Das siebte Kreuz - Yad Vashem

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Aufbau-Verlag. Das siebte Kreuz. Anna Seghers. Später erzählte einer von diesem Morgen: „Auf uns Gefangene machte die Einlieferung. Wallaus ungefähr  ...
Das siebte Kreuz Anna Seghers Später erzählte einer von diesem Morgen: „Auf uns Gefangene machte die Einlieferung Wallaus ungefähr einen solchen Eindruck wie der Sturz Barcelonas oder der Einzug Francos in Madrid oder ein ähnliches Ereignis, aus dem hervorzugehen scheint, daß der Feind alle Macht der Erde für sich hat. Die Flucht der sieben Leute hatte für alle Gefangenen die furchtbarsten Folgen. Trotzdem ertrugen sie den Entzug von Nahrung und Schlafdecken, die verschärfte Zwangsarbeit, die stundenlangen Verhöre unter Schlägen und Drohungen mit Gelassenheit, ja zuweilen mit Spott. Unser Gefühl, das wir nicht verbergen konnten, reizte die Peiniger noch mehr. So stark empfanden die meisten von uns diese Flüchtlinge als einen Teil von uns selbst, daß es uns war, als seien sie von uns ausgeschickt. Obgleich wir nichts von dem Plan gewußt hatten, kam es uns vor, etwas Seltenes sei uns gelungen. Vielen von uns war der Feind allmächtig vorgekommen. Während die Starken sich ruhig einmal irren können, ohne etwas zu verlieren, weil selbst die mächtigsten Menschen noch Menschen sind – ja, sogar ihre Irrtümer machen sie nur noch menschlicher -, darf sich, wer sich als Allmacht aufspielt, niemals irren, weil es entweder Allmacht ist oder gar nichts. Wenn ein noch so winziger Streich gelang gegen die Allmacht des Feindes, dann war schon alles gelungen. Dieses Gefühl schlug in Schrecken um, ja bald in Verzweiflung, als man einen nach dem andern einbrachte, verhältnismäßig rasch und, wie es uns vorkam, mit einer höhnischen Mühelosigkeit. In den zwei ersten Tagen und Nächten hatten wir uns gefragt, ob sie denn auch den Wallau erwischten. Wir kannten ihn kaum. Er war nur nach seiner Einlieferung ein paar Stunden bei uns gewesen, dann war er gleich wieder zum Verhör gebracht worden. Wir hatten ihn zwei- oder dreimal nach solchen Verhören gesehen, ein wenig taumelnd, eine Hand gegen den Bauch gepreßt, mit der anderen Hand machte er zu uns hin eine winzige Bewegung, als wollte er ausdrücken, daß das alles nichts Endgültiges zu bedeuten hätte und daß wir uns trösten sollten. Wie dieser Wallau jetzt auch eingefangen war und zurückgebracht wurde, da weinten manche wie Kinder. Wir wären jetzt alle verloren, dachten wir. Man würde den Wallau jetzt auch ermorden, wie man alle ermordet hatte. Gleich im ersten Monat der Hitlerherrschaft hatte man Hunderte unserer Führer ermordet, in allen Teilen des Landes, jeden Monat wurden welche ermordet. Teils wurden sie öffentlich hingerichtet, teils in den Lagern zu Ende gequält. Die ganze Generation hatte man ausgerottet. Das dachten wir an diesem furchtbaren Morgen, und wir sprachen es auch aus, wir sprachen es aus zum erstenmal, daß wir, in solchem Maß ausgerottet, in solchem Maß abrasiert, ohne Nachwuchs vergehen müßten. Was beinahe nie in der Geschichte geschehen war, aber schon einmal in unserem Volk, das Furchtbarste, was einem Volk überhaupt geschehen kann, das sollte jetzt uns geschehen: ein Niemandsland sollte gelegt werden zwischen die Generationen, durch das die alten Erfahrungen nicht mehr dringen konnten. Wenn man kämpft und fällt und ein anderer nimmt die Fahne und kämpft und fällt auch, und der nächste nimmt sie und muß dann auch fallen, das ist ein natürlicher Ablauf, denn geschenkt wird uns gar nichts. Wenn aber niemand die Fahne mehr abnehmen will, weil er ihre Bedeutung gar nicht kennt? Da dauerten uns diese Burschen, die Spalier standen zu Wallaus Empfang und ihn bespuckten und anstierten. Da riß man das Beste aus, was im Lande wuchs, weil man die Kinder gelehrt hatte, das sei Unkraut. All die Burschen und Mädel da draußen, wenn sie einmal die Hitlerjugend durchlaufen hatten und den Arbeitsdienst und das Heer, glichen den Kindern der Sage, die von Tieren aufgezogen werden, bis sie die eigene Mutter zerreißen.“

Auszug aus: Seghers, Anna: Das siebte Kreuz. Aufbau-Verlag, Berlin 1953. S. 152-154.

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