gab es nur Opern, aber von da an konnte man als Sänger auch im Konzert seine Virtuosität zeigen. Nachdem Mozart und Vivaldi für unser Projekt feststanden, haben wir
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lange darüber diskutiert, womit man diese beiden Komponisten kombinieren könnte und wir waren uns einig, dass wir eine Brücke zwischen den Stücken bauen wollen. Um das richtige Bindeglied zu finden, haben wir uns verschiedene Dinge angesehen und sind schließlich bei Nicola Porpora gelandet, der zahlreiche Motetten verfasst hat, von denen die meisten heute leider komplett vergessen sind.“ So handelt es sich bei Julia Lezhnevas Interpretation von „In caelo stelle clare fulgescant” nun auch um eine veritable Weltersteinspielung, bei der sie dem Werk gemeinsam mit Dirigent Giovanni Antonini neues Leben einhaucht. „Schon als wir die Noten zum ersten Mal gemeinsam durchgegangen sind, haben wir uns beide in diese Musik verliebt und waren uns einig, dass es die perfekte Ergänzung für Vivaldi, Händel und Mozart ist. Jede der vier Motetten hat dabei ihren ganz eigenen Charakter, jeder Komponist seinen eigenen Stil, der sich zwar in ähnlichen Bahnen bewegt, aber doch klar voneinander unterscheidet.“ Mit Originalklangspezialist Giovanni Antonini hatte Julia Lezhneva zuvor bereits bei einer Aufführung von Vivaldis
Foto: Decca/Uli Weber
Mit der Debüt-CD bei ihrem neuem Label schlägt Sopranistin Julia Lezhneva eine Brücke von Vivaldi zu Mozart. Inklusive einer PorporaErsteinspielung. Von T obi a s H e l l
wichtig, als Team zu arbeiten und während den Aufnahmen hatte ich wirklich das Gefühl, dass wir einander verstehen, fast wie eine große Familie.“ Ein anderer wichtiger Förderer war Mark Minkowski, der durch einen YouTube-Clip auf sie aufmerksam wurde und sie für eine Reihe von Konzerten verpflichtete. „Ich hatte sehr viel
Der KastratenPate
EINE WELT-ERSTEINSPIELUNG
EIN UNBEKANNTES MEISTERWERK VON
Pergolesi
Neben seiner kompositorischen Arbeit war der 1686 in Neapel geborene Nicolo Antonio Porpora ebenfalls ein angesehener Gesangslehrer, aus dessen Schule eine Reihe berühmter Kastraten hervorgingen: Caffarelli, Farinelli und Antonio Uberti, der sich zu Ehren seines Lehrers „Porporino“ nannte. Besonders die erfolgreichen Auftritte Farinellis sorgten für einen enormen Popularitätsschub Porporas, der daraufhin sogar sein Amt am Konservatorium von Neapel niederlegte, um sich fast drei Jahre lang ganz der Förderung seines virtuosen Meisterschülers zu widmen.
RENÉ JACOBS
Glück mit meinen Lehrern, die mich immer unterstützt haben und mich nie in die falsche Richtung gedrängt haben. Genau wie die Dirigenten, mit denen ich arbeiten durfte. Man muss vor allem seinem eigenen Instinkt vertrauen. Ich singe im Moment einfach das, was sich für meine Stimme gut anfühlt. Und im Barockrepertoire gibt es noch so viel zu entdecken. Für einen selbst und auch für das Publikum. Viele Stücke werden sehr selten aufgeführt oder sind lange Zeit überhaupt nicht gespielt worden. Das gibt einem als Musiker eine große Freiheit, seinen eigenen Zugang und seine eigene Interpretation zu finden.“ Neu erschienen: Alleluia (mit Giovanni Antonini, Il Giardino Armonico), Decca/Universal Abonnenten-CD: Track 1
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DIE AKADEMIE FÜR ALTE MUSIK IM KONZERT WERKE VON MOZART, HAYDN, GLUCK u. a. Bejun Mehta (Countertenor), René Jacobs 4. 4. Wien (Musikverein) „BERLIN UM 1800“ Christine Schornsheim (Hammerklavier), Marcus Creed 14. 4. Berlin (Konzerthaus) 19. 4. München (Prinzregententheater)
CD HMC 902155
bindung zueinander und das ist gut, weil es beim gemeinsamen Musizieren vor allem um gegenseitiges Vertrauen geht. Und das hört man meiner Meinung nach auch auf dieser Aufnahme.“ Voll des Lobes ist die Sängerin auch, wenn das Gespräch auf die Musikerinnen und Musiker des Giardino Armonico kommt. „Dieses Orchester geht so leidenschaftlich an die Musik heran und hat eine sehr genaue Vorstellung, welche spe ziellen Klangfarben bei bestimmten Stücken eine Rolle spielen. Das war jetzt bei den Motetten sehr spannend zu beobachten. Auch welchen hohen An spruch sie bei sich selbst anlegen. Gerade bei einem Projekt wie diesem ist es
SOPHIE KARTHÄUSER CHRISTOPHE DUMAUX JULIEN BEHR KONSTANTIN WOLFF
© Marco Borggreve
„Ottone“ zusammengearbeitet und in ihm einen Partner auf gleicher Wellenlänge gefunden. „Die Arbeit mit ihm war einfach wundervoll, weil er mir Impulse gegeben hat, Dinge zu tun, die ich zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Seitdem habe ich immer davon geträumt, wieder mit ihm arbeiten zu können. Wir haben eine sehr enge künstlerische Ver-
HÄNDEL: AGRIPPINA Penda, Mehta, Im u. a., René Jacobs 2., 5., 9. 5. Berlin (Staatsoper)
Septem verba a Christo
in cruce moriente prolata
Sieben Worte Christi am Kreuz
Auf Grundlage der jüngsten Forschung werden die Sieben Worte Christi am Kreuz inzwischen wirklich Pergolesi zugeschrieben. Bereits Hermann Scherchen hatte sie als „eines der innigsten Kunstwerke, voll von Sanftmut, tiefstem Empfinden und alles überstrahlendem Schönheitsgefühl“ beschrieben. Dieses Hauptwerk des neapolitanischen Barock (1736) erlebte seine Konzertpremiere im Juli 2012 beim Festival in Beaune, wenige Tage, bevor diese Aufnahme entstand.
harmoniamundi.com
Auch auf Ihrem Smart- und iPhone
Digital Concert Hall APPetizer
Die Berliner Philharmoniker kann man in die Tasche stecken. Apps für Handy und Tablet machen’s möglich. Von C a r s t e n H i n r ich s
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Konzerte werden inzwischen überall auf der Welt gestreamt, aber eine eigene, fortlaufend mit Konzerten versorgte Online-Plattform ist nach wie vor einzigartig. „Natürlich bekommen wir viele Anfragen von anderen Orchestern, die sich für unsere Erfahrungen interessieren. Unser erster Rat: Sucht euch einen Sponsor!“. Aha, von welcher Größenordnung reden wir hier? Nun, man spricht grundsätzlich nicht über die Budgets der Stiftung, aber zumindest mit einer Zahl beflügelt Möller die Fantasie: Die Erstausstattung der Aufnahmetechnik kostete bereits rund 1 Million Euro. Im laufenden Betrieb kommen dazu Möllers zwölf Kollegen im Büro und sechs komplette Aufnahmeteams, die in Rotation die Übertragungen betreuen. Soeben erst wurde die Kameratechnik von Partner Sony auf den neuesten Stand gebracht – zu schnell veralten die Geräte, die sowohl ohne Störung des Publikums und der Musiker, als auch beim unveränderten (dunklen) Saallicht überzeugende Bilder liefern sollen. Eine Partnerschaft, die sich über Jahrzehnte entwickeln konnte, noch aus Zeiten von Herbert von Karajans Technik-Faible und seiner Freundschaft mit dem damaligen Sony-Chef Norio Ohga. Ist das teure Filmmaterial aber erst einmal produziert, erlaubt es vielfältige Verwertung. Nicht nur die Website der Philharmoniker wertet sich dadurch auf, auch die SocialMedia-Kanäle werden mit Trailern anschau-
Foto: Peter Adamik/Berlin Phil Media
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Die Digital Concert Hall (DCH) ist noch uf den Schirm“, möchte man rufen, wenn man diese Kommando- immer ein Leuchtturmprojekt, obwohl schon im fünften Jahr. „Unser Gründungsmythos ist zentrale betritt. Kein Captain Kirk, das Konzert in Taipeh, das zugleich von 20.000 aber ebensolch hochkonzentrierte Zuschauern in einer Übertragung vor dem Betriebsamkeit. Vier Monitore in Reihe, Konzertsaal gesehen wurde“, erinnert sich darüber noch ein extra großer, dazu Pulte mit Tobias Möller, zuständig unter anderem für die Reglern und jeder Menge beleuchteter Tasten. Der Unterschied: Hier dröhnt keine Sphären- Kommunikation der Berlin Phil Media, die als Tochter der Stiftung Berliner Philharmoniker harmonie aus dem Orbit herein, der Raum ist die DCH produziert. „Als Simon Rattle und die erfüllt von den filigranen Klängen von Mozarts Musiker ins Freie traten, wurden sie wie PopSinfonie Nr. 33. stars gefeiert. Da dachten wir zum ersten Mal: Im Großen Saal der Berliner Philharmonie Für dieses Publikum müssen wir uns etwas probt gerade Andris Nelsons für die nächste Dauerhaftes ausdenken.“ Nun sind die PhilKonzertserie am Wochenende, und das ist harmoniker sicher kein reisefaules Orchester, zugleich Stoßzeit für die Arbeit der Digital aber die Live-Übertragung von Konzerten Concert Hall, dem Online-Konzertsaal der aus Berlin, also das Streamen per Internet Philharmoniker. Neun Kameras werden hier dirigiert, dazu diesmal auch wieder Ein- und ein jederzeit verfügbares Online-Archiv stellungen für die gleichzeitig stattfindende Kinoübertragung eingerichtet. Auf je einem Extrapult wird der gesondert aufgenommene Ton hinzu gemischt und das Farbspektrum überwacht und angepasst. Der Regisseur wirkt ganz entspannt, seine Einrichtung hat er in den Tagen Digital Concert Hall – so brillant kommen zuvor erarbeitet. Deutlich mehr die Berliner-Philzu tun haben nun der Kameraharmoniker dann mann und dessen Assistentin, zuhause auf den die die nächste Einstellung in Bildschirm kryptischen Codeworten ausruft: „Jetzt die vier: A7, dann die acht: B3!“ Auf einem erklangen 2009 noch eindeutig nach Zukunftshöhten Bildschirm sieht man Andris Nelsons im Halbprofil dirigieren, ganz auf die Mozart- musik. Dafür vollbringen im Nebenraum, dem ehemaligen Leer-Studio für FremdaufSinfonie konzentriert. Ihm gegenüber sitzt im nahmesitzungen, drei graue Serverkästen Studio ein Doppelgänger: Die junge Frau hat ein weiteres technisches Zauberkunststück. Partitur und Kopfhörer, dirigiert ebenfalls und Gekühlt auf 18°C, wie ein guter alter Rotzählt dabei Countdowns herunter. „Noch zwölf, wein, läuft hier die Sofortkomprimierung der noch elf, noch zehn …“ – dann folgt der nächste Filmdaten auf eine Datenrate, die die LiveBuchstabe in der Partitur. Sie leiht der Regie ihren Überblick über das musikalische Ge- Übertragung in HD-Qualität erst möglich macht. schehen.
und Laune durch die derzeit 188 Konzerte des Archivs, die Education-Filme und MusikerBiografien wie durch ein Kartendeck. Fragt sich nur, ob die interaktive Aufbereitung den eigentlichen Inhalt nicht alt aussehen lässt: Den multimedialen Reizen zum Trotz verlangt Bruckners Sinfonie Nr. 6 einmal gestartet mehr als eine Stunde Konzentration – oder den Tap auf die Pausentaste. Gut, Klassik-Liebhaber wird das nicht stören, und in welchem Konzertsaal kann man sich die Höhepunkte des Abends vorab anspielen lassen, um zu entscheiden, ob man bleiben möchte? Zumindest weckt das Medium Internet im Gegensatz zum formalen Rahmen eines Konzertbesuchs keine Berührungsängste. Und wenn es um die Liebe zur Musik geht: Die kann man ja auch mal bei einem Glas Rotwein und im Pyjama ausleben: „Auf den Schirm!“
lich und attraktiv. Herzstück bleibt aber die Digital Concert Hall. Und die hat nun mit einer eigenen App für iPhone, iPod und iPad neue Nutzungsmöglichkeiten bekommen, auch eine Version für Android ist in Vorbereitung.
Denn anders als im Internet kann man hier Konzerte auch ohne Netzzugang verfügbar machen für unterwegs. Und die Bedienung ist wie für Tablets kennzeichnend haptisch und ansprechend: Man wischt sich nach Lust
www.digitalconcerthall.com Viele Features der Website, wie sämtliche Education-Videos, Künstler-Interviews und Trailer, können kostenfrei genutzt werden. Auch die Apps stehen kostenfrei zum Download zur Verfügung. Die Freischaltung zahlungspflichtiger Inhalte erfordert ein 7-Tage-, Monats- oder Jahresticket oder das DCH-Abo (€ 14,90/Monat).
