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lich, weil: In Südtirol ist wenig Platz. ... Jedenfalls: Niederösterreich ist für mich genauso aben- .... Adoptivvater, dem ich in „Kein Platz für Idioten“ mit der Figur.
Bühne

„Ich bin ein unglaubliches Glückskind.“ Der Dramatiker Felix Mitterer über seine „Tatort“-Drehbücher, die schwierigen Stoffe, die ihn suchen, die Heimat Tirol und die Gründe, warum er jetzt nach Niederösterreich übersiedelt ist. interview : T homas T renkler F otos : R ita N ewman

morgen: Sie lebten fünfzehn Jahre lang in Irland. Was hat Sie jetzt bewogen, ins Weinviertel zu ziehen? Felix Mitterer: Ich wollte schon länger weg. Wenn man erst mit knapp 50 in ein anderes Land geht, wird man nicht mehr heimisch. Allein schon wegen der Sprache. Jahrelang hab ich im Internet gesucht. Ich fing mit Südtirol an. Aber das war vergeblich, weil: In Südtirol ist wenig Platz. Und die Bayern haben sich schon früher eingekauft. Jede Ruine kostet eine Million. Also hab ich anderswo weitergesucht, in der Steiermark, dann in ­Niederösterreich. Ich wusste nur: Am Land musste es sein. Und dann stießen Sie auf Ravelsbach bei Maissau. Ein Weinlesehof vom Stift Melk. Er war ganz anders, als ich glaubte. Im Internet hat es so ausgeschaut, als wär er total in der Einsamkeit. Er liegt aber mitten im Dorf. Ganz ähnlich wie in ­Irland: Wir hatten 100 Meter zum Pub. Und auch hier hat man nicht weiter zum Wirtshaus. Das Haus liegt am Steilhang, im Erdgeschoß sind nur Ställe und Keller, im ersten Stock die Wohnräume. Wir haben im Dreck Fenstergitter aus 1530 gefunden. Alle 100 Jahr wurde es umgebaut, 1776 das letzte Mal. Es hat einen Charakter. In Ihre Heimat wollten Sie nicht? Vielleicht hatte ich eine Scheu, nach Nordtirol zurückzugehen. Obwohl ich jedes Jahr im Sommer bei den Volksschauspielen in Telfs bin. Jedenfalls: Niederösterreich ist für mich genauso abenteuerlich wie Irland. Ich kannte es nicht. Ich bin ja kein Reisender. Ich finde diese Ortschaften so schön, Eggenburg zum Beispiel. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. In Tirol wurden die Dörfer vom Massentourismus kaputt gemacht, auch was die Architektur betrifft. Und ich bin draufgekommen: In Niederösterreich sind Künstler sehr willkommen. Warum sind Sie überhaupt nach Irland gegangen? Die Leute sagten damals, ich wär wegen der Steuer rübergegangen. Aber ich hab das nicht einmal gewusst. Die musikalische und erzählerische Begabung der Iren: Das hat mich fasziniert.

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Es war einfach das Bedürfnis, einmal rauszugehen, wenn man schon frei ist. Eben ein Bergmensch, der einmal an die Küste will. Literarisch haben Sie Irland aber nicht verarbeitet – abgesehen vom Theaterstück „Die Beichte“, das von der Berichterstattung über den sexuellen Missbrauch an Kindern inspiriert wurde. Ich wollte Tagebuch führen, aber dann war ich zu faul dazu. Für einen „Tatort“ hab ich eine wahre Geschichte, die in Irland passiert ist, nach Tirol verlegt. Das hat wunderbar gepasst. Das war mit ein Grund zurückzukehren: Ich hab gemerkt, ich bin doch in Österreich hängengeblieben. Österreich interessiert mich thematisch. Und dann beginn ich, die irischen Geschichten nach Österreich zu verlegen? Das kam mir sonderbar vor. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie seit 1999 „Tatort“Dreh­bücher schreiben? Manche Stoffe eignen sich besser fürs Theater, andere besser fürs Fernsehen. Ich hatte ein paar Geschichten, alles wahre Geschichten, die ich an die Leute bringen wollte. Ich hatte aber Angst, viele schalten sofort um. Und da fragte ich mich: „Wie wäre es, wenn man daraus einen Krimi macht? Einen Krimi abseits der Städte?“ Das war noch vor dem „Bullen von Tölz“. ORF-Intendantin Kathi Zechner sprang darauf an. Einen neuen Inspektor konnte sie aber nicht unterbringen. So kam sie auf die Idee, ­Harald Krassnitzer als Wiener „Tatort“-Kommissar einmal im Jahr aufs Land zu schicken. Das war eine tolle Idee. Denn ich verpackte den Minarettstreit in Telfs oder die Schwarzarbeiter aus Mazedonien in einen Krimi – und auf einmal hatte ich in Deutschland sieben, acht Millionen Zuschauer. Ohne spannende Krimi-Verpackung wäre das nicht möglich.

