Leseprobe

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SM genauso seltsam oder normal ist wie die zehn beliebtesten Ko- pulationsstellungen .... einigen Bereichen, die das «SM-Handbuch» bereits abdeckt, sehr.
Leseprobe aus:

Ira Strübel, Kathrin Passig

Die Wahl der Qual

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

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Inhalt

Einleitung Ein kleiner, unterhaltsamer Defekt 1. Die zehn beliebtesten Irrtümer über Sadomasochisten 2. Es gibt nichts Schlöchtes, außer man möcht es Die Grundlagen 3. Wo hast du dir das denn eingefangen? Theorien zur Entstehung sadomasochistischer Neigungen 4. The System of Doctor Tarr and Professor Fether DSM-IV und ICD-10

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5. Dürfen die das? Die Rechtslage

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6. Nackte Fakten Statistik für Zahlenfetischisten

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7. Die schnelle Sadomaso-Nummer BDSM in den Medien

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8. Was bisher geschah Eine kurze Geschichte der SM-Subkultur

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9. Aus dem Nähkästchen Coming-out Rainer, Cecile, Mela

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10. www.wo-geht’s-denn-hier-zuden-perversen.de? BDSM im Internet

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11. Fast wie im richtigen Leben – BDSM-Treffen

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12. Schatz, schlägst du mich noch? SM und Partnerschaft

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13. Aus dem Nähkästchen Partnerschaft Johannes, Ursula

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14. Immer raus, was keine Miete zahlt Outing vor anderen

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15. Aus dem Nähkästchen Outing Ingo, Birgit

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16. In schlechter Gesellschaft SM-Partys und andere Lustbarkeiten

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17. Bitte recht unfreundlich Professioneller SM

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18. Aus dem Nähkästchen Profis Laura, Dominik, Michael

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19. Gender, Sex und andere Kleinigkeiten Wie Rollenklischees das Leben komplizieren

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20. Wenn ich groß bin, werd ich harmlos Bedenken, die man sich schenken kann

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Glossar

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Danksagungen

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Einleitung Ein kleiner, unterhaltsamer Defekt

Laut Max Goldt, an dem man sich in weltanschaulichen Fragen getrost orientieren darf, ist es «absolut Kokolores, aus einem kleinen, unterhaltsamen Defekt wie der Homosexualität einen ganzen Lebensstil zu destillieren, der sich schließlich doch nur in uniformer Kleidung (geknöpfte Jeans!), patzigem und vorlautem Reden und einer maßlosen Überschätzung von Sexualität äußert. Die kultische Überhöhung einer unbedeutenden Norm-Abweichung führt natürlich zwangsläufig dazu, dass alle individuellen Eigenschaften gegenüber dem Schwulsein verblassen …» Wir brauchen nur für «Homosexualität» «Sadomasochismus» einzusetzen und für «geknöpfte Jeans» «schwarze Sachen», dann erkennen wir uns und unsere patzigen und vorlauten Reden wieder. Leider sind Eltern, Partner, Psychologen, Gesetzgeber, Sexbuchautoren und Vermieter immer noch viel zu häufig der Meinung, es handle sich statt um einen kleinen, unterhaltsamen Defekt um einen großen Dachschaden. Wäre auf der Welt alles zufriedenstellend eingerichtet, dann bräuchten wir dieses Buch nur wegen seiner Illustrationen. Wir hätten schon im Sexualkundeunterricht der siebten Klasse erfahren, dass es solche und solche gibt. In unseren Aufklärungsbüchern und bei Doktor Sommer wäre nicht nur von Mann und Frau, die sich sehr, sehr lieb haben, die Rede gewesen, sondern auch von Tennissockenfetischen, Genderbending und Analverkehr. Es wäre uns selbstverständlich, dass sexuelle Vorlieben so unterschiedlich ausfallen wie musikalische, und wir würden uns für die einen nicht mehr schämen als für die anderen. – (Frau Passig wirft an dieser Stelle ein, ihr Musikgeschmack sei ihr schon 7

