Aragon, Louis ELSAS AUGEN LES YEUX D'ELSA

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LES YEUX D'ELSA. (frz.; Ü: Elsas Augen). Gedichtsammlung von Louis Aragon. Die. Gedichte entstanden 1940-1942 im nichtbesetzten Frankreich und.
Aragon, Louis ELSAS AUGEN LES YEUX D’ELSA (frz.; Ü: Elsas Augen). Gedichtsammlung von Louis Aragon. Die Gedichte entstanden 1940-1942 im nichtbesetzten Frankreich und in der Schweiz und wurden einzeln veröffentlicht, vermehrt um vier Artikel in Vorwort und Anhang als Sammlung 1942. - Wie ein Jahr zuvor Crève-cœur (Herzeleid), Les bons voisins (Die guten Nachbarn) und Les pénitents (Die Bußfertigen) und weitere Gedichtbände in den folgenden Jahren (z. B. Le musée Grévin, 1943; 33 sonnets composés au secret, 1944), ist die Sammlung Les yeux d’Elsa Dichtung der Résistance. Krieg, Niederlage und Okkupation sind stets gegenwärtig und werden in immer neuen Anspielungen berührt. In der Evokation der vertrauten Landschaften, der geschichtsträchtigen Orte (Plus belle que les larmes) und der nationalen Legenden (Lancelot, Richard Cœur-deLion etc.) beschwört Aragon ein Heimatgefühl, das doch von Trauer und ironischer Verzweiflung, vom Gefühl der Entfremdung und des Exils überschattet bleibt. Persönliches und nationales Schicksal verfließen, die Okkupation wird als Heimatverlust, als Verlust der eigenen Identität erlebt: „Man ist nicht mehr zu Hause, selbst in seinem Herzen / o mein Land, ist es noch mein Land . . . „ („On n’est plus chez soi même dans son cœur / O mon pays est-ce bien pays pays . . .“). Neben Trauer und ohnmächtiger Passivität stehen schließlich die versteckten Anspielungen auf die Résistance: verschlüsselte, indirekte Aufrufe zu Revolte und Widerstand („Paris qui n’est Paris qu’arrachant ses pavés . . . „ - „Paris, das nur im Hagel der

Pflastersteine Paris ist“) und provozierende Vorwegnahme der zukünftigen Freiheit. Auch in den begleitenden theoretisierenden Artikeln stellen Anspielungen und Doppelsinn eine zweite Sinnebene her, deren eigentliches Thema das Schicksal Frankreichs nach der Niederlage ist: Der Titel des Vorworts (Arma virumque cano) nimmt nicht nur auf Vergil Bezug, sondern auch auf die historische Situation; Überlegungen zur Verskunst und „réinvention du langage poétique“, zu Metrik und Strophenform, zur Neudefinition der Reimgeschlechter und Erweiterung der Reimmöglichkeiten durch Ohrenreim und rime enjambée (Arma virumque cano; La rime en 1940) bezeugen nicht nur die Weiterentwicklung eines ehemaligen Surrealisten, seine Suche nach einer neuen, nachsurrealistischen Poetik, sondern auch seine Suche nach der Kontinuität der nationalen Kultur. Und der Exkurs über die Dichtung des französischen Hochmittelalters (La leçon de Ribérac ou L’Europe française) umspielt die Vorstellung der nationalen Einheit, suggeriert die überragende Rolle und den missionarischen Auftrag der französischen Kultur in der Vergangenheit („cet orgueil immense d’envahir poétiquement l’Europe . . . „ - „dieser ungeheure Stolz einer dichterischen Eroberung Europas . . . „) und macht sie zum Zeichen für die Gegenwart. Daß der Gedichtband durch Titel und einzelne Gedichte (Les yeux d’Elsa, Cantique à Elsa) als Liebeslyrik gekennzeichnet ist, bedeutet keinen Bruch im Gesamtcharakter. Wie der Kommunist Aragon seine - legendäre - Liebe zu Elsa Triolet immer auch als Vorahnung menschlicher Beziehungen in einer zukünftigen, sozial befreiten Gesellschaft verstanden wissen will (Elsa, 1959; Le fou d’Elsa, 1963), so wird sie dem Patrioten Aragon zum Symbol einer Heimat, die sich Okkupation und Zerstörung entzieht und noch in der Demütigung die Vorahnung künftiger Freiheit enthält. Für den ehemaligen Dadaisten und Surrealisten, der seit 1927 Mitglied der Kommunistischen Partei war und es darüber zum Bruch

mit André Breton hatte kommen lassen (1931), boten die Kriegsjahre zum zweitenmal die Möglichkeit eines konkreten, politischen Engagements. Indem in der Situation der Résistance die Literatur Worte fand für das Trauma der Niederlage und des Exodus, indem sie die Angst bewußtseinsfähig und die Trauer aussprechbar machte, verließ sie den „elfenbeinernen Turm“ sozialer und ästhetischer Exklusivität und fand ein neues, breiteres Publikum. Erst in dieser Situation (in der General de Gaulle mit tränenerstickter Stimme Gedichte des Kommunisten Aragon über Radio Algier verlesen hat) wurden Dichter wie Aragon und Éluard im öffentlichen Bewußtsein zu den großen Gegenwartslyrikern Frankreichs, als die sie noch heute gelten. R.W. Prof. Dr. Reinhold Wolff

AUSGABEN: Neuchâtel 1942. - NY 1943. - Paris 1945. - Paris 1960 (in Poésies. Anthologie 1917 à 1960; Einf. J. Dutourd). - Paris 1959 (Elsa). - Paris 1963 (Le fou d’Elsa). - Paris 1964 (Il me n’est Paris que d’Elsa). - Paris 1966. - Paris 1968 [zus. m. La Diane française].

ÜBERSETZUNGEN: Richard Löwenherz, C. Mor v. Weber (in Der Zwiebelfisch, 1946, Nr. 6). - Elsas Augen, ders. (in Die Besinnung, 2, 1947). - Dass., L. Kornell (in Lancelot, 6, 1951, H. 29). - Preislied auf Elsa, dies. (ebd.).

LITERATUR: F. J. Carmody, The Sources of A.’s War Poetry, 19391942 (in Books Abroad, 35, 1961, S. 330 -334). - B. Lecherbonnier, „Le cycle d’Elsa“ d’A., Paris 1974. - P. Gardel, A., lecteur des troubadours. Emprunt et déplacement d’une mythe (in Mythes, images, représentation, Hg. J. M. Grassin, Paris 1981, S. 269-277). - R. Lassalle, La poésie médiévale dans l’œuvre critique et dans l’œuvre poétique d’A. (in Licorne, 6,

1982, S. 195-209). - C. A. Tabart, „Les yeux d’Elsa“, étude de texte (in L’Ecole des Lettres, 15. 10. 1982, S. 23-28). - M. Adereth, A. The Resistance Poems: „Le Crève-Cœur“, „Les Yeux d’Elsa“ and „La Diane française“, Ldn. 1985. - W. Calin, The Poet’s Poet. Intertextuality in L. A. (in Symposium, 40, 1986, S. 3-15).

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