Die Schauspielerin Dorothea Neff hat ihre Freundin Lilli Wolff die NS-Zeit über versteckt. Ja, eine wahre Geschichte. Ich fragte mich: Wie soll das gehen? Und man sagte mir: „Vergiss die Geschichte, schreib einfach ein spannendes Theaterstück!“ Ja, eh, aber Entschuldigung: Ich fühl mich der Frau Neff gegenüber verpflichtet, der Frau Wolff gegenüber auch. Also versuchen, die Wahrheit zu erzählen oder wie es wirklich war, und dass es trotzdem spannend bleibt: Das war gerade in diesem Fall ganz besonders schwierig. Ich hatte Angst, dass es eine fade Nummer wird. Aber die Leute kommen. Ich wundere mich. Und freu mich natürlich. Zumeist schreiben Sie ernste Stücke, Sie können auch sehr ­witzig sein – siehe die „Piefke-Saga“ und „Die Weberischen“. Was ist Ihnen lieber? Ich möchte am liebsten nur Komödien schreiben. Immer wieder denk ich mir: Jetzt hab ich meine Tragödien wirklich satt. Aber

dann kommt wieder ein Stoff daher, aus dem man beim besten Willen keine Komödie machen kann. Ich bin nicht wirklich begabt für die Komödie. Wenn mir eine Komödie gelingt, bin ich wahnsinnig froh. Eine Komödie zu schreiben ist viel schwerer. Ganz bestimmt. Eignet sich jeder Mensch, jedes Ereignis zur Dramatisierung? Ja, du kannst über jeden Menschen ein Stück machen, ohne Ausnahme. Und wie entscheiden Sie, mit welchem Thema Sie sich beschäftigen? Es springt mich an. Zum Beispiel diese Missbrauchsgeschichte in den kirchlichen Heimen in Irland. Ich dachte mir: Darüber muss man schreiben. Da kommt diese Empörung dazu. Und jetzt Wilhelminenberg: Ich bin so froh, dass die Menschen endlich das Schweigen gebrochen haben. Dort war offenbar noch das ganze

Müssen Sie auf irgendwelche Vorgaben Rücksicht nehmen? Da ich in Irland war, hab ich die „Tatorte“ eigentlich nie gesehen. Ich wusste gar nicht, welche Rolle der Krassnitzer genau verkörpert. Irgendwann haben sie mir gesagt, dass er jetzt eine Tochter hat. Ob ich sie nicht einbauen könne. Und das hab ich dann auch zweimal getan. Heuer gab es aber keinen „Tatort“. Ja, weil ich durch die Übersiedelung aus dem Gleichgewicht kam. Ich hab nicht geliefert. Aber nächstes Jahr gibt es wieder einen. Eine politische, ziemlich heiße Geschichte, die zwischen Süd- und Nordtirol spielt. Kaum ein anderer Autor beschäftigt sich derart intensiv mit der Geschichte Österreichs. Wie schaffen Sie es, aus ein paar histo­ rischen Fakten ein plausibles, vielschichtiges Theaterstück oder ein Drehbuch zu machen? Das ist eine Hundsarbeit. Ich recherchiere eine Ewigkeit, glaube immer, ich weiß noch immer nicht genug. Bis man mir sagt: „Jetzt tu weiter, schreib endlich das Stück, wir brauchen es!“ Und dann muss ich mindestens 80 Prozent des Materials wegschmeißen. Denn sonst wird das Stück ein Geschichtslehrbuch. Und man muss versuchen, die Geschichte über Menschen zu ­erzählen. Das ist manchmal wahnsinnig schwierig. Wie zuletzt am Volkstheater mit „Du bleibst bei mir“.



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„Man kann über jeden Menschen ein Stück machen, ohne Ausnahme.“

beschäftigen. Das wird nicht das letzte Stück über die Nazizeit gewesen sein. Das geht einfach nicht anders. Wie kamen Sie eigentlich zur Schriftstellerei? Die war Ihnen ja nicht unbedingt in die Wiege gelegt. In die Wiege schon, aber nicht ins Milieu. Ich bin ein unglaub­ liches Glückskind.