jetzt wesentlich peinlicher als ihre sexuellen Vorlieben. Als Nächstes möchte sie das Coming-out-Handbuch «Dylan-Fan – na und?» schreiben.) Vermutlich wird in zwanzig Jahren alles gut oder zumindest sehr viel besser sein, und dann werden wir in «Die Wahl der Qual» so gerührt und belustigt blättern wie heute im 1982 erschienenen Schwulenhandbuch «MännerLiebe», dessen Untertitel wir für dieses Buch entliehen haben. Bis dahin gibt es aber leider noch ein erhebliches Defizit an Informationen darüber, was denn diese Sadomasochisten eigentlich für welche sind. An dem Tag, an dem SM genauso seltsam oder normal ist wie die zehn beliebtesten Kopulationsstellungen, können wir getrost die Hände in den Schoß legen und dort sinnvoller beschäftigen als mit Öffentlichkeitsarbeit. Vorher gibt es aber noch einiges zu tun. Und weil das so ist, liegt nun die zweite Überarbeitung des Buches vor. An den Grundlagen hat sich nicht viel geändert, das wäre ja auch noch schöner. Aber ein paar Dinge sind doch anders: So haben wir uns die bisher aufgeführten Internetdienste einmal zur Brust genommen – und diejenigen, die inzwischen alt und runzlig geworden sind, durch neue, glänzende ersetzt. Und damit abgedruckte Links zu bestimmten Themen künftig nicht allzu schnell wieder ins Leere führen, berufen wir uns statt auf SM-spezifische Seiten jetzt überwiegend auf die Wikipedia, in der Hoffnung, dass deren weiterführende Links noch ein paar Jahre lang so zuverlässig gepflegt und aktualisiert werden. November 2008 Kathrin Passig Ira Strübel

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Die zehn beliebtesten Irrtümer über Sadomasochisten 1. Sadomasochisten sind krank. Nur, wenn sie sich eine Grippe einfangen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich Sadomasochisten, außer in ihren sexuellen Vorlieben, von anderen Menschen unterscheiden. 2. Sadomasochisten genießen Schmerzen. Viele Sadomasochisten können Schmerzen nichts abgewinnen. Ihre Spiele drehen sich um Macht, Unterwerfung und Demütigung. Und auch auf der anderen Seite gibt es nur wenige, die es nicht nur als Vorstellung oder Machtdemonstration, sondern unmittelbar erotisch finden, wenn man ihnen Schmerzen zufügt. Außerdem funktioniert das alles natürlich nur in einem sexuellen Kontext und nicht beim Zahnarzt. 3. Sadomasochismus ist Gewalt. Der Unterschied zwischen Gewalt und Gewaltdarstellung ist Sadomasochisten klarer als den meisten Filmkritikern. Sadomasochismus hat mit realer Gewalt ungefähr so viel zu tun wie Quake-Spielen gegen die Kollegen mit einem blutigen Massaker im Büro. 4. Es gibt Sadisten und Masochisten, und eines ist häufiger als das andere. Je nach untersuchter Subkultur wird mal die eine, mal die andere Rolle als die beliebtere beschrieben. Ein großer Teil der Sadomasochisten fühlt sich auf beiden Seiten wohl. 5. Die Ursache des Sadomasochismus liegt in … Über die Ursachen sadomasochistischer Interessen hat man bisher nicht sehr viel herausgefunden. Man kann aber wohl mit Sicherheit sagen, dass es die eine, alles erklärende Ursache nicht gibt. Zum einen fallen die individuellen Ausprä9