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Ian Bostridge
Ian Bostridge „Ich mag keine Tenöre“
Anna Netrebko ist ein Fan von ihm – und von Britten. Tenor Ian Bostridge (48) über den Erfolg seines Landsmannes Benjamin Britten. Von Robe rt F r au n hol z e r 18
Foto: Ben Ealovega
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err Bostridge, das Opernpublikum in Deutschland ist nicht unbedingt verrückt nach Britten. Aber wer den Weg in eine Vorstellung findet, ist meist begeistert. In Groß britannien ebenso? Ian Bostridge: Ja, der Unterschied liegt nur in den Chorwerken. Als ich zur Schule ging, war „Ceremony Of Carols“ noch sehr populär und auch das „War Requiem“. Aber auch bei uns gibt es eine gewisse Zurückhaltung. Britten ist weder traditionell noch progressiv genug, um allen zu gefallen. Die Komponisten finden ihn alle schwierig und sogar verdächtig. Das ist die Eifersucht der Kom ponisten!? Ganz gewiss. Britten war der letzte, der dem musikalischen Establishment angehörte und trotzdem eine kritische Haltung einnahm. Er war zu erfolgreich, um nicht den Argwohn seiner Nachfolger zu wecken. Hat Britten den Publikums erfolg bewusst angestrebt? Ja, er war besessen von dem Wunsch, Erfolg zu haben. Und schreckte doch immer wieder davor zurück. Regelmäßig hat er sich so in Schwierigkeiten gebracht. Als er für eine Gala der Queen etwas komponieren sollte, entschied er sich für „Gloriana“ – über die Liebe Königin Elizabeths I. zu Roberto Devereux. Nur war das eine Oper über eine verbitterte, alte und befremdende Monarchin! Alle waren peinlich berührt. Der Erfolg des „War Requiems“ hat ihn gefreut, und gleich darauf hat er einen Rückzieher gemacht und nie wieder etwas so Großformatiges komponiert. Mit dem Erfolg, den er wollte, konnte er im Grunde genommen nicht umgehen. Wie sah Ihre erste Berührung mit Britten aus? In einer Schulaufführung von „Noahs Flut“ spielte ich eine Ratte. Mein ganzer Stolz war, als ich eines Tage bei „The Golden Vanity“, das Britten für die Wiener Sängerknaben komponiert hat, den Kapitän spielen durfte. Mann, war das toll! Leider wird an britischen Schulen heute nicht mehr so viel gesungen wie früher.
Peter Pears, der ultimative Britten-Tenor, hatte nicht un bedingt eine schöne Stimme. Was haben Sie von ihm gelernt? Wie man sich auf den Text einlässt. Er war einer der beiden Sänger, die den größten Einfluss auf mich hatten: Dietrich FischerDieskau und eben Peter Pears. Seine Stimme klang eher fragil. Trotzdem war seine Bedeutung für mich so groß, dass es sogar schwierig wurde, mich wieder von ihm zu lösen. Britten war einer der ersten offen homosexuell lebenden Komponisten. Hatte er dadurch Nachteile zu gewärtigen? Heute sind eingetragene Partnerschaften in Europa Standard, daher können wir uns eine Situation wie damals nicht mehr vorstellen. 1953 aber war der
Wenn die Umstände stimmen, vielleicht. „The Rape Of Lucretia“ haben wir live beim BrittenFestival in Aldeburgh aufgenom men. Jetzt kommt für mich aber erst einmal „Curlew River“ im Londoner Barbican. Darauf habe ich mich 15 Jahre lang gefreut. Sie werden oft als intellektueller Sänger beschrieben. Gefällt Ihnen das? Nein, denn es wäre unmöglich, als intellektueller Sänger überhaupt Erfolg zu haben. Um zu singen, muss man die tierische Seite an sich entdecken. Den Unterleib! Mein Problem war immer, dass ich eigentlich keine Tenöre mag. Bariton ist mir lieber! Als Tenor muss man wahnsinnig athletisch singen. Das ist nicht mein Ding. Und man muss furchtbar vor-
„ES KANN NUR EINEN GEBEN“ WELT AM SONNTAG
Der Chef am Klavier Kennt kein Mensch! Das ist das Großartige daran. Denn Brittens „Hölderlin-Fragmente“ und seine „Songs From The Chinese“ sind außer durch Peter Pears kaum je über England hinausgekommen. Lediglich seine „Winter Words“ und natürlich die „Michelangelo Sonnette“ sind beliebtes Tenor-Futter. Dass Ian Bostridge zur Begleitung am Klavier sogar den Dirigenten Antonio Pappano überreden konnte, gleicht einer Sensation. Für keinen anderen männlichen Sänger hat der Chef des Londoner Covent Garden bisher diese Ausnahme gemacht. „Gib doch das Dirigieren auf!“, musste er sich dafür von Bostridge sagen lassen. Ein Glücksfall! (rfr)
sichtig sein. Für Tamino, den ich gerne gesungen hätte, ist es inzwischen auch zu spät. Meine Tochter ist sechs Jahre alt und mein Sohn elf … Aber Britten kann ich singen, bis ich wirklich das Alter von Gustav von Aschenbach im „Tod in Venedig“ habe.
„ … SINGT IN EINER KLASSE, VON DER ANDERE WAGNER-TENÖRE NUR TRÄUMEN KÖNNEN.“ STEREOPLAY © Felix Broede / Decca
Schauspieler John Gielgud nach dem Besuch einer öffentlichen Toilette, in der Männer mit Männern Sex hatten, verhaftet und anschließend verurteilt worden. Britten war gewarnt. Seine Situation blieb immer heikel und etwas ambivalent. Wichtig war, dass er gemeinsam mit Pears von der Königlichen Familie empfangen wurde. Als Britten starb, erhielt Pears ein Kondolenz-Schreiben der Queen. Sie haben in „Billy Budd“, „Death In Venice“, „Turn Of The Scew“ und im „Midsummer Night’s Dream“ gesungen – und jetzt in „Rape Of Lucretia“? Kommt bald „Peter Grimes“?
JONAS KAUFMANN
Erscheint am 19. April: Britten: Songs (mit Antonio Pappano, Xuefei Yang), EMI/Virgin Classics Bereits erschienen: Britten: The Rape Of Lucretia (mit Kirchschlager, Gritton, Purves u. a., Ltg: Oliver Knussen), EMI/Virgin Classics
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Jan Lisiecki In der Zeit gefrorene Musik
Mit 17 Jahren ist Lisiecki ein weltweit konzertierender Pianist. Nun hat sich der Kanadier mit polnischen Wurzeln Chopin vorgenommen. Von M at t h i a s Kor n e m a n n
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„Weitgesteckte Interessen“ sind ein gutes Stichwort! Mit Siebzehn erweitert man natürlich sein Wissen. Ich studiere auch englische Literatur als Teil meiner Universitätslaufbahn. Ich liebe Hemingway, Tolstoi, Kafka und Shakespeare. Im Sommer genieße ich es, beim Musikfest in Stratford (Kanada) aufzutreten, das ein Teil des Stratford Shakespeare Festival ist. Ist es in Ihrem Alter nicht etwas belastend, seine musikalischen Ideen einer CD anzuvertrauen? Eine CD ist so etwas wie in der Zeit gefrorene Musik. Sie zeugt von dem Besten, was Du in diesem einen Moment zu geben hattest. Trotzdem ist Musik eine lebendige Kunst, und ich habe schon bemerkt, dass meine Interpretationen ständig in Bewegung sind, sogar während einer Aufnahmesitzung. Ihr Debüt war ausgesprochen seriös. Wie passt diese im besten Sinne elitäre Attitüde zu den üblichen Strategien, junge Künstler zu vermarkten? Ich lehne die Vorstellung ab, dass klassische Musik elitär ist. Ich mag es, sie für alle zugänglich zu machen, jung und alt, in großen und kleinen Städten. Auf der anderen Seite gefällt es mir überhaupt nicht, wenn Leute klassische Musik simplifizieren,
um sie zugänglich zu machen. Wenn sie auf dem höchsten Niveau präsentiert wird, spricht Kunst für sich selbst, in einer reinen, traditionellen und „klassischen“ Art. Und was ist Ihnen wichtig neben dem Klavier? Ich liebe das Reisen. Das kommt für mich gleich nach dem Auftreten. Klar, dass eine Bühnenkarriere sehr gut zu mir passt. Neu erschienen: Chopin: Études op. 10, u. a., Universal/ Deutsche Grammophon Abonnenten-CD: Track 10
Jan Lisiecki auf Tournee:
17.04. Essen, Philharmonie Saalbau 18.04. Aachen, Eurogress 19.04. Mannheim, Rosengarten 23.04. Regensburg, Auditorium Maximum 24.04. Stuttgart, Liederhalle Beethovensaal 14.05. München, Herkulessaal 14.05. Berlin, Philharmonie Kammermusiksaal 17.05. Münster, Hörsaal H1 der Universität 25.05. Elmau, Schloss Elmau
Foto: Ben Wolf/DG
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uch wenn die Frage nicht gerade taufrisch ist, interessiert es uns doch, wie es bei Ihnen anfing mit dem Klavierspielen … Jan Lisiecki: Ich komme nicht aus einer Familie, in der klassische Musik sonderlich gepflegt wurde, meine Eltern sind beide Gartenbauer. Ich habe mit fünf angefangen, auf eine sehr natürliche Weise, als wäre es ein neues Hobby. Da war, glaube ich, auch kein besonderer Moment, an dem irgendjemand meine Begabung bemerkt hätte. Wir alle wussten, ich liebte das Klavierspiel und würde weitermachen damit. Aber CDs und künstlerische Idole hatten Sie bestimmt? Aber natürlich! Es ist sehr wichtig, sich von anderen Künstlern inspirieren zu lassen. Es ist unglaublich zu hören, wie jemand sich ein völlig anderes Bild von einem Werk machen kann. Allerdings nutze ich niemals Aufnahmen anderer Pianisten, um interpretatorische Ideen zu übernehmen. Zu meinen Lieblingspianisten zählen Rubinstein, Zimerman, Argerich und Perahia, und natürlich Glenn Gould, jeder aus anderem Grund. Ich habe eine ganze Menge gelernt, von ihrer Bescheidenheit ebenso wie von ihren weitgesteckten Interessen.
Chefin in São Paulo: Marin Alsop.
São Paulo
Zukunftsland der Klassik Nur sehr wenige Dirigentinnen haben es wie Marin Alsop bislang in Spitzenpositionen bei internationalen Orchestern gebracht. Genau das hat sie abgehärtet. Und umso schlagfertiger gemacht. Zum Beispiel für São Paulo. Der Konzertsaal des São Paulo Symphony Orchestra, das Marin Alsop im letzten Jahr übernahm, liegt in einem der gefährlichsten pluhar_rondo_pluhar_rondo 14.02.13 10:46 Seite 1
Stadtviertel der brasilianischen Metropole. „Ich geh’ da nicht raus“, so Alsop über eine von Drogen, Diebstahl und Straßen-Kriminalität geprägte Atmosphäre. „Alles, was man hier tut, fühlt sich riskant an“, so die 56-Jährige, die zuvor in Bournemouth und Baltimore für Erfolg sorgte. „Es ist ein ziemliches Chaos, aber die Menschen im Publikum sind klassikbegeistert wie überall auf der Welt.“ Das Bruttosozialprodukt Brasiliens ist größer als das von Großbritannien, so erzählt tags darauf Ex-Präsident Fernando Henrique Cardozo, der die Stiftung des Orchesters leitet. Trotz 195 Millionen Einwohnern zählt man nur rund 25 Millionen Steuerzahler. Ein erstaunlicher Stamm von 11.000 Abonnenten macht verständlich, warum man von einer „Musik-Supermacht Brasilien“ spricht. Für den Konzertsaal des OSESP hat man 1999 einen gründerzeitlichen Bahnhof aufwendig umgerüstet. Die ehemalige Wartehalle wurde mit 15 verstellbaren Decken-Hubpodien akustisch flott gemacht. Der Saal entspricht in Größe und Anmutung in etwa der Tonhalle Zürich. Und klingt mindestens so gut. „Es gibt hier keine große Orchester-Tradition, auf die man zurückfallen könnte“, so Alsop. „Dafür wird
dem Orchester eine Education-Funktion zuerkannt, von der man sich in Europa eine Scheibe abschneiden kann.“ Dank ihrem ungemein energetischen Dirigierstil hat die Bernstein-Schülerin mit Beginn ihrer auf mindestens zehn Jahre angelegten Ära einen CD-Auftrag für sämtliche Prokofjew-Sinfonien mitgebracht (Naxos). Die Konzerte werden via Internet übertragen. Aufführungs-Marathons, Open Airs, Akademien und Internetprojekte zeigen, dass die Brasilianer kein Mittel auslassen, um moderner zu erscheinen als europäische und amerikanische Traditionsorchester. Wer in São Paulo Konzerte besucht, kann mit Händen greifen, warum Südamerika vielen als Zukunftsland der Klassik gilt. Robert Fraunholzer Neu erschienen: Villa-Lobos: Sinfonien Nr. 3 & 4 (Isaac Karabtchevsky, São Paulo Symphony Orchestra) – Naxos Das São Paulo Symphony Orchestra auf Tournee: 09.10. Köln 15.10. Wien, Konzerthaus (A) 21.10. Berlin, Philharmonie 16./17./18.10. Salzburg (A) 20.10. Linz (A) 21.10. Berlin, Philharmonie
MEDITERRANEO L’Arpeggiata Christina Pluhar
Fotos: Pluhar © Marco Borggreve / Virgin Classics / Mísia © C B Aragão / Rial © Mercè Rial
Das Meer trennt die Kulturen nicht, sondern verbindet sie. Das Motto, das Christina Pluhar diesem Projekt voller Melancholie und überschäumendem Temperament voranstellt, wird in der Fülle verschiedenster mediterraner Musikstile wie Fado, Fandango oder Tarantella lebendig.