Ein alter Weinlesehof bei Maissau wird Felix Mitterers neues Domizil. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil: „Es sind nur 100 Meter zum Wirtshaus.“

Nazi-Gedankengut drin: Todesspritze geht zwar nicht mehr, aber die Mädchen kann man behandeln, wie man will, die sind eh Abschaum, der letzte Dreck. Das find ich so unglaublich schlimm. Egal, ob „Sibirien“ oder „Kein Platz für Idioten“: Woher kommt Ihre Sympathie für Unterdrückte, für Außenseiter? Hat das mit Ihrer eigenen Kindheit zu tun? Ich hab keine Ahnung. Mir ist es sogar unangenehm, dass ich als moralische Instanz angesehen werde, besonders in Tirol. Wenn die Leute im Sommer zu mir sagen: „Komm endlich wieder her, wir brauchen dich!“, dann ist mir das zu viel. Eine moralische Instanz: Ich bin das überhaupt nicht. Ich tu nur meine Arbeit. Es ist vielleicht so: Die Themen suchen sich mich aus. Sie sagen: „Schreib mich!“ Und manchmal sag ich: „Lass mich in Ruh, ich mag nicht!“ In den 80er-Jahren hat mir ein Lehrer aus einem ­Tiroler Dorf geschrieben, dass er Aids hat. Er würde so gerne mit mir reden, und vielleicht kann ich was schreiben. Ich dachte mir: Was ist das jetzt? Hab ich eine Liste mit sozialen Themen, und ich hake jetzt eines nach dem anderen ab? Ich hab nicht geantwortet, aber er hat nicht aufgehört, mir zu schreiben. Irgendwann rief ich ihn an. Seine Mutter hob ab. Sie sagte: „Jetzt ist er tot.“ Ich hatte ein entsetzlich schlechtes Gewissen. Er hätte wahrscheinlich jemanden neben seiner Mutter gebraucht, mit dem er einfach nur reden kann. Und dann hab ich eben das Stück „Abraham“ geschrieben – aufgrund dessen, was mir die Mutter über ihn erzählt hat. Ist nicht auch „Die Frau im Auto“ so ähnlich entstanden? Ja, mich schreiben immer wieder Leute an, denen Unrecht ­widerfahren ist. Ich soll dann als Schriftsteller die letzte Ret-

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tung sein, einer, der alles wieder gut macht und Rache übt. Im Sommer 1982, damals wurde in Telfs gerade „Stigma“ aufgeführt, kam ein Schmied zu mir. Er sagte: „Wen interessiert denn das? Meine Mutter erleidet gerade jetzt eine Passion: Sie sitzt seit Jänner im Auto und macht einen Hungerstreik. Komm und schau dir das an!“ Ich bin in das Dorf gefahren. Sie ist wirklich im Auto gesessen, sie war fast nur mehr ein Skelett. Man wollte ihr das Haus wegnehmen, weil sie die Kanalanschlussgebühr nicht zahlte. Aber sie wollte gar nicht an den Kanal angeschlossen werden. Ich hab trotzdem nicht darüber geschrieben. Denn ich wusste, es geht nicht, nur den Blickwinkel des Schmieds wiederzugeben. Aber das hat er von mir erwartet. Ich hab dann das „Profil“ eingeschaltet und den Landeshauptmann. Erst Jahre später schrieb ich das Stück. Ich erklärte dem Mann, dass es verschiedene Sichtweisen gibt, dass er mit seiner Sturheit mit Schuld hatte an dem, was passiert ist. Er sagte: „Okay.“ Aber mit dem Stück war er dann natürlich nicht zufrieden. ­Obwohl ich es nur für ihn und seine Mutter geschrieben hab. Etwas ­wieder gut machen: Das kann ich einfach nicht. Und diese ­Anforderung belastet mich auch. Aber Sie nehmen solche schwierigen Herausforderungen auch gerne an. Das Stück über Dorothea Neff war ein Auftragswerk. Sie hätten ja ablehnen können – mit dem Argument, dass Sie nach „Kein schöner Land“ und „In der Löwengrube“ nicht schon wieder ein Stück über die NS-Zeit schreiben wollen. Ich fand es aber so toll, dass ein Theater einem ehemaligen ­Ensemblemitglied ein Stück widmen will. Und die Dorothea Neff ist es wert gewesen, die Lilli Wolff ist es auch wert gewesen. Ich bin 1948 geboren. Mit dem Schweigen über die Nazizeit ­aufgewachsen, werde ich mich bis an mein Lebensende damit