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gungen ganz unterschiedlich aus, zum anderen können auch äußerlich ähnliche Verhaltensweisen ganz verschiedene Hintergründe haben. Die Biographien und Erfahrungen von Sadomasochisten weisen keine Elemente auf, die allen gemeinsam wären. Sadomasochisten finden nur sehr schwer einen Partner. Sadomasochisten, die ihre Interessen geheim halten und mit niemandem darüber sprechen, haben es in der Tat nicht leicht. In der sadomasochistischen Subkultur dagegen findet so gut wie jeder Topf seinen Deckel. (Extreme Schüchternheit und haarige Warzen auf der Nase sind hier natürlich genauso hinderlich wie im Rest der Welt.) Man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass die Partnersuche auch für Menschen mit den gebräuchlichsten sexuellen Vorlieben nicht einfach ist. Es gibt nur wenige Sadomasochistinnen. Frauen spielen meist nur wegen des Geldes oder dem Freund zuliebe mit. Der Frauenanteil in der heterosexuellen SM-Subkultur liegt je nach Gruppe und Veranstaltung im Allgemeinen bei etwa einem Drittel. Und wer sich im eigenen alltäglichen Umfeld umsieht, wird feststellen, dass das der Verteilung bei den meisten sozialen Anlässen entspricht. Sadomasochismus wird von abgestumpften Leuten praktiziert, die alles andere schon ausprobiert haben. Viele Sadomasochisten wissen sehr früh, oft schon vor der Pubertät, sehr genau, was sie wollen. Das hohe Durchschnittsalter mancher SM-Gruppen liegt zum Teil daran, dass das Coming-out noch vor wenigen Jahren wesentlich schwieriger war als heute und erst nach entsprechend langem Zögern stattfand. Der übersättigte alte Lustmolch, der mit SM-Praktiken seine Impotenz zu beheben versucht, scheint eine Legende zu sein. Sadomasochismus stellt einen Ausgleich zu den Anforderungen des Alltags dar: Erfolgreiche Manager lassen sich nach Feierabend von der Domina erniedrigen, und frus10

trierte kleine Männer geben zu Hause vor der Ehefrau den großen Meister. Sadomasochistische Praktiken können diese angenehme Funktion unter anderem haben, müssen es aber keineswegs. Dominantes Auftreten im Alltag weist weder darauf hin, dass der oder die Betreffende auch im Bett dominant ist, noch kann man das Gegenteil daraus ablesen. Man sieht den meisten Leuten einfach nicht an, welche Seite sie bevorzugen. 10. Im Laufe der Zeit werden die Praktiken immer extremer und gefährlicher. Unausgelebte SM-Phantasien neigen wie alle sexuell stimulierenden Vorstellungen zu Abnutzungserscheinungen und müssen dann weiter ausgebaut werden. In der Praxis entdeckt man in SM-Beziehungen hin und wieder neue Spiele, die Spaß machen, aber von einer Sucht nach immer extremeren Spielweisen kann nicht die Rede sein.

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Wolfgang Herrndorf

Nach vierstündigem Verhör gestand der Warenhausdetektiv Edgar P. (37) aus F., als Kind seine Geschwister nicht selten ungerecht behandelt zu haben.

Beschwerden, die uns da treffen, wo es ganz unerotisch wehtut, haben wir hier schon mal vorweggenommen. Alle weiteren Kommentare hören wir uns unter [email protected] oder [email protected] geduldig an. Ich will gar nicht «normal» sein. Für mich ist SM düster, wild, anarchisch und amoralisch, und wenn wir ihn domestizieren, bleibt nur eine seelenlose, dem Massengeschmack angepasste 12