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www.christina-pluhar.de
Julia Fischer Musik als Muttersprache
Für Julia Fischer und David Zinman ist Musizieren das Natürlichste auf der Welt, was sie nun gemeinsam bei Bruch und Dvořák demonstrieren. Von T obi a s H e l l
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ine sehr schlüssige Kombination.“ So beschreibt Julia Fischer selbst das Programm ihrer neuesten CD, auf der sie zusätzlich zum populären ersten Violinkonzert von Max Bruch ebenfalls ihre Sicht auf jenes Konzert präsentiert, das Antonín Dvořák der Geige zugedacht hat. Wobei es neben formalen Parallelen vor allem zu letzterem Werk auch eine nicht unwesentliche emotionale Komponente gibt. „Meine Mutter stammt aus der Tsche choslowakei und so bin ich mit Dvořáks Musik quasi aufgewachsen. Vom Violinkonzert hat ten wir eine Aufnahme von Josef Suk, die ich als Kind oft gehört habe. Umso mehr hat mich dann gewundert, als ich gemerkt habe, dass man das gar nicht so oft spielt, sondern eher das Cellokonzert aufs Programm setzt. Für mich stehen diese Werke nämlich absolut gleichberechtigt nebeneinander.“ Nach den speziellen Qualitäten des Werks befragt, liegen die Argumente für Julia Fischer klar auf der Hand. „Der erste
Satz ist allein vom Konzept her fast schon eine Revolution. Am Anfang gleich die Kadenz zu schreiben und dann den ersten und zweiten Satz wie einen einzigen ohne Pause zusammenzufügen. Mendelssohn war der Erste, der versucht hat, die klassische Form aufzubrechen. Was dann auch Dvořák und Bruch in ihren Konzerten getan haben. Vor allem Dvořák konnte dabei mit dem Orchester un-
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glaublich gut umgehen. Das sieht man schon darin, wie die Themen in den Bläsern eingesetzt werden. Oder auch bei den Momenten, in denen
Foto: Decca/Felix Broede
„Man hat ja Bruch gern als so eine Art KitschKomponist abge speichert.“
die Geige in den Hintergrund tritt und lediglich eine begleitende Funktion übernimmt.“ Dass der legen däre Geiger
Geiger unter sich
Julia Fischer
LEGENDÄRE ORIGINALE VAN CLIBURN THE COMPLETE ALBUM COLLECTION
und Wid mungsträger Joseph Joachim einst dem Komponisten gegenüber Bedenken äu ßerte, kann Fischer trotzdem zum Teil nachvollziehen. „In der Balance ist das Werk schon schwierig, weil man als Geiger leicht untergehen kann. Das Orchester ist sehr dicht, da muss der Dirigent schon aufpassen.“ Hier jedoch ist mit David Zinman am Pult des TonhalleOrchesters Zürich ein Partner aufgeboten, bei dem man sich in dieser Hinsicht kaum sorgen muss. „Die Arbeit mit ihm ist immer ein Traum, weil Musik für ihn eine absolute Muttersprache ist. Wir spielen inzwischen seit zehn Jahren miteinander und haben viele Stücke gemeinsam gemacht, einige davon sogar zusammen neu gelernt. Er hat ja auch als Geiger begonnen und hat allein deshalb schon einen ganz besonderen Zugang zu diesem Repertoire.“ Das war bereits bei den gemeinsamen Live-Auftritten zu spüren, die der Einspielung vorausgingen, und ermöglichte es auch beim zweiten Werk der CD, neue Facetten freizulegen. „Bruch habe ich als Kind gelernt und in Konzerten rauf und runter gespielt. Dann aber kam eine Pause von knapp zehn Jahren, weil ich einfach permanent neues Repertoire gelernt habe. Das hat mir sehr gut getan.“ Denn bei der erneuten Begegnung im Erwachsenenalter richtet sich ihr Blick inzwischen mehr auf die Gesamtarchitektur. „Man hat ja Bruch gern als so eine Art KitschKomponist abgespeichert. Aber ich glaube schon, dass in diesem Werk bei näherem Hinsehen wesentlich mehr Tiefe steckt, als man ihm gemeinhin zutraut.“ Neu erschienen: Dvořák, Bruch: Violinkonzerte, Decca/Universal Abonnenten-CD: Track 12
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Die hochwertige 28-CD-Edition vereint erstmals alle Studiound Liveaufnahmen des berühmten, erst kürzlich verstorbenen Pianisten für das Label RCA. Neben Klavierkonzerten und Sonaten von Beethoven, Chopin, Rachmaninoff u.a. ist auch die legendäre Aufnahme des 1. Klavierkonzerts von Tschaikowsky enthalten. Mit Hardcover-Begleitbuch über Cliburns Leben und vielen Fotos, CD-Sleeves im Design der originalen LP-Cover sowie einer facettenreichen Dokumentation auf Bonus-DVD.
BYRON JANIS THE COMPLETE RCA ALBUM COLLECTION
Mit der Byron Janis Collection ehrt Sony Classical einen der bedeutendsten Pianisten der Vereinigten Staaten zu seinem 85. Geburtstag. Die 11 CDs in Originaloptik der früheren LPs enthalten alle seine Einspielungen für das Label RCA (von Originalbändern remastert), darunter 7 Erstveröffentlichungen auf CD, sowie bislang unveröffentlichte Aufnahmen von Mussorgskys berühmtem „Bilder einer Ausstellung“und einem Werk von Liszt. www.sonymusicclassical.de
Brachte die Partitur zum Klingen: René Jacobs
Pergolesi Kreuzglücklich
Neun von zehn Werken mit Pergolesis Namen gelten als Fälschungen. Doch jetzt hat ein Musikwissenschaftler das große Los gezogen. Von C a r s t e n N i e m a n n
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er ein Mal lügt, dem glaubt man nicht“, heißt es bekanntlich. Im Falle des Komponisten Giovanni Battista Pergolesi haben Verleger und Musikalienhändler in der Vergangenheit so oft gelogen, dass die meisten Fachleute nur müde den Kopf schütteln, wenn es heißt, ein unbekanntes Werk des ebenso populären wie häufig plagiierten
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Neapolitaners sei aufgetaucht. Skepsis ist erst recht angebracht, wenn es sich bei dem Werk um eine oratorische Meditation über die sieben letzten Worte Christi am Kreuz handelt – denn eine derartig schöne Ergänzung zu Pergolesis legendärem Stabat Mater wäre fast zu interessant um wahr zu sein. Wahrscheinlich würden die Stimmen zu den „Septem verba a Christo“ mit der Auf-
schrift „Pergolese“ noch immer unaufgeführt in ihrem jahrhundertelangen Archivschlaf dahindämmern, hätte nicht der Dortmunder Musikwissenschaftler Reinhard Fehling im Pergolesi-Jubiläumsjahr nach einem thematisch passenden Stück für seinen Unichor gesucht. Er stieß auf die „Septem verba“, deren Abschrift bereits 1882 katalogisiert und 1936 in einer inzwischen veralteten stilkritischen Analyse für echt befunden wurden. Fehling nahm sich des Werkes an – und forschte weiter. Eine Suchanfrage bei Google führte ihn auf eine heiße Spur: Er fand nämlich eine zweite historische Abschrift des Stücks im Stift Kremsmünster – und die ließ die Wahrscheinlichkeit für eine Autorschaft Pergolesis sprunghaft steigen, da die Musiker dieses Stifts nachweislich intensiven Kontakt mit dem Musikerkreis um Pergolesi hatten. Fehling nahm die Musik nun auch analytisch neu unter die Lupe und fand erneut starke Hinweise darauf, dass der legendäre Meister tatsächlich der Autor war. „Bei den Übereinstimmungen handelte es sich nämlich nicht um Kopien von Effekten“, erläutert Fehling, denn die wären bei Pergolesi leicht herzustellen. Vielmehr waren es kompositorische Entscheidungen im Hintergrund, „Dinge, die gar nicht so auffallen“, an denen er den Fingerabdruck des Komponisten zu erkennen glaubte – wobei die Übereinstimmungen zu dem erst 1990 wiederentdeckten Pergolesi-Oratorium „La morte di San Giuseppe“ besonders deutlich waren. Herauszufinden, worin der besondere Reiz von Pergolesis Musik liege, sei für die traditionelle Musikwissenschaft nicht leicht, erklärt Fehling, denn die Art und Weise, wie Pergolesi – gleichsam „im Baukastensystem“ – verschiedene Stimmungen aneinanderreihe, gleiche eher der Konstruktion eines Popsongs als der einer Bach‘schen Komposition. Was die Qualität der Musik nicht mindere: Ganz begeistert ist Fehling schon allein davon, wie es dem opernerfahrenen Pergolesi gelinge, eine Sprache, und dazu noch das tote Latein, „zum Klingen zu bringen“. Es dauerte nicht lange, bis der Dirigent René Jacobs, der sich in den letzten Jahren besonders eindringlich um die Entdeckung unbekannter Barockoratorien bemüht hat, von der Sensation erfuhr – und sich noch vor der Drucklegung durch den renommierten Bärenreiter-Verlag die Weltersteinspielung sicherte. Unabhängig von Diskussionen um die Autorschaft dürfte mit dieser jetzt wenigstens eines klar sein: Das Werk ist schon echt gut. Neu erschienen: Pergolesi: „Septem verba a Christo“ (mit Karthäuser, Dumaux, Behr, Wolff; Jacobs, Akademie für Alte Musik Berlin), harmonia mundi Abonnenten-CD: Track 5
Gro s se Momente der Mu si k ge s ch ichte (3 5 )
Morton Feldman , geboren 1926, war der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer und wuchs in Brooklyn auf. Mit 12 erhielt er Klavierunterricht, 1941 begann er, Komposition zu studieren. 1950 begegnete er John Cage. Die Reduktion der klanglichen und kompositorischen Mittel und das Vermeiden jeglicher Expression sind die Kernpunkte seiner Komposition. Von Beckett, den er 1976 in Berlin traf (der obige Dialog entspricht den Erinnerungen Feldmans) wollte er ein Opernlibretto, das dieser ihm später auch tatsächlich, auf einer Postkarte, zusandte. Feldman schrieb dazu Musik von einer Stunde für Orchester und eine Sopranistin, was als NEITHER 1977 an der Oper Rom aufgeführt wurde. Das Werk gilt als eine der interessantesten Opern des 20. Jahrhunderts. Über die Enigmatik seiner Werke äußerte sich Feldman: „Ob wir uns nun im Schatten des Verstehens oder des Nichtverstehens befinden – letztlich stehen wir im Schatten. Wir werden nichts verstehen. Wir stehen da mit nichts weiter in der Hand als dieser heißen Kartoffel, die wir das Leben nennen.“
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Leonard Bernstein, hier am Pult der Wiener Philharmoniker
Stephen Wright Der Schallplattenjäger
Klar: Die Zahl historischer Aufnahmen wächst jeden Tag. Stephen Wright sucht Tondokumente und entreißt sie dem Vergessen. Von M ich a e l W e r s i n
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reilich sind nicht alle Aufnahmen von bleibendem Wert: Was 1960 oder 1980 modern und aufregend war, kann im Jahre 2013 überholt und langweilig klingen. Oder aber noch faszinierender, noch mitreißender als zu seiner Entstehungszeit. Ein großer Interpret vergangener Tage, vielleicht schon lang gestorben, hat dann eine nachschöpferische Leistung vollbracht, die als Interpretation in ähnlicher Weise Geschichte geschrieben hat wie das dargebotene Werk. Dann ist es wünschenswert, dass sich ein Mann wie Stephen Wright, gleichzeitig Liebhaber und Profi, eines solchen Tondokuments annimmt. Der 66-jährige Engländer ist in Sachen klassisches Musikbusiness mit allen Wassern gewaschen: Nach seiner Ausbildung in Cambridge widmete er sich dem Künstler-Management. Bald stieg er bei der renommierten Agentur Harold Holt Ltd. (heute Askonas Holt) ein, wurde dort Managing Director. 1991 wechselte er zu IMG, deren europäische Sektion er aufbaute. Mit ICA – „International Classic Artists“ – hat er heute
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eine eigene Agentur, die u. a. Yuri Bashmet, Kent Nagano oder das Borodin Quartet betreut. Aber ICA betätigt sich nicht nur im Management. Gleichzeitig ediert Stephen Wright auch Tonträger mit historischen Aufnahmen, etwa 20 CDs und 20 DVDs pro Jahr. Erfahrungen dafür sammelte er unter anderem als Schöpfer der Reihe „BBC Legends“, die er nun schon vor längerer Zeit wieder aus der Hand gegeben hat. Das Label ICA Classics hat ein besonderes Profil, durch das es sich von anderen Labels, die historisches Material verwerten, bewusst absetzt: Selbstverständlich, das betont Wright im Gespräch besonders, gibt er niemals Raubmitschnitte oder sonstige illegal erworbene Dokumente heraus. Auch mit Aufnahmen der Major-Labels, deren Rechte abgelaufen sind, beschäftigt er sich nicht – für viele andere Historic-Labels ein Hauptbestandteil ihrer Tätigkeit. Stephen Wright nimmt ausschließlich bisher unveröffentlichte Konzertmitschnitte in sein Programm auf, die ausnahmslos direkt von den Master Tapes abgenommen sind. Er kooperiert zu diesem Zweck vor allem
mit der BBC, aber auch mit dem WDR und dem SWR, ferner mit einzelnen Klangkörpern wie dem Boston Symphony Orchestra. Nur Live-Mitschnitte außergewöhnlicher Konzertereignisse: Hier wird KlassikLiebhabern tatsächlich Einzigartiges ins Wohnzimmer gebracht. Unter den jüngeren DVD-Mitschnitten: ein großartiger Sacre du printemps, gespielt vom LSO 1966 in Croydon. Es dirigiert – auswendig – ein ungeheuer souveräner Leonard Bernstein, der das Stück in seinem Dirigat wirklich zu leben scheint, zugleich aber die vollständige Kontrolle über das komplexe Geschehen behält. Oder, auf CD, Rachmaninows zweite Sinfonie e-Moll mit dem Philharmonia Orchestra unter Evgeny Svetlanov – erst 1993 in der Londoner Royal Festival Hall mitgeschnitten und dennoch schon jetzt ein Klassiker in puncto klangliche Reizfülle und konzentrierte Durchdringung der Partitur. Oder, wiederum auf DVD, eine höchst fesselnde Version von Brahms’ „Erster“, mit dem Chicago Symphony Orchestra unter Leitung des (ebenfalls ohne Partitur dirigierenden) stählern-energischen Georg Solti, eine Aufnahme vom Edinburgh International Festival 1971. Stephen Wrights ICA-Tonträger haben eine magische Anziehungskraft, mit der sie das Publikum daheim im Nacherleben an vergangenen Jahrzehnten teilhaben lassen können – Jahrzehnte, in denen freilich nicht einfach alles besser war. Aber was Wright auswählt und präsentiert, ist ohne Zweifel besser als so Manches, was wir heute konzertant dargeboten oder auf den Plattenteller serviert bekommen. Neu erschienen: Artur Rubinstein: Beethoven: Klaviersonate op. 2/3, Ravel: Valses, Chopin: Nocturnes, u. a., Naxos/ICA Sir John Barbirolli, WDR SO Köln: Schubert: Sinfonie Nr. 4, Britten: Serenade, Sibelius: Sinfonie Nr. 2, Naxos/ICA Auf DVD: Leonard Bernstein, LSO: Strawinsky: Sacre du printemps, Sibelius: Sinfonie Nr. 5, Naxos/ICA
Die Pianisten der Welt beflügeln Europas neue Metropole:
Klavier-Festival Ruhr Seit 25 Jahren: Hören, was Freude macht!