Ihre Mutter gab Sie als Neugeborenes einer Freundin. Meine Mutter war Kleinbäuerin in Achenkirch, sie hatte eine winzige Keusche. Der Mann ist im Krieg geblieben. Wie viele Kinder hatte sie? Elf, mindestens. Sehr kompliziert. Und dann bekam sie schon wieder Kinder, am 6. Februar ’48 Zwillinge. Meine Schwester starb bei der Geburt, weil der Doktor im Kino war. Obwohl er wusste, dass es ein Problem geben wird. Wir ­beide waren schon vor der Geburt hergeschenkt worden. Ich kam zur Juliane Mitterer, einer Landarbeiterin, die keine Kinder mehr bekommen konnte, und ihrem Mann Michael, der damals Rossknecht am bischöflichen Gut war. Und dann sind meine Eltern in einen kleinen Weiler zwischen Kirchberg und Kitzbühel gezogen, wo sie auf einem Hof gearbeitet haben. Ich war ein verträumtes Kind, hab den anderen Kindern G’schichten erzählt, was ich erlebt hätte, was es alles gibt auf der Welt. Vor der Schule schon zu lesen angefangen: die Schundheftln der Knechte und den Bauernkalender. Eine Wiener Lehrerin, die Sommerfrischlerin war, hat mir die ersten Bücher gebracht. Lesen war aber natürlich nicht gefragt. Denn Lesen kostet Zeit. Es war ganz normal, dass die Kinder mitarbeiten am Feld. Und am Abend kostet Lesen Strom. Manche waren auch der Meinung, dass Lesen wirr im Kopf macht. Das heißt: Ich hab mich versteckt, bin am Weg zur Schule in einen Heustadel abgebogen und hab dort gelesen, bis die Schule aus war. Dem Lehrer hab ich am nächsten Tag gesagt, ich hab am Feld arbeiten müssen. Das war eh ständig so. Und irgendwann fragte mich der Lehrer: „Wo hast du den Aufsatz abgeschrieben?“ Ich sagte: „Nirgendwo.“ Er hat mir nicht geglaubt. Aber es kamen noch viele Aufsätze. Dann hat er gemerkt: Da ist was. Von da an hat er mich sehr gefördert. Als ich 13 war, sagte er: „Du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder wirst du Pfarrer oder Lehrer. Denn ich kann dich in einem kirchlichen Gymnasium unterbringen oder in der Lehrerbildungsanstalt.“ Ich war damals in ein gleichaltriges Mädchen verliebt, also wollte ich nicht Pfarrer werden. Ich sagte: „Lehrer!“ Dass ich in sie verliebt war: Das hat sie nie erfahren. Wie reagierten Ihre Adoptiveltern? Ihnen war nur wichtig, dass ich mir eines Tages ehrlich mein Geld verdien – wurscht, was ich mach. ’62, mit 14, kam ich nach Innsbruck an die Lehrerbildungsanstalt. Auch dort hat man mich gefördert. Und immer stärker wurde der Wunsch: Schriftsteller! Sie haben aber nicht als Lehrer, sondern ab 1966 beim Zoll ­gearbeitet. Ich bin aus der Schule rausgeflogen, weil ich nichts mehr gelernt, nur mehr gelesen hab. Meine Eltern haben gesagt: „Was ist los mit dir? Jetzt gehst arbeiten, aber fix.“ Ich hatte einen Bekannten beim Zoll. Er sagte: „Du kannst Zölle ausrechnen.“ Ich sagte: „Okay, mach ich, aber ich sag dir’s gleich: In zwei, drei Jahren bin ich weg.“ Dann war ich halt elf Jahre dort. Der Beruf hat

mich nicht belastet, außer dass er fad war. Ich hab nebenbei fleißig geschrieben, auch Prosa. Jeden Tag bin ich, während die Kollegen ihre Jause zu sich genommen haben, vom Büro zu ­meiner Wohngemeinschaft geradelt. Um im Postfach nachzuschauen, ob ein Verlag mein Manuskript nimmt. Ich hab das ­besonders raffiniert angestellt: Ich hab das Manuskript immer nur an einen Verlag geschickt. Weil ich mir gedacht hab: Wenn ich es gleichzeitig an 20 Verlage schicke, und drei wollen es ­haben, wie entscheide ich mich dann? Das ist ja peinlich. Es hat daher immer ein halbes Jahr gedauert, bis wieder die Antwort kam, dass es eh nix ist. So sind die Jahre vergangen. Veröffentlichungen gab es aber schon währenddessen. Ja. Ich bin früh draufgekommen, dass es mir