Hülle zurück. Ich stehe am äußersten Rand der Gesellschaft, und dort will ich auch bleiben. Dann solltest du besser nicht weiterlesen. Der Leidensdruck der Leute, die sich für unaussprechlich unnormal halten, ist uns wichtiger als der berechtigte Wunsch nach Distanzierung von der Banalität des Normalen. Wenn es dereinst ganz schlimm kommen sollte und man seine Eltern mit SM nicht mehr erschrecken kann, findest du sicher ein gemütliches neues Zuhause in irgendeiner anderen Underground-Bewegung, die sterben ja nicht aus. Leidensdruck, ich hör immer Leidensdruck. Was stellt ihr euch eigentlich alle so an? Mein eigenes Coming-out hat schließlich auch ohne sozialpädagogisches Wattebauschwerfen stattgefunden. Schön für dich. Nur funktionieren nicht alle anderen Menschen genauso wie du. Manche Leute gehen ihren SM-Interessen von Anfang an nach, ohne sich deshalb schlecht oder unsicher zu fühlen – oft ist das einfach Glückssache. Aber solange du nicht behaupten willst, Steuerberater seien überflüssig, nur weil du selbst keinen nötig hast, lass uns ruhig Wattebäuschchen werfen. Was ist, wenn meine Mutter dieses Buch bei mir findet? Da haben wir vorgesorgt: Den ursprünglichen Titel «Hilfe, Mama, ich bin pervers» haben wir ebenso verworfen wie den schwarzen Einband mit blutroter Frakturschrift. Und wenn sie doch vor der Zeit draufkommt … dieses Buch lässt sich auch prima verschenken. Und wo sind die Sicherheitshinweise? Dieses Buch ist kein Technikratgeber – was hier nicht steht, steht in Matthias Grimmes «SM-Handbuch». Wir haben uns in einigen Bereichen, die das «SM-Handbuch» bereits abdeckt, sehr kurz gefasst. Man muss das Rädern ja kein zweites Mal erfinden.

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Ich bin eine Frau / ein Mann – ihr nehmt in vielen Formulierungen gar keine Rücksicht auf mein Geschlecht! Wir haben einen Lesbarinnenkeitsfetisch. Und deshalb haben wir uns auf jeweils ein grammatisches Geschlecht beschränkt. Wo uns das geschlechtsneutrale Formulieren zu umständlich war, haben wir aus naheliegenden Gründen eine weibliche, heterosexuelle Perspektive gewählt. Wenn du denkst, dass aufgrund der vereinfachten Sprache unser Buch die Druckerinnenschwärze nicht wert ist, hast du leider € 8,95 für die schlechte Sache ausgegeben.

Zu den Interviews Die meisten für dieses Buch interviewten Personen waren zwischen 19 und 35 Jahre alt. Manche Beiträge stammen ursprünglich aus Mailinglisten und Chats; die Autoren und Autorinnen sind uns aber persönlich bekannt, es handelt sich also nicht um bärtige Fünfzigjährige, die sich als blutjunge Blondinen ausgeben. Nicht alle Beiträge, die mit dem gleichen Namen gezeichnet sind, stammen von der gleichen Person – zum Beispiel haben wir mehrere Birgits, Sonjas und Andreas interviewt. Die unterschiedlichen SM-Ausdrücke in den Interviews haben wir nicht an eine einheitliche Sprachregelung angepasst, sondern unverändert gelassen; was sie bedeuten, kann man im Zweifelsfall im Glossar nachlesen.

Lieblingsreaktionen unserer Umgebung auf die Bekanntgabe des Buchthemas: 1. 2. 3. 4. 5.

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Nein, ernsthaft – worüber schreibst du? Nimmt dich das sehr mit? Echt? Kennst du solche Leute? Echt? Ist ja pervers. SM. Cool. (Pause.) Und was heißt das?

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Es gibt nichts Schlöchtes, außer man möcht es Die Grundlagen «Nicht im Wörterbuch: Sadomasochist. Ersetzen durch: Sachverständiger?» MICROSOFT WORD

Im Folgenden werden ein paar Begriffe und Sachverhalte erklärt, die allen Dingen, von denen dieses Buch berichtet, zugrunde liegen. Eine solche Begriffsklärung ist vor allem deshalb notwendig, weil das Thema Sadomasochismus mit einer Fülle an seltsamen Vorurteilen besetzt ist. Keine Angst – das hier ist kein Schulbuch, und es gibt auch keinen Vokabeltest. Wem die Grundbegriffe bereits vertraut sind, der darf einfach weiterblättern.