4. Mai - 19. Juli 2013 Info | Ticket: 01805-500 80 3* www.klavierfestival.de *(0,14 €/Min. aus dem dt. Festnetz; Mobil max. 0,42 €/Min.)
Feldmans Schülerin: Bunita Marcus
Testklang
Foto: testklang
Klein, aber Premium Diese Premiere zählt doppelt. Das Berliner Label Testklang feiert sein Debüt mit der ersten CD-Veröffentlichung einer US-amerikanischen Komponistin, die den meisten nur bekannt war als Schülerin von Morton Feldman und als Widmungsträgerin seines berühmten Klavierwerks „For Bunita Marcus“. Der Ruf, selbst eine exzellente Komponistin zu sein, eilte Marcus seit drei Jahrzehnten voraus – jetzt kann er endlich verifiziert werden. Und ja, es stimmt. Bunita Marcus bietet uns eine handgemachte Musik, die sich nicht auf die Automatik von Systemen verlässt, sondern den Sinnen traut. Auf dem Papier schauen diese Werke dürftig aus: wenige Töne, viele Wiederholungen. Alles liegt auf der Oberfläche. Gerade das aber ist das Faszinierende. Denn auf der fast völlig planen Oberfläche ihrer Musik kann Marcus das Gewicht der Klänge und das Maß ihrer Veränderung peinlich genau abwägen. Klänge sind für sie Klänge, keine Metaphern. Wie sie aufeinander folgen und zueinander stehen, entscheidet Marcus von Fall zu Fall. Subjektiv würde man das nennen, würde das Ergebnis nicht so zwingend und richtig klingen. Einen besseren Start hätte Testklang sich und seinen Hörern kaum spendieren können. Bewusst will man gegen den Strom schwimmen. Der Ansicht, dass die Zukunft der Klassischen Musik ein großer Download sei und ein einziges Streaming, setzt Testklang selbstbewusst den Sexappeal des Objekts entgegen. Die zweite Veröffentlichung bestätigt den Ehrgeiz: Wiederum in einer schicken großen Klappbox findet man neben einer audiophilen CD und einem umfangreichen Booklet eine DVD mit Doku-Material im Stile von „The Making Of“, sowie einen sehr intensiven Kurzfilm des Regisseurs Aron Kitzig. Im Mittelpunkt die jeweilige Hauptfigur der Box: hier Bunita Marcus, die tat-
sächlich selbst auftritt, dort „Pierrot lunaire“. Denn um ihn dreht sich Testklang Nummer 2. Schönbergs wegweisendem Liederzyklus stellen die Testklängler zwei Versionen des formal offen konzipierten „Tracking Pierrot“ von Earle Brown gegenüber, außerdem fünf Pierrot-Lieder vom Schönberg-Schüler Hanns Eisler und die Erstaufnahme eines „Pierrot lunaire“ des längst vergessenen Max Kowalski, in einer starken kompositorischen Bearbeitung von Johannes Schöllhorn. Mag man den Schönberg in der Aufnahme durch das Ensemble 29,46o S, 62,7o O auch tontechnisch überdesigned finden und Sopranistin Sarah Maria Sun wenig textverständlich, so überwiegt doch Respekt und Begeisterung für den Mut des jungen Labels. Organisiert als Genossenschaft, traut der Branchenzwerg Testklang sich und seinen Hörern eine Qualität und Originalität zu, vor der die meisten Großen erschrocken das Handtuch werfen. Raoul Mörchen
Pierre-Laurent Aimard | Martha Argerich | Kit Armstrong & Adrian Brendel | Emanuel Ax & Frank Peter Zimmermann | Elena Bashkirova | Boris Bloch | Alfred Brendel (Vortrag) | Khatia Buniatishvili | Till Brönner & Quintett | Michel Camilo | Chick Corea & „The Vigil” | Leon Fleisher | Hélène Grimaud | Marc-André Hamelin | Evgeny Kissin | Michael Korstick | Katia & Marielle Labèque | Igor Levit | Paul Lewis | Oleg Maisenberg, Gidon Kremer & Giedre Dirvanauskaite | Gabriela Montero | Murray Perahia | Maria João Pires | Olga Scheps | András Schiff | Grigory Sokolov | Andreas Staier | Yaara Tal & Andreas Groethuysen | Nikolai Tokarev | Daniil Trifonov | Yundi | Krystian Zimerman u.v.a.
Neu erschienen: Bunita Marcus: Sugar Cubes (Ensemble Adapter, CD + DVD), Testklang Schönberg, Eisler u. a.: Tracking Pierrot (Sun, Nawri, Ensemble 29,46o S, 62,7o O, CD + DVD), Testklang Bezug ausschließlich über: www.testklang.net
Das kulturelle Leitprojekt des
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Kulturpartner Medienpartner
Kommunikationspartner Medienpartner
Hörtest Robert Schumanns „Waldszenen“
Mit dem Klavierzyklus feierte Schumann 1850 einen späten Erfolg – populär verpackte Idylle. Dahinter verbergen sich: Bach-Studien. Von C a r s t e n H i n r ich s
Kopfkino Zunächst arbeitet Schumann an seinem Handwerkszeug, mit ausführlichen Studien
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am 6. Januar ist alles fertig. Als Stationen eines Waldspazierganges lesen sich die Überschriften. Vom „Eintritt“ bis zum wehmütigen „Abschied“ ziehen die gängigen Motive der Waldromantik am Betrachter vorbei: Freundliches wie Jagdlieder, Blumen und eine Herberge, aber auch spukhafte Momente, wie ein eindringlich mahnender Vogel und eine stille, verrufene Lichtung im Waldesdunkel. Hektische Betriebsamkeit: Schumanns Vorstellung von Carl Wilhelm musikalischer Poetik lässt platte Arldt, Dresden Tonmalerei nicht zu. Selbst da, um 1850 wo Hörnerquinten aufscheinen, wie beim „Eintritt“, handelt es sich mehr um ein künstlerisch anverwandeltes Echo als eine Illustration. Seine Szenen halten die Stimmungen fest, wie sie vom Wanderer auf seinem Gang Besitz ergreifen können, keine konkreten Bilder. Die später ausgewählten Verse romantischer Waldlyrik, die er den Stücken als Assoziationen voranstellen wollte, streicht er beim Druck wieder bis auf einen. moderne Fugen. Dann, langsam, erwacht auch die Schaffenskraft wieder, und Schumann Waldeinsamkeit wagt sich 1848 an größer dimensionierte Werke wie die Tondichtung „Manfred“ und mit Woher diese Begeisterung für das uralte Grün? „Genoveva“ sogar an eine Oper. Der Wald war den Deutschen erstmals 1800 Im Winter 1848, am Heiligabend, beginnt so richtig zu Bewusstsein gekommen, als er die Komposition der „Waldszenen“, bereits nach tausendjähriger Rodung Holzknappin Kontrapunktik. Die Präludien und Fugen Johann Sebastian Bachs, die er in seiner Lesart für ihre Fülle an Charakteren und ihre Erfindungskraft bewundert, sind in dieser Zeit seine „tägliche Bibel“. Über drei Jahre entstehen zunächst mehrere Studien und
Fotos: Jens K. Müller
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it dem Umzug wird alles anders: Der Entschluss, Leipzig 1844 zu verlassen und nach Dresden zu ziehen, soll Robert Schumann nach Strapazen, Kränkungen und nervlichen Reizzuständen eigentlich einen Neuanfang ermöglichen, hier will er wieder zu sich kommen. Manche Biografen sagen, es war sein folgenschwerster Fehler. Durch Niederlegung der arbeitsaufwändigen Redaktion der von ihm gegründeten „Neuen musikalischen Zeitung“ verliert Schumann nicht nur sein Sprachrohr, auch die finanzielle Situation der wachsenden Familie verschärft sich. In der Messestadt Leipzig war er Teil und wichtiger Motor eines international beachteten Musiklebens. In der selbstverliebten Residenzstadt Dresden gibt es hingegen nur die vom Hof protegierte Oper, in deren Musikerkreise er mangels Kontakten keinen Zugang findet. Was ihm bleibt, ist die Konzentration auf das Komponieren.
heit zu Teuerung und der allgemein diskutierten Sorge führte, bald auf einem verkarsteten Heideland zu sitzen. Das konnte die eilig eingeführte Forstwirtschaft zwar verhindern, aber mit den „schrecklichen (Ur-) Wäldern“, mit denen schon Tacitus Germanien charakterisiert hatte, war es zu Schumanns Zeiten längst vorbei, die Fichten standen nutzungsfreundlich in Reih und Glied. Dennoch vereinnahmten auch die Patrioten des Vormärz, deren Barrikadenkämpfe zur Zeit der Komposition durch Deutschland hallten (und 1849 auch Schumanns Dresden erreichen sollten), den Wald als Urbild „ihrer“ Volksseele für sich. Wären Schumanns „Waldszenen“ also ein chiffrierter Bilderbogen der Revolution? Soweit muss man gar nicht gehen. Natürlich beflügelt wie so oft die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren (nationalen) oder Vergangenen (ursprünglichen) die Poesie der romantischen Avantgarde. Doch ein Zwielichtiges, Doppeldeutiges wohnt dem Wald nicht nur in Eichendorffs Gedichten inne. Zur selben Zeit wuchert er auch in den bürgerlichen Wohnstuben in den Märchen der Gebrüder Grimm, dunkel und geheimnisvoll, aber symbolisch. Die Helden müssen sich darin verlaufen, um zu sich selbst zu finden. Ob Schumann eine innere Gegenwelt suchte zum betriebsamen, von Pflichten belasteten Alltag, einen seelischen Gesundbrunnen? Das würde zur Angegriffenheit der Dresdener Jahre durchaus passen.
Urlaub vom ich Vielleicht kann man Schumanns Waldspaziergang aber auch als Erholungsurlaub zwischen den (Baum-)Riesen der musikalischen Vergangenheit lesen. Dann wundert es nicht mehr, warum diese populär verpackten Stimmungsbilder unter der Oberfläche mit Bachscher Fugentechnik verdrahtet sind wie dichtes Unterholz. Die „Einsamen Blumen“ wiegen sich im Quartkanon, der „Vogel“ trällert seine Prophezeiung in makelloser Engführung und durch die „Verrufene Stelle“ schlurft’s im Rhythmus einer barocken französischen Ouvertüre wie mit löcheriger Brokatschleppe. Rückbesinnung, Rückversicherung: Das war es wohl, was Schumann der Hausmusik in unsicheren Zeiten mit seinen „Waldszenen“ empfahl. Der Vogel pfeift es aus dem Blätterdach: BACH. Bleiben wir gleich bei der Rückbesinnung: Von den drei frühen Aufnahmen hinterlässt Wilhelm Kempff, der Lyriker, den mäßigsten Eindruck. Manche der Stücke geht er so steif an, als ob seine Waldszenen Bilder in einem Museum wären, andere mit wunderlichen Temporückungen. Dagegen überzeugt die rumänische Pianistin Clara Haskil in ihrer
Mono-Aufnahme mit Gestaltungsvielfalt: Einerseits viril selbstverliebt im „Jagdlied“, gelingt ihr der scheue „Vogel“ märchenhaft verschleiert. Leider trübt starkes Rauschen die Freude an diesem wichtigen, erstveröffentlichten Dokument. Nicht so bei Sviatoslav Richter, der den Szenen ebenfalls eine enorme Bandbreite an Stimmungen ablauscht und mit klarer Melodieführung selbst in Mono klangliche Panoramablicke öffnet. Nun ja, Vladimir Ashkenazys Interpretation klingt dagegen eher wie ein von der Kurverwaltung vorgeschlagener Rundweg: hübsch, aber ohne Risiko. Das aber braucht der Zyklus, um nicht in’s Gefällige abzugleiten. Hier verwelken die „Einsamen Blumen“ zum harmlosen Albumblatt, in den Jagdmomenten verfällt er sogar unschön ins Dreschen. Wohltemperiert geht es auch bei Cyprien Katsaris zu. Trotz nicht abzusprechendem Sinn für die Lyrik verschmieren ihm wichtige Details im allzu selbstverliebt-lässigen Spiel. Kurz: zwei Salonlöwen im Trachtenjankerl. Mehr Wagnis geht Maria João Pires ein. Sie absolviert die Wanderung nicht nur mit den Fingern. Mit bedrohlicher Attacke springt ihr Jäger aus der Lauer, und ihrer „Verrufenen Stelle“ traut man lieber nicht über den Weg. Aber vor lauter Angriffslust versäumt sie die poetischen Ruhepole des Zyklus und eilt an den „Blumen“ und dem „Vogel“ zu schnell vorbei. Eine eigene Route haben zwei Pianisten gewählt, die sich mit historischen Érard-Flügeln dem Schumann-Klangbild annähern. Seine exakten Tempoangaben klingen für heutige Ohren teils irrwitzig rasant, so dass ihm die Wissenschaft schon ein kaputtes Metronom anhängen wollte. Viele Interpreten korrigieren das nonchalant nach ihrem Gefühl. Nicht so Tobias Koch, der in seinem interessanten Konzeptalbum zu Schumanns Dresdner Jahren die schnellste Einspielung vorlegt und Schumann beim Wort, pardon: bei der Zahl nimmt. Die Waldluft riecht bei ihm klar, antiromantisch kantig und spielfreudig, mit teilweise surrealistischem Nonlegato. Seinem Londoner Érard entlockt er in den Höhen obertonreich silbrige, in den Tiefen auch standuhrenartig glockige Klangfarben – eine Differenzierung, die kein moderner Flügel aufweist. Nur ein wenig ruhiger lässt es Andreas Staier auf dem etwas älteren Instrument derselben Firma angehen, aber leider ist die Aufnahme unangenehm hallig, was das Flügelsilber im Waldweben ersaufen lässt. Martin Stadtfeld legte seine Aufnahme ausgerechnet im selben Jahr vor wie Andras Schiff. So ein Pech: Sein matter und ideenloser Zugang wirkt wie eine Etüde neben Schiffs selbstbewusstem und durchdachtem Spiel. Dabei ist auch Schiff keinesfalls erste Wahl: Er
hämmert, als wolle er eine Lichtung freihauen. Der Ehrenkranz aus Tannengrün gebührt drei anderen Aufnahmen: Schlicht raffiniert und duftig ist, was Arcadi Volodos 2009 live im Wiener Musikvereinssaal auf die Tasten gezaubert hat. Hier stimmt einfach alles: die Anschlagskultur, die Phrasierung im Detail, die dynamische Spannweite und nicht zuletzt die Balance der Stimmungen zwischen den Szenen. Für so eine Sternstunde überhört man gerne auch mal die Raumgeräusche. Wer das nicht möchte, greift zur Aufnahme mit dem kroatischen Wunderknaben Dejan Lasić. Die romantischen Temposchwankungen sind etwas manieriert, bleiben aber im vertretbaren Rahmen. Ansonsten gibt es hier viel an Gestaltung und Spielkultur zu bestaunen. Einen weniger aufgeladenen Weg geht Eric Le Sage mit seinem entschlackten Klangideal und seiner unaufdringlichen Virtuosität. Kein unablässiges Zähnefletschen, noch desavouiert er die stillen Blumen zum gefälligen Genrekitsch. Dadurch empfindet man bei ihm auch aufrichtige Wehmut im „Abschied“. Eine unaufgeregte, aber sehr geschmackvolle Lesart, leider vom Tontechniker nicht so brillant eingefangen wie Lasić. Baumgrenze: Arcadi Volodos, 2009, Sony Dejan Lasić, 2007, New Arts/CCSSA Tobias Koch, 2008 (Érard, 1852), New Arts/ Genuin Eric Le Sage, 2008, Note 1/alpha
Waldlichtung: Clara Haskil, 1947 (Mono), Universal/Decca Sviatoslav Richter, 1957 (Mono), Universal/DG Maria João Pires, 1994, Universal/DG Andreas Staier, 2007 (Érard 1837), HMC András Schiff, 2010, Universal/ECM Rheinfall: Wilhelm Kempff, 1974, Universal/DG Cyprien Katsaris, 1986, Warner/Teldec Vladimir Ashkenazy, 1988, Universal/Decca Martin Stadtfeld, 2010, Sony
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jazzwerkstatt Die Planschmiede
Ulli Blobel ist der Mann hinter der rührigen Jazzinitiative der Bundeshauptstadt: ein Hausbesuch. Von Thom a s F i t t e r l i ng
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it weit über 200 CDs in sechs Jahren prägt das gleichnami ge Label des Fördervereins jazzwerkstatt Berlin Brandenburg e. V. das Bild vom sogenannten Hauptstadtjazz. Der Verein heißt nach der le gendären Jazzwerkstatt Peitz. Sein Gestalter, Ulli Blobel (62), war als deren Mitbegründer von 1973 bis 1982 an der Entwicklung der Free Jazz Szene in der DDR nachhaltig beteiligt. Mit seinem Freund Jimi Metag holte er den Jazz in die brandenburgische Provinz, bis das inzwischen internationale Projekt 1982 verboten wurde. Blobel durfte nach Wuppertal ausreisen, erwirtschaftete mit einer Vertriebsgesellschaft ein erhebliches Rücklagenpolster; dem Jazz aber war er jahrzehntelang abhanden gekommen. Im Jahr 2005 bittet ihn Rainer Bratfisch um einen Artikel für ein Buch über den Jazz in der DDR; Blobel willigt ein, trifft bei der Buchvorstellung auf alte Mitstreiter und hört vom desolaten Zustand der Berliner Szene. „Da hatte mich der Jazzbazillus wieder. Ich
wollte mich unbedingt wieder mit dem Jazz in Berlin beschäftigen“, erinnert er sich. Mit seiner Frau zieht er in die Hauptstadt. Ein Jahr später gibt es den Förderverein. „Mit unserer Musik ist man auf Fördergelder angewiesen, also muss man als gemeinnütziger Verein organisiert sein – und natürlich den Gremien kreative Projektvorschläge machen. Natürlich ist es gut, wenn man viele Leute kennt, berufliche Erfahrung und das Alter sind da ein Bonus.“ Blobel erweist sich als begnadeter Netzwerker. Fördergelder fließen, es besteht eine enge Kooperation mit dem rbb; im Konzertsaal des Institut Français werden zwei bis drei Konzerte im Monat veranstaltet, man ist in Potsdam präsent und baut nun eine jazzwerkstatt-Reihe in Hamburg auf. Das Festival in Peitz wurde wiederbelebt, viele CDs, aber auch DVDs und Bücher wurden
roduziert. Blobel betont: „Schon immer habe ich alle Musiker zu meinen Konzerten eingeladen, damit man sich sieht, trifft und Pläne schmieden kann. Und so ist es mir gelungen, alle Berliner Musiker – zumindest die der avantgardistischen Art – unter der Fahne der jazzwerkstatt zu vereinen.“ Sein Credo als Platten-Macher lautet: „Die Musik auf meinem Label entsteht in der Verantwortung des Bandleaders nach vorausgehenden Grobabsprachen, sie ist absichtlich nicht produziert etwa im Sinne von ECM.“ Den rückläufigen CD-Verkaufszahlen begegnet Blobel mit einer vermehrten Buchproduktion und der Veröffentlichung von LPs. „Es gibt eine Riesennachfrage nach Vinyl in Übersee. Bei LPs mit Klappcovern kann ich großformatig tun, was ich liebe: Musik mit bildender Kunst und gestaltetem Wort zusammenfügen.“ Und mit Stolz verweist er noch auf Phil.harmonie, sein Label, das nach dem Vorbild der jazzwerkstatt mit Kammermusikern der Berliner Philharmoniker entstanden ist. Neu erschienen: Lester Bowie, The Great Pretender, jazzwerkstatt/Naxos Julie Sassoon, Land Of Shadows, jazzwerkstatt/Naxos Schumann, Myrtenlieder (Stegner, Takahashi), Phil.harmonie/Naxos
Ulli Blobel (Hrsg.): Woodstock am Karpfenteich – Die Jazzwerkstatt Peitz (Buch mit CD), Berlin 2011 Festival: jazzwerkstatt Peitz Nr. 50 (7.–9. Juni 2013)
Christoph Prégardien & Michael Gees neue
Winterreise in Ton und Bild FRANZ SCHUBERT Winterreise Christoph Prégardien, Tenor Michael Gees, Klavier 1 DVD-video CC72596 1 Blu-ray + 1 Audio-CD CC72588 1 SACD In einem hochwertigen Buch CC72595
Christoph Prégardien und Michael Gees erkunden mit ihrer neuen Aufnahme von Schuberts Winterreise einen sogenannten “dritten Weg”. Erhältlich als Audio-SACD sowie als DVD-Video und Blu-ray Video (incl. einer 20-minütigen Dokumentation!) ab 28. März 2013. Vertrieb für den deutschen Fachhandel: New Arts International - a Codaex & Challenge partnership Tel.: 0821-660 144 64 / Fax 0821-660 144 65
www.challengerecords.com Social media: facebook.com/ChallengeRecordsInt twitter.com/challengerec - youtube.com/ChallengeRecords
16.03.–20.04.13 internationales musikfestival Umstieg auf’s Pianoforte: John Medeski
John Medeski Nackt am Klavier
Der Orgel-Derwisch John Medeski zeigt sich auf seiner ersten Solo-Einspielung von einer ganz neuen Seite. Von Jo s e f E nge l s
Foto: Michael_Bloom
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lle, die John Medeski als furiosen Tastendrücker des Orgel-Trios Medeski, Martin & Wood kennen, werden ziemlich überrascht sein: Auf der ersten Solo-Einspielung seiner Karriere erweist sich der 47-Jährige als ausgesprochen sensibler Minimalist, der mit einfachsten Melodien und viel Raum zwischen den Noten operiert. „Dieses Album zeigt eine Seite von mir, die ich sehr selten mit anderen teile“, sagt der Pianist, „das ist Musik, die ich für gewöhnlich zuhause spiele für die Menschen, die mir nahe stehen. Ich sage es mal so: Es ist alles sehr nackt.“ Man hört förmlich, dass die Stücke (darunter ein Willie-Nelson-Song, ein Spiritual und eine Komposition, die Medeski mit 15 Jahren schrieb) mitten in der Nacht eingespielt wurden, so intim, verletzlich und somnambul sind sie. Und obwohl sie so gar nichts mit dem psychedelischen Klanggewitter-Funkjazz gemein haben, für den Medeski berühmt ist – ein starkes verbindendes Element zum bisherigen Schaffen des Amerikaners gibt es doch: die Arbeit mit dem Klang eines ganz speziellen Tasteninstruments. Nur ist es diesmal eben
nicht Hammond-Orgel, Mellotron, Wurlitzer oder Moog. Auf „A Different Time“ spielt Medeski ausschließlich auf einer Sammler-Rarität, einem prämodernen Flügel des französischen Klavierbauers Gaveau aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. „Das Instrument klingt ganz anders als ein normaler Flügel, es hat etwas von einem Cembalo. Man muss wirklich hart daran arbeiten, es unter Kontrolle zu bringen. Da ist nichts, hinter dem man sich verstecken kann“, bemerkt Medeski. Die Aufnahme erscheint als erste Veröffentlichung auf dem von Sony wiederbelebten Label „OKeh“, das einst die Platten von Fats Waller, Jelly Roll Morton oder Louis Armstrong herausbrachte. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf: Ist John Medeskis kammermusikalischer Solo-Ausflug überhaupt noch Jazz? Der Pianist lacht: „Ich bin mir sicher, dass meine Platte viele Jazztypen in Rage bringen wird. Aber das ist mein Job. War es schon immer.“ Neu erschienen: John Medeski: A Different Time, OKeh/Sony
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NDR Sinfonieorchester Elı¯na Garancˇa Daniel Hope Igor Levit Jörg Widmann Thomas Hampson Jonathan Nott John Neumeiers Bundesjugendballett Maxim Biller Cameron Carpenter Pera Ensemble Matthias Pintscher Martin Grubinger Joshua Bell Academy of St. Martin in the Fields Fauré Quartett Fazıl Say Thomas Quasthoff Annette Dasch Jan Vogler Grigory Sokolov HipHop Academy Hamburg Ingolf Wunder Kit Armstrong Christian Gerhaher Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Sir Roger Norrington u.v.m.
perspektiven
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Musikstadt Aldeburgh
Das englische Küstenstädtchen war die Heimat von Benjamin Britten und erbte sein Festival. Ein Rundgang im Vorgriff auf Brittens 100. Geburtstag. Von M at t h i a s S i e h l e r
B
ritten lebt hier.“ So steht es im Prospekt. Aber wie kann das sein? „The British Orpheus“, der
erste seit Henry Purcell, der die Engländer schmerzlich daran erinnerte, dass sie eben kein Land klassischer Komponisten, noch
viel weniger eines der Oper sind, er starb doch schon vor 37 Jahren. Vor 100 Jahren wurde er geboren, in Lowestoft, Suffolk, dem östlichsten Punkt der Insel. Daran erinnern wir uns. Gestorben ist er nicht weit davon, in Aldeburgh, ebenfalls an der melancholisch grauen Küste Suffolks, 140 Kilometer von London entfernt gelegen. Dort ist er auch begraben. Sein Stein ist so grau wie die Kieselsteine am Strand. Neben ihm liegt sein lebenslanger Partner und kongenialer Interpret, der Tenor Peter Pears (1910– 86). Und nicht weit weg findet sich das Grab von Imogene Holst, Brittens engster muskalischer Mitarbeiterin und Leiterin des Aldeburgh Festivals von 1956 bis 1977. In der Peter and Paul Church leuchtet zudem bunt und intensiv ein Glasfenster zu Brittens Erinnerung, der schließlich auch einige geist-
Der musikalische Nachwuchs beim Sonnenbad: Akademieteilnehmer vor der Mälzerei in Snape
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liche Kirchenspiele komponiert hat. Geboren in Lowestoft, lange in London zu Hause. Aldeburgh ist es aber, das Benjamin Britten die Unsterblichkeit schenkte – und umgekehrt. Deshalb lebte der Komponist hier und er „lebt“ musikalisch als Gründerfigur des 1948 ins Leben gerufenen Festivals weiter, deshalb der doppeldeutige Ankündigungstitel zum Jubiläumsfest. Denn der Komponist ließ sich immer wieder vom rauen, rustikalen Charme des Örtchens am Fluss Alde mit seinen heute knapp 3000 Bewohnern einfangen und inspirieren. Am stärksten natürlich von seinem Meerblick, wo sich der oft stahlgraue Himmel mit den gleichfarbigen Wellen im Unendlichen verschmilzt. Meist liegt die See ruhig wie ein flacher Spiegel, aber sie kann auch stürmen und winden, peitschen und röhren.