Sadomasochismus – wo der Begriff herkommt und was daraus geworden ist

Der Begriff Sadomasochismus ist eine Zusammensetzung aus den Begriffen Sadismus (nach dem Philosophen Marquis de Sade) und Masochismus (nach dem Autor Leopold von Sacher-Masoch). Beide Begriffe hat Richard von Krafft-Ebing in seiner «Psychopathia sexualis» geprägt – ein Umstand, der für Herrn SacherMasoch, der zu diesem Zeitpunkt noch lebte, eher unangenehm war, denn eigentlich wäre er lieber als erfolgreicher Autor und nicht als Namensgeber einer Krankheit in die Geschichte eingegangen. Sacher-Masochs Sohn soll häufig gescherzt haben, seinem Vater verdankten wir den Sacherismus und die Masoch-Torte. Krafft-Ebing beschrieb die Neigungskonstellationen der von 15

ihm untersuchten Patienten wie folgt: Sadisten sind Menschen, denen das Zufügen von Schmerz Lust bereitet, während Masochisten Lust dadurch empfinden, dass ihnen Schmerz zugefügt wird. Bis heute ist diese erste Beschreibung der Kern aller Klischees und Mythen, die sich um den Sadomasochismus ranken. Wie das bei den meisten Mythen so ist, ist dieser Kern nicht gänzlich unsinnig – aber leider eben nur ein Teil der wesentlich komplexeren Wahrheit. Denn die Vorlieben der verschiedenen Sadomasochisten sind keineswegs auf die Lust am Zufügen und Empfangen von Schmerzen reduziert. Fesseln, Rollenspiele und unzählige andere Spielarten gehören ebenso in diesen Bereich wie vielfältige Varianten und Kombinationen von Vorlieben. Manche Sadomasochisten können dem Spiel mit dem Schmerz überhaupt nichts abgewinnen, andere finden leichte Schmerzen stimulierend, wieder andere ziehen Lust aus Praktiken, die für Außenstehende lächerlich, unangenehm oder ganz und gar unverständlich aussehen. Einige mögen Kuscheln mit Festbinden, wieder andere bevorzugen Spiele, deren Schauplatz eher der Kopf als das Schlafzimmer ist. Auch wenn es häufigere und weniger häufigere Vorlieben gibt, ist doch kein Sadomasochist wie der andere, und Spiele, die von außen ähnlich aussehen, können für die Beteiligten ganz und gar unterschiedliche Hintergründe haben. Allgemein könnte man sagen, dass bei Sadomasochisten Empfindungen, die im Alltag eher unerwünscht sind, in einem sexuellen Kontext zur Erregung beitragen. Das können körperliche Schmerzen sein, aber auch Scham, das Gefühl, ausgeliefert oder machtlos zu sein, Unterwürfigkeit, Ekel oder Aggressivität. Im Alltag versucht wohl fast jeder Mensch, Sadomasochist oder nicht, diese Situationen und Gefühle zu meiden, denn die meisten davon haben beim Kneipenabend mit Freunden oder beim Essen mit dem Chef eher nichts zu suchen. In den sexuellen Phantasien und Praktiken von Sadomasochisten aber spielen sie eine große Rolle. Das in den Medien kolportierte Klischee von der peitschen16

schwingenden Lederfrau wird der Vielfalt sadomasochistischer Spielarten jedenfalls nicht gerecht. Aber gerade diese Vielfalt macht es schwierig, eine Definition zu finden, die alle Varianten berücksichtigt. Natürlich könnten wir hier bei der Schilderung sadomasochistischer Verhaltensweisen jedes Mal schreiben: «Dies gilt für Bondage-Fans ebenso wie für Flagellanten und Rollenspieler, dabei insbesondere Pet-Player, für Masochisten, Devote und Switcher …» Weil das dann aber doch ein wenig umständlich ist, bleiben wir bei den allgemeinen Themen bei der Bezeichnung «Sadomasochisten» oder, etwas legerer, «SMler». Wo es sich ohne Verrenkungen einrichten lässt, verwenden wir den an sich sinnvolleren Überbegriff «BDSM» für «Bondage, Discipline, Dominance, Submission, Sadomasochism», also Fesseln, Erziehungsspiele, Machtspiele und Sadomasochismus.