Fotos: Malcolm Watson, Aldeburgh Festival/Mykel Nicolaou
So wie es Britten in seinen großartigen Naturporträts der „Sea Interludes“ vertonte. Hier spielt, auch wenn es nie genannt wird, die Geschichte seiner ersten und berühmtesten, 1945 uraufgeführten Oper „Peter Grimes“, die wiederum auf einem von 24 Briefen des Langgedichts „The Borough“ beruht, die der frühe Realist George Crabbe (1754–1832) im Jahr 1812 veröffentlicht hatte. Dieses „Dorf“ macht als biblisch atavistische Gemeinschaft den Fischer und Außenseiter Peter Grimes zu einem Ausgestoßenen. Dieser büßt für seine unzweifelhafte Schuld, indem er sich auf dem Wasser versenkt. Auch die Lehrerin Ellen Orford kann ihn nicht retten. Und die „Sea Interludes“, die die einzelnen Bilder der Oper gliedern, erzählen weiter vom Werden und Vergehen der Natur als unendlichem Kreislauf. „Die meiste Zeit meines Lebens verbrachte ich in engem Kontakt mit dem Meer“, so erzählte es Benjamin Britten. „Das Haus meiner Eltern in Lowestoft blickte direkt auf die See, und zu den Erlebnissen meiner Kindheit gehörten die wilden Stürme, die oftmals Schiffe an unsere Küste warfen und ganze Strecken der benachbarten Klippen wegrissen. Als ich ‚Peter Grimes‘ schrieb, ging es mir darum, meinem Wissen um den ewigen Kampf der Männer und Frauen, die ihr Leben, ihren Lebensunterhalt dem Meer abtrotzten, Ausdruck zu verleihen – trotz aller Problematik, ein derart universelles Thema dramatisch darzustellen.“ Tatsächlich ist das Wetter hier aber meist freundlich. Deshalb kommen viele Touristen im Sommer, die die Einwohnerzahl von Aldeburgh leicht auf ein Vielfaches anschwellen lassen. Sie wohnen in Ferienhäusern und in den paar Hotels, die sich schick aufgehübscht am Strand präsentieren. Hier liegen auch die beiden populären Fish & ChipsShops, einer soll gar der beste von ganz England sein. Mitten durch das Städtchen führt die High Street. In weiß gerahmten Schaufenstern locken edle Stoffe,
Vasen und allerhand Schnickschnack. In Fischerhütten wird direkt der zum Teil noch lebende Fang aus den Booten verkauft, ein alter Wachturm erinnert an die napoleonischen Kriegszeiten. Man kann hier herrlich durch die Dünen laufen. Mitten im Ort am Strand steht auch die alte Townhall aus Fachwerk, die 400 Jahre lang der Versammlungsort und sozialer Mittelpunkt des Dorfes war. Heute gibt es die modernere Jubilee Hall, in
House im nahen Aldeburgh. Hier konnte Britten auf die See sehen und seine Spaziergänge machen, auf denen er oft seine Werke im Kopf entwickelte. Als er dann freilich immer berühmter und selbst zu Hause wie in einem Goldfischglas bestaunt wurde, wechselte er ins Red House, das heute Museum und Britten-Forschungsstätte ist. Modernistisch nüchtern ist es dort, dank eines Anbaus mit viel Glas. Hier empfing man Freude, auch so berühmte wie
Dichterlesungen, Literatur- und Theaterveranstaltungen, Vorträge und Kunstausstellungen erweitert. Mit der Zeit wuchsen die Dimensionen des Festivals und weitere Spielorte wie die Kirche Saint Peter and Saint Paul sowie die nahegelegenen Orte Orford, Blythburgh und Framlingham kamen hinzu. In den Sechzigerjahren wurde The Maltings zur großen Konzerthalle mit 832 Plätzen umgebaut und durch Königin Elizabeth II. am 2. Juni 1967 anlässlich der Eröffnung des 20. Aldeburgh Festivals eingeweiht. Wie schon von seinen Gründern intendiert, sind bis Das 66. Aldeburgh Festival findet vom 7. bis 23. Juni statt. Doch heute Uraufführungen Neuer auch jenseits der eigentlichen Saison gibt es ständig AktiviMusik, die Präsentation neuer täten, so die Neuinterpretation der „Canticles“ durch den Tenor Interpretationen und die WiederIan Bostridge, den Regisseur Neil Bartlett und den Klangkünstler entdeckung vergessener Musik Chris Watson im Mai. Im November kommt der hier 1973 urSchwerpunkte des Festivalaufgeführte „Death In Venice“ neu heraus. Höhepunkte der programms. Seit Beginn widmet eigentlichen Saison sind eine Freiluftaufführung von „Peter sich das Festival der Pflege junger Grimes“ (Regie: Tim Albery) direkt am Strand, sowie szenische Talente, indem junge Künstler Vorstellungen der drei für die Oxford Church komponierten mit etablierten Stars zusammen„Church Parables“. Außerdem wurden neue Werke bei Harrison gebracht werden. 2009 wurden Birtwistle, Wolfgang Rihm, Judith Weir, Magnus Lindberg, Poul neue Gebäude, so das Hoffmann Ruders und dem unlängst verstorbenen Richard Rodney Bennett Building, das Britten-Studio in Auftrag gegeben. mit 340 Sitzen und das Jerwood Kiln Studio mit 75 Sitzen erder 1960 die Britten-Oper „A richtet. Und stets waren die Leiter Dmitri Schostakowitsch, Mstislaw Midsummer Night’s Dream“ ur- Rostropowitsch oder Dietrich des Festivals selbst Künstler. aufgeführt wurde, und die heute Nach dem hoffnungsvollen Fischer-Dieskau, die regelmäßig noch vom Aldeburgh Festival be- in das noch heute wegen seiner Komponisten Thomas Adès ist spielt wird. das seit 2009 der französische exzellenten Akustik berühmte Das freilich hat – trotz Pianist Pierre-Laurent Aimard. The Maltings kamen. seines Namens Noch immer – seinen Hauptist es als eine sitz im sieben der Keimzellen Kilometer entder englischen fernten, malerisch Musik ein sehr beam sumpfigen, sonderer Ort. In von Schilf umdem hölzernen In standenen Flussnenraum scheint ufer liegenden der Klang wie Boot am The Maltings in in einem Schoß Strand von Aldeburgh dem Dörfchen zu ruhen. Man Snape. Das ist kann in den Kon die alte Mälzerei zertpausen in der ehemaligen der hinten ange Brauerei, in der bauten Bar stehen heute das Festival und auf das im stattfindet. 1938 Sonnenuntergang war Britten hierhergezogen. War der ursprüngliche An- so friedliche Marschland des Während des Krieges hielt er sich Flusses blicken. Und man könnte lass des von Britten, Pears und freilich in Kanada und in den USA meinen, Britten käme gleich um dem Librettisten Eric Crozier auf. Und als er wieder mit Peter die Ecke. Denn ja, irgendwie lebt ins Leben gerufen Festivals der Pears zurückkehrte, zogen die er noch hier. Wunsch, eine Spielstätte für ihre beiden Männer – Künstler, schwul gemeinsame Operntruppe, die und pazifistisch – 1947 mit English Opera Group zu finden, www.aldeburgh.co.uk Dachshund Clytie lieber ins Crag so wurde die Idee bald auf
Das Festival
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Proben, Pleiten und Premieren: Höhepunkte in Oper und Konzert Von Rol a n d M ack e s
Karlsruhe Vestalin: Barbara Dobrzanska (Julia), Katharine Tier (Grande Vestale), Andrea Shin (Licinius), Badischer Staatsopernchor
Ja, es gibt sie, die mutigen Opernhäuser, die im Wagnerjahr nicht nur Wagner spielen, sondern die zeigen, wo der sich einst operninspirieren ließ. Da gibt es dann römische Liebesakte, Alpendinosaurier, vergiftete In derinnen und, ja, sogar einen original Wagner im Feenreich zu bestaunen – auf nach Karlsruhe, Amsterdam, Chemnitz! Gaspare Spontinis „La Vestale“ ist eine zwischen Glucks Reformbemühen und den effektvollen Standbildern der späteren Grand Opéra 1807 in Paris uraufgeführte Hochfeier des Klassizismus. Wagner liebte die schlichte Beispielhaftigkeit der Geschichte, einer verliebten Vesta-Priesterin, die während eines Rendezvous mit ihrem geliebten General Li cinius das heilige Feuer ausgehen lässt. In Karlsruhe trägt Barbara Dobrzanska or dent lich große Vorgängerinnen-Sandalen. Was auch für Andrea Shin als Licinius gilt. So mangelt Aron Stiehls bewusst einfach gehaltener, in Frank Philipp Schlössmanns klaustrophobisch blauer Kiste angesiedelter Inszenierung ein wenig die Mitte. Den Polizeistaat markiert ein steinerner Lorbeerkranz mit gekreuzten Maschinengewehren, Obervestalin und Hohepriester vergnügen sich mit Alkohol und Sex. Doppelmoral der absolutistischen Nomenklatura. Johannes Willig dirigiert die Badische Staatskapelle mit kraftvoller Direktheit.
Ungleich mehr Aufwand verlangt Gioacchino Rossinis Pariser Opernabschied „Guillaume Tell“ von 1829. Der Ruf nach Freiheit, Natursehnsucht und Kantilene gehen da eine monumental sich schichtende Musiktheater-
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Noch vor dem ersten Bayreuther „Ring“-Zyklus und den späten Verdi-Operngeburten war die posthume Uraufführung von Giacomo Meyerbeers „Afrikanerin“ am 28. April 1865 in Paris das am meisten beachtete Musiktheater-Ereignis des 19. Jahrhunderts. Meyerbeer selbst war es noch, der die zunächst konturenarme Dreiecksgeschichte laviert, auf den EntdeckerSeehelden Vasco da Gama zuspitzte. Das neue drame lyrique und der schwüle Exotismus werden hier vorweggenommen. Doch die posthumen Bearbeiter negierten dies. Was dazu führte, dass es in „Vasco de Gama“, wie das hinreißende Stück jetzt endlich korrekt heißt, viele Ungereimtheiten und Brüche gab. Denn es fehlte, je nach Strichfassung, bis hin zur Hälfte der originalen Musik. Die wurde jetzt erstmals komplett an der mutigen Ope r Chemnitz vorgestellt. In einem heroischen Kraftakt, der an Grenzen des Singens, Spielen, Sehens und Hörens ging, aber glücklicherweise niemanden überforderte, fünf Stunden und zehn Minuten gloriosen Musiktheaters zu erleben. Verdi und Wagner klauten und borgten da, imitierten, bis sich die Notenblätter bogen. Und Frank Beermann dirigiert das mit farbenreicher Finesse.
Amsterdam Guillaume Tell: Marina Rebeka (Mathilde), John Osborn (Arnold Melcthal)
Vasco da Gama am Theater Chemnitz
Fotos: Jürgen Frahm, Ruth Walz, Dieter Wuschanski/Theater Chemnitz
Fanfare
mischung ein. Die Nederlandse Opera hat das heftige Helvetia-Opus jetzt gestemmt. Schon der erste Celloton der gewitterstürmenden Ouvertüre gibt Paolo Carignanis vorzügliche Dirigierhaltung als gekonnter Mischung aus flexibler Schlankheit und satter Tonpracht vor. Der diebische Wagner fand das klasse, diskutierte noch 1860 beim berühmten Pariser Besuchsdialog mit Rossini Note für Note und hätte ohne den „Tell“ so nie „Rienzi“ oder „Tannhäuser“ schreiben können. Anders als sonst bei Rossini, zählt selten der brillante Arienaugenblick, sondern das große Ganze. Umso schöner aber, wenn dem in jeder Hinsicht voluminösen Tell Nicola Alaimos die konzentrierte Kantilene gelingt. Umso beglückender, wenn der hinreißende John Osborn (als Arnold für Liebe in jeder Spielart zuständig) die absurd hohen Noten leicht nimmt. Und umso feinsinniger, wenn Marina Rebeka als hinzuaddierte amouröse Zielfigur aus den Reihen der gegnerischen Habsburger im Sissi-Reitkostüm mit makellosem Sopranschmelz aufwartet. Pierre Audis zurückhaltende Regie weitet das tönende Eidgenossen-Monument konsequent ins Symbolhafte. Das sich wie im Vierwaldstättersee spiegelnde Alpenpanorama samt Sturm und Boot/Brücke, Brandschatzung und erzwungener Ballettheiterkeit bleiben auf George Tsypins offener Bühne Zeichen, sinken nie auf Naturalismus-Niveau herab und lassen dem Werk seine hehre Künstlichkeit. Ein wenig mehr Mut zur Rustikalparodie wäre allerdings möglich gewesen.
Musik im Riesen Feine Klunker Mein Bekenntnis für heute: Ich liebe Museen mit Fake-Faktor! Die Wohnung des fiktiven Sherlock Holmes in der Londoner BakerStreet (das Einlasspersonal trägt Häubchen): wundervoll! Dass ein Museum voll falscher Edelsteine, Swarovskis „Kristallwelten“ in Wattens, die am zweithäufigsten besuchte Sehenswürdigkeit in Österreich ist (700 000 Besucher pro Jahr; mehr hat nur Schönbrunn!) – das ist eine Tatsache von köstlich ironischer Erhabenheit. Verständlich auch. Hier ließ schon Maria Callas für ihre Bühnenauftritte arbeiten. Von hier kommen die DebütantinnenKrönchen beim Wiener Opernball. Jessye Norman singt in der Ausstellung live. Untendrunter, gleich unter dem Verkaufsshop, tobt alljährlich ein blitzsauberes, stargespicktes Kammermusikfestival,
dessen Mitwirkende nicht wegen der feinen Klunker kommen. In diesem Jahr z.B. Christian Tetzlaff, Isabelle Faust und Patricia Kopatchinskaja. Schon zum zehnten Mal betreut Komponist Thomas Larcher die „Musik im Riesen“, wie das Festival in Anlehnung an die Eingangsskulptur des grasbewachsenen Museumsbaus heißt. „Meine Heimat“, sagt Larcher und erzählt, wie ein reger Musik-Sponsor irgendwann beschlossen habe, die Mittel in ein eigenes, kleines Festival fließen zu lassen. Vorbildlich! Und landschaftlich hinreißend mit umliegendem Bergpanorama und der mittelalterlichen Salzstadt Hall nebenan. Die Bühne ist intim, die Akustik erstaunlich gut. Der Familienbetrieb (in 5. Generation) lässt einige Konzerte sogar im Hochsicherheitstrakt des Werks-
geländes zu. So streng geheim die Herstellungsformel der falschen Brillis sein mag, so erfolgreich hat sich die Firma stets davor geschützt, campy zu werden. Man nützt die Klassik als Qualitäts-Gütesiegel. Nichts dagegen. Denn: Falsches echt erscheinen zu lassen, das ist die hohe Schule der Zauberei. Sogar die Kristall-Lüster der New Yorker Metro politan Opera kommen folgerichtig von hier. Aus Tirol. rfr „Musik im Riesen“: Wattens, 6.–11. Mai
Musik in der Frauenkirche 2013 Stiftung Frauenkirche Dresden Ticketservice Georg-Treu-Platz 3 | Besucherzentrum Frauenkirche Weiße Gasse 8/Ecke Wilsdruffer Straße Telefon 0351.65606-701 | www.frauenkirche-dresden.de
Christian Tetzlaff
Da Capo
Der Mehltau der Zeitlosigkeit Madrid, Teatro Real Mozart: “Così fan tutte” Eine italienische Villa, halb alt, halb neu. Ein Maskenball, bei dem sich nur die Hälfte der Gäste à la Watteau verkleidet hat. Michael Haneke, Europas gegenwärtig berühmtester Filmregisseur, hat an Gerard Mortiers Teatro Real in Madrid seine zweite Mozart-Oper inszeniert. Und wieder gibt er sich realistisch, lässt aber Rätsel offen. Sind die Personen in den altertümlichen Roben wirklich Charaktere des 20. Jahrhunderts, oder sind sie einfach nur zu den vier jungen Leuten hereingeweht worden, die sich hier auf ein Liebesexperiment einlassen, von dem offenbar alle wissen? Haneke lässt die Umstände bewusst im Ungefähren, will aber wissen, was aus der fatalen Wette entsteht. Don Alfonso ist hier mit Despina zusammen. Sie beide manipulieren die anderen – und wirbeln dabei in der längst erkalteten Asche die vom Feuer ihrer Beziehung übrigblieb. Kaltes Licht gleißt aus der vielfach benutzten Hausbar. Amor hat leichtes Spiel: Die Jungen müssen sich Mut zutrinken, die Alten ihren Ekel betäuben. Während Alfonso (herrisch-harsch: William Shimell) im ersten Akt noch die Fäden zieht, übernimmt dann die illusionsresistente Despina (Kerstin Avemo). Die Männer, Andreas Wolf und Juan Francisco Gatell, meinen, sie seien die Aktiven. Doch
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gehen die Frauen in Führung, dann scheinen auch sie sich im Netz der Gefühlsschlingen zu verlieren. Das aber dominant. Paola Gardina, die mezzosatte Dorabella, ist die erste, die sich hingibt. Fiordiligi will beide Kerle, hat am Ende niemanden. Deren Gewissensnot spielt Anett Frisch mit ihrem durchdringend instrumentalen Sopran souverän aus. Auch die instrumentale Seite macht sich Mastermind Haneke untertan. Darf es Sylvain Cambreling in der Ouvertüre noch schäumen lassen, legt sich bald Mehltau über die Musik. Bedeutungsschwerer werden die Pausen, das Mutwillige, der komödiantische Witzblitz dieser Buffa verdüstert sich. Mozart, der Erdenschwere, so will es der nicht für seinen Humor bekannte Michael Haneke. Matthias Siehler
Christians Feuerprobe Dresden, Semperoper Puccini: „Manon Lescaut“ Versteht Christian Thielemann so wenig von italienischen Stimmen? „Krawatteltenor“ verspottet die österreichische Dame den tonlos knödelnden Des Grieux (Thiago Arancam). Norma Fantini, eine primadonnige Manon, klingt für die Rolle der minderjährigen Nymphe zu altbacken und zu schrill. Die Besetzung an der Semperoper für die prominenteste Premiere der Saison – ist eine Katastrophe. Dagegen kann der wackere
Manon Lescaut in Dresden: Thiago Arancam (Renato Des Grieux), Norma Fantini (Manon Lescaut)
Christoph Pohl als Lescaut nicht viel ausrichten. Und Christian Thielemann auch nicht. Dabei dirigiert Thielemann mit der streichelnd edelholzfarbenen Staatskapelle Dresden einen schön untypischen Puccini. Sinfonisch schmissig, doch ohne auf die Tränendrüse zu drücken. Farblich ausdifferenziert, aber nicht ernüchtert. Dass er das berühmte Intermezzo an den Anfang vorzieht, zeigt, wie sehr ihn die auf ihm lastenden Erwartungen drücken. Zu oft schon war sein Schritt ins italienische Fach angekündigt, aber dann wieder verschoben worden. Die italienische ‚Feuerprobe’ besteht er umso souveräner, als er ein gewisses Fremdeln keine Sekunde leugnet. Dagegen hat Regisseur Stefan Herheim diesmal nicht viel zu erzählen. Die Parallelisierung von Des Grieux mit dem Schöpfer der amerikanischen Freiheitsstatue (welche aus Frankreich kam) behält einen Knick in der Optik, da Herheim zugleich Rokoko-Kostüme verwendet. Hektisch werden Chor-Massen über die Bühne gejagt. Unablässig kurbelt jemand an der Drehbühne. Sogar Puccini persönlich tritt auf. Ein Verlegenheitskonzept, das nicht wirklich aufgeht. Die Kritiker-Kollegen, welche die Produktion in Graz bejubelten, waren zu großzügig. Nur drei Aufführungen dirigiert Thielemann, bevor er für „Parsifal“ schon wieder nach Salzburg muss. Man verlässt Dresden in dem Gefühl, dass auch ein so schönes Haus wie die Semperoper – intendantenlos, wie diese zurzeit dasteht – keine sichere Bank ist. Trotz Thielemann. Robert Fraunholzer
Foto: Matthias Creutzinger
Gezischtes Doppel: Premierennotizen der RONDO-Opernkritik
26.06 – 28.07
Intonations: Elena Bashkirova
Intonations:
Foto: Intonations/Monika Rittershaus
„Nächstes Jahr: Jerusalem!“ Gewissermaßen eine „Reise nach Jerusalem“ verheißt seit letztem Jahr das Festival „intonations“ im Berliner Jüdischen Museum. Pianistin Elena Bashkirova, nicht nur bekannt als Ehefrau von Daniel Barenboim, betreut seit 1998 das „Jerusalem Chamber Music Festival“ in Israel. Im gediegenen YMCA-Saal gegenüber vom King David Hotel geht es alljährlich darum, Musik nicht nur in Tel Aviv, sondern eben auch im historischen Zentrum von Israel stattfinden zu lassen. In dem es sonst allzu wenig davon gibt. Weil das dortige Festival ein so großer Erfolg ist – und man ohnehin gern tourt –, konzipiert Bashkirova jetzt zum zweiten Mal einen selbstständigen FestivalAbleger für Berlin. Im gläsernen Klanghof des Jüdischen Museums (Altbau) kommt es zu einem Getreuen-Meeting, bei dem längst Züge eines Familientreffens erkennbar sind. Neben Barenboim (Vater) und Barenboim (Sohn) – Michael hat erfolgreich eine Violin-Solokarriere gestartet – sind es diesmal Ex-Ehemann Gidon Kremer, daneben Isabelle van Keulen, Emmanuel Pahud und René Pape. Der berühmte
2013
Vater der Festival-Leiterin, Dmitri Bashkirov, gibt erstmalig hier einen Meisterkurs. (Er war Lehrer von Arcadi Volodos, Kirill Gerstein und Nikolai Demidenko.) Es geht diesmal um verfolgte, verdrängte und unterschlagene Komponisten wie Gideon Klein, Hans Krasa, Erwin Schulhoff und Mieczysław Weinberg. Heute müssen einige von ihnen oft die verdoppelte Diskriminierung ertragen, unter „KZ-Musik“ subsumiert und gesondert aufgeführt zu werden. Damit dies nicht so ist, werden Werke wie das Bläserquintett op. 10 von Pavel Haas (21.4.) oder Lieder von Viktor Ullmann (mit Roman Trekel, 23.4.) mit Meisterwerken von Schubert bis Strawinsky und Schnittke kombiniert. Ghetto-Bildung: ausgeschlossen. Vorbildlich ist das – und schön. So dass Besucher sich in dem ernsten Vorsatz voneinander verabschieden werden: „nächstes Jahr in Jerusalem! Aber wirklich.“ Robert Fraunholzer »intonations – das Jerusalem International Chamber Music Festival«: Jüdisches Museum Berlin (20. bis 25. April)
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Alle Informationen über die Audi Sommerkonzerte 2013 unter: www.sommerkonzerte.de
Audi ArtExperience
Das Matterhorn, Blick von der Gornergratbahn
Mendelssohn vorm Matterhorn: Das Zermatt-Festival ist der vielleicht stilvollste Ausklang eines klangsatten Festspielsommers.
R
aue Gipfel, grüne Matten und die so cha rakteristisch mit durch Steine beschwerten Holzschindeln gedeckten Häuser – das Wallis ist einer der schönsten Kantone der Schweiz, und am schönsten vielleicht gerade im Spätsom mer, wenn das Zermatt-Festival Besucher aus ganz Europa anzieht. Der Gegensatz zwi schen der hochalpinen Landschaft und Meisterwerken der klassischen Musik, aber auch die entspannte, fami liäre Atmosphäre bei Musikern und Publikum machen Zermatt zu einem würdigen Abschluss der sommerlichen Festspielsaison. Schon etwas oberhalb der Stadt führen Serpentinen schnell abseits vom touristischen Treiben,
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das auch vor dem autofreien Zermatt nicht gänzlich halt gemacht hat: Doch hier oben duftet noch das Heu vor uralten Schobern und öffnet sich nach jeder Biegung ein
Scharoun Ensemble
atemberaubender Panoramablick auf die gletscherweißen Spitzen. Im Zentrum der Leserreise, zu der Sie RONDO-Chefredakteur Carsten Hinrichs begleitet, stehen natürlich Konzerte des ZermattFestivals. Den Auftakt machen das Bläseroktett von Ludwig van
matt. Das Matterhorn, den charakteristischsten Gipfel der Schweiz haben die Teilnehmer direkt im Blick beim Käsefondue auf dem Restaurant Riffelberg, in 2.585 m Höhe. Schon Mark Twain übernachtete hier und machte den (damals noch sehr strapaziösen) Aufstieg und den atemberaubenden Ausblick auf die Gipfel des Wallis in seiner launigen Reiseerzählung weltbe rühmt. Die RONDO-Leser kön nen das Panorama hingegen nach einer Fahrt mit der Gornergratbahn ganz entspannt genießen. Eine Weinprobe bei Brot und Käse in der St. Jodern Kellerei rundet die kulinarische Seite des Besuchs ab.
Die Reise im Überblick: Donnerstag, 5.9. Anreise nach Zermatt, Begrüßung, Abendessen Freitag, 6.9. Dorfrundgang, Besuch der Musikerakademie, Konzert in St. Mauritius (Salieri, Beethoven, Brahms/ Scharoun Ensemble) Samstag 7.9. Weinprobe, Konzert in St. Mauritius (Mendelssohn, Beethoven/ Braunstein, Zermatt Festivalorchester) Sonntag, 8.9. Konzert in der Riffelalp-Kapelle (Dvořák, Britten, Farrenc/ Braunstein, Fassbender, Kelly, Scharoun Ensemble), anschließend Käsefondue auf dem Riffelberg Montag, 9.9. Heimreise oder Verlängerung
Wenn Sie sich für die RONDO-Leserreise interessieren, fordern Sie unverbindlich die Reiseunterlagen an unter
[email protected] oder postalisch am Johannisplatz 3, 81667 München. Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Personen begrenzt, unser Reisebüro „Cadenza Tours“ ist Ihnen auf Wunsch bei der Organisation der Anreise oder einer Verlängerung behilflich.
Foto: Marc Kronig, Champer
Leserreise Zermatt
Beet hoven und die Serenade Nr. 2 von Johannes Brahms, in ter pretiert von Musikern des Scharoun Ensembles. Das Kam mermusikensemble, das sich aus Mitgliedern der Berliner Philhar moniker zusammensetzt, hat beim 2005 gegründeten und von den Musikern künstlerisch ge stalteten Zermatt-Festival seine Spätsommerresidenz genommen. Als Solist für das Violinkon zert von Beethoven haben die Mu siker ihren Berliner Kollegen Guy Braunstein eingeladen. Den Ersten Konzertmeister der Phil harmoniker erleben die Reisenden am Samstagabend. Natürlich erkunden wir auch die Region rund um das wild-romantisch gelegene Zer-
Doktor Stradivari: Musik-Krimi Folge 2: Die geheimnisvolle Händel-Handschrift Von Ol i v e r Bu s l au
G
uten Abend, Herr Doktor“, sagte der Butler, der die Tür der Villa geöffnet hatte. „Sie werden erwartet.“ Baron von Hochstetten kam Doktor Stradivari auf der geschwungenen Treppe entgegen. Er war erst Mitte zwanzig. Vor einem Jahr hatte er so viel Geld geerbt, dass es ihm kaum gelang, es auszugeben. Seine Leidenschaft war das Sammeln: Oldtimer, Gemälde, Antiquitäten, Musikinstrumente und vieles mehr. Doktor Stradivari beriet ihn gelegentlich dabei. Der Baron war in vielem schrecklich naiv. „Schauen Sie sich an, was mir angeboten wurde“, rief der Baron enthusiastisch. In seinem Arbeitszimmer bediente er eine Taste seines Laptops, das auf dem mit Intarsien verzierten Barockschreibtisch leicht deplatziert wirkte. Eine eingescannte handgeschriebene Partiturseite erschien. Stradivari erkannte Georg Friedrich Händels Handschrift. Oben stand in schwungvollen Buchstaben „Rinaldo“. Stradivari kannte die Oper natürlich. Zu sehen waren die ersten Takte der Ouvertüre. „Es ist ein bisher unbekanntes Manuskript von Händels erster Londoner Oper“, erklärte
Monaten entdeckt“, sagte der Baron. „Drei Millionen soll die Partitur kosten.“ Stradivari betrachtete die Noten. Was da stand, war der getragene Beginn der Ouvertüre, kein Zweifel. Er sah sich noch einmal alle Details an und schüttelte den Kopf. „Lassen Sie die Finger davon, Baron.“ „Was? Aber wieso?“ „Man will Sie reinlegen. Der amerikanische Gutachter versteht von Händel nichts. Vielleicht steckt er sogar mit dem Verkäufer unter einer Decke. Die Handschrift nachzumachen müsste mit dem Computer möglich sein.“ Er sah von Hochstetten an. „Ihre Leidenschaft für Ankäufe wertvoller Dinge hat sich wohl bis in die USA herumgesprochen und Betrüger auf den Plan gerufen. Das hier dürfte eine Fälschung sein.“
der Baron. „Der Verkäufer sitzt in den USA. Er hat mir vertraulich zur Ansicht die erste Seite geschickt. Dazu das Gutachten eines amerikanischen Experten.“ Er strahlte. „Na, ist www.oliverbuslau.de das eine Sensation?“ „Allerdings“, sagte Stradivari. Oben rechts neben dem Titel hatte der Komponist seinen Namen hinterlassen. Die Signatur sah echt aus. Was war Stradivari aufgefallen? Wenn Sie’s wissen, schreiben Sie Darunter stand ein Ortsdie Lösung an
[email protected] oder postalisch an name und eine JahresRONDO, Johannisplatz 3a, 81667 München – Ihre Kontaktdaten zahl, die ebenfalls der nicht vergessen! Unter allen Zuschriften verlost Rondo in KoKomponist vermerkt operation mit Deutsche Grammophon hatte: Venedig, 1711. 5 Exemplare der neuen CD von Anna Stradivari überlegte. Prohaska, „Enchanted Forest“. Händel hatte in jungen Einsendeschluss ist der 26. April. Jahren Erfolge in Italien gefeiert und dort Ideen für viele spätere Werke niedergeschrieben. Auflösung aus Nach einem kurzen Zwischenspiel als KapellMagazin 01/2013: meister in Hannover war er dann nach London Der von Herrn Vollrath beschriebene gegangen. Und hatte dort seinen „Rinaldo“ auf Sonatenanfang passt vielleicht zur die Bühne gebracht. „Mondscheinsonate“, auf keinen Fall „Das Manuskript wurde erst vor zwei jedoch zu Sonate op. 10/I.
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#5
d le n Cd - C tu e l o aus ak ndspiele RoHörbei
-CD
Hörbeispiele aus aktuellen CDs
1
Julia Lezhneva, Giovanni Antonini, Il Giardino Armonico Alleluja (Universal/ Decca), Porpora: „Care Deus cordis amantis“ aus der Motette „In caelo stelle clare“ – 6:21
2
The Age of Passions
Telemann: Pariser Quartette 1–3 (Sony/dhm), Quatuor Nr. 1 D-Dur TWV 43:D3, Gaiement – 3:46
3
Jan Vogler
4
Bach: Cellosuiten (Sony), Suite für Violoncello solo Nr. 3 C-Dur BWV 1009, Gigue – 3:19
Jascha Heifetz, Gregor Piatigorsky u. a. The Heifetz Piatigorsky Concerts (Sony/ RCA), Spohr: Doppel-Quartett d-Moll op. 65, Scherzo. VivaceTrio – 4:17
40
5
René Jacobs, Akademie für Alte Musik Berlin, Konstantin Wolff Pergolesi: Septem verba a Christo (harmonia mundi), „In tuum, Pater, gremium“ – 5:34
6
Anna Prohaska, Jonathan Cohen, Ensemble Arcangelo Enchanted Forest (Universal/DG), Händel: „Furie terribili“ aus „Rinaldo“ – 1:45
7
Petra Müllejans, Gottfried von der Goltz, Anne Katharina Schreiber, Freiburger Barockorchester Bach: Violinkonzerte (harmonia mundi), Concerto für drei Violinen D-Dur BWV 1063r, Adagio – 5:38
8
Daniel Behle, Collegium Musicum der Göppinger Kantorei u. a. Bach (Sony), „Lass, o Fürst der Cherubinen“ aus der Kantate BWV 130 – 3:48
plus
Die RONDO-CD ist die ideale Ergänzung zur Heftlektüre. Wenn Sie diese CD mit Hörproben auch gerne regelmäßig erhalten möchten, bestellen Sie einfach ein Abonnement unter www.rondomagazin.de
9
Hagen Quartett
Beethoven: Streichquartette op. 18/III & V, op. 135 (harmonia mundi/myrios), Quartett A-Dur op. 18/V, Menuetto – 4:40
10 2:37
Jan Lisiecki
Chopin: Études (Universal/DG), Étude Nr. 12 c-Moll „Revolution“ aus 12 Études op. 10 –
14 15
Nigel Kennedy, Rolf Bussalb u. a. Recital (Sony), Bach: Allegro (inspiriert von Sonata Nr. 2 BWV 1003) – 4:17
16
11
Christoph Prégardien, Michael Gees Schubert: „Winterreise“ D 911 (New Arts/ Challenge Classics), „Der Wegweiser“ – 4:00
12
Julia Fischer, Tonhalle orchester Zürich, David Zinman Dvořák, Bruch: Violinkonzerte (Universal/Decca), Bruch: Violinkonzert g-Moll op. 26, Adagio – 4:24
13
Mísia, Christina Pluhar, L’Arpeggiata Mediterraneo (EMI), Traditional: „Rosa Negra No Meu Peito“ (Portugal) – 2:41
17
Kristjan Järvi, MDR Leipzig Radio-Sinfonieorchester, Fauré Quartett Pocket Symphonies (Universal/DG), Helbig: „Gone“ – 3:23
18
Arcadi Volodos
Mompou (Sony), „Damunt de tu només les flores“ – 2:31
Helene Schneiderman, Götz Payer Makh tsu di Eygelekh: Yiddish Songs (Note 1/ Carus), Gebirtig: „Reyzele“ – 3:12
3:07
Hanna Devich
Night Book (New Arts/Challenge Classics), Einaudi: „The Crane Dance“ aus „Nightbook“ –
K KLASSI K Ludwig van Beethoven Die Violinsonaten
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Leonidas Kavakos, Enrico Pace Decca/Universal (3 CDs, 237 Min., 8/2011, 2 & 4/2012)
Im Booklet bezeichnet Leonidas Kavakos in einem kleinen Vorwort die zehn Violinsonaten Beethovens als „Parthenon“. Und einige Zitate daraus hat er gar als Motto für jede der drei CDs gewählt. Die ersten drei Sonaten sowie die „Frühlingssonate“ empfindet er als „Schrein des Wissens und der Weisheit“. Mit „Leben als Mission“ ist die Nr. 2 mit u. a. der „KreutzerSonate“ betitelt. Und gerade Beethovens letzte Sonate steht für Kavakos als eine „Weiterentwicklung als kompromisslose Bedingung für den Eintritt in eine neue Ära“. Wer sich dementsprechend auch ein wenig ehrfürchtig so seine Gedanken gemacht hat über das Sonaten-Konvolut, der baut zwangsläufig Erwartungshaltungen beim Hörer auf. Kann er all das wirklich deutlich machen? Von seinen bisherigen Einspielungen weiß man, dass Kavakos über das nötige manuelle und geistige Rüstzeug verfügt, um musikalische Wesenszüge zum Sprechen zu bringen. Doch den Worten sind jetzt kaum Taten gefolgt. Von Kavakos hat man zwar keine expressiv-romantische Deutung erwartet. Dass der stattdessen klassizistisch eingeschlagene Weg jedoch oftmals geradezu handzahm, zurückhaltend im Gestalterischen und damit spannungslos ausfällt, ist schon eine Überraschung. Das gilt nicht nur für das Dreierpaket op. 12, sondern be-
sonders für die „Frühlingssonate“ mit ihrem gediegenen (Mozart-) Charme. Der Fortschrittler Beethoven dagegen darf sich schon wegen des fehlenden nervösen Duktus nicht zu erkennen geben. Zusammen mit Pianist Enrico Pace bildet Kavakos ein Duo, das sich durchaus blendend versteht. Und auch die farbliche Variabilität und rhythmische Sorgfalt gehört zu den unbedingten Pluspunkten ihres Spiels. Nur endgültig ausgereizt haben sie diese allzu selten. Und wenn sie es doch wagen, bleibt es nur episodenhaft. In den ersten Takten der Solo-Violine im einleitenden Adagio sostenuto der „Kreutzer-Sonate“ arbeitet Kavakos in aller Schärfe die Nähe zu Bach heraus und zeigt sich auch im dramatischen Bewegungscharakter des Presto fulminant. Und warum Schubert den langsamen Satz der 10. Sonate so ungemein geschätzt hat, wissen Kavakos und Pace mit großem Leben und Atem zu bestätigen. Nur sind solche Glanzpunkte lediglich an einer Hand abzuzählen. Guido Fischer
Nigel Kennedy
Klassik-CD des Monats Nigel Kennedy Recital
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Nigel Kennedy, Rolf Bussalb, Yaron Stevi, Barbara Dziewiecka, Krzysztof Dziedzic, Sony, 88765447272, (59 Min., 12/2012)
Luigi Boccherini Stabat Mater et al.
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Amaryllis Dieltiens, Capriola di Gioia Aeolus/Note 1 (SACD, 68 Min., 8/2011)
Endlich wieder einmal eine Neueinspielung des herzzerreißend schönen „Stabat Mater“ von Luigi Boccherini, genauer gesagt der ersten Fassung dieses Kleinods in der Minimalbesetzung von einem Sopran plus Streichquintett. Und, wie erfreulich, es ist sogar eine ganz besonders gelungene Interpretation: Die belgische Sopranistin Amaryllis Dieltiens geht weitaus lockerer und souveräner mit dieser eigentlich ja ungeheuer dankbaren, aber aufgrund der teils unbequemen Lage doch auch fordernden Partie um als vor zehn Jahren Roberta Invernizzi. Letztere knödelte sich bei ihrer Einspielung mit „L’Archibudelli“ (Sony) teilweise recht mühsam durch die Partitur.