Sadomasochisten haben ihre Regel: Safe, Sane and Consensual

Die Formulierung Safe, Sane and Consensual – «sicher, mit gesundem Menschenverstand und einvernehmlich» – wurde Anfang der achtziger Jahre in den USA geprägt und hat sich seither ziemlich flächendeckend durchgesetzt, um eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner aller SM-Aktivitäten zu beschreiben. SSC ist so etwas wie ein minimaler Satz an Regeln, dem alle sadomasochistischen Interaktionen folgen, so unterschiedlich sie auch sonst aussehen mögen. Dabei gibt es natürlich durchaus Grauzonen und individuelle Unterschiede in der Auslegung. «Safe» kann den Verzicht auf alle Praktiken bedeuten, die ein größeres Gesundheitsrisiko mit sich bringen als Sex ohne SM. Andere legen den Begriff weiter aus – so ist auch Sportklettern zum Beispiel riskanter als der Alltag, geht aber mit so hohem Lustgewinn einher, dass Kletterer dieses höhere Risiko bereitwillig in Kauf nehmen. Wem die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten feh17

len, das Risiko einzuschätzen und so gering wie möglich zu halten, der sollte sowohl vom Klettern als auch vom SM die Finger lassen, bis er jemanden gefunden hat, der ihm diese Grundlagen beibringt. Mit «sane» ist meist «gesunder Menschenverstand» gemeint, Zurechnungsfähigkeit und die Fähigkeit, Phantasien von der Realität zu unterscheiden. In der Praxis führt das beispielsweise dazu, dass es Partys gibt, auf denen sämtliche Drogen einschließlich Alkohol tabu sind, weil schon eine leichte Vernebelung des Urteilsvermögens die Abschätzung der möglichen Folgen erschweren kann. Wer schon einmal beschwipst in dunklen Ecken mit dem besten Freund des Geliebten geknutscht hat, kann sich in etwa vorstellen, wovon die Rede ist. «Consensual» bedeutet, dass die Einwilligung des Bottoms in das, was geschehen soll, unabdingbar ist und der Top seine Wünsche und Grenzen zuverlässig respektieren wird. Die Beteiligten stecken vor dem Spiel den Rahmen ab, innerhalb dessen gespielt werden soll. Bevor man zur Untat schreitet, vereinbaren Top und Bottom meist ein Safeword oder Codewort. Das Safeword ermöglicht es dem Bottom, dem Top in Notfällen das Signal zum sofortigen Aufhören zu geben, ansonsten aber nach Herzenslust «Nein!», «Gnade!» und «Aufhören!» zu schreien, wenn das zu seiner Erregung beiträgt (und die Nachbarn nicht protestieren). Auch wenn man auf einer Party miteinander spielt und einander zu wenig kennt, um subtilere Anzeichen richtig zu deuten, ist ein Safeword in jedem Fall von Vorteil. Gebräuchlich ist «Mayday», es bleibt aber jedem überlassen, stattdessen «Schneckenschere» oder den Mädchennamen der Großmutter zu wählen. Hauptsache, das Wort ist ungewöhnlich genug, um im Spiel aufzufallen. Ob das Safeword jemals gebraucht wird oder nicht, hängt nicht davon ab, wie erfahren die Beteiligten sind oder wie viel Zeit vorher ins Gespräch investiert wurde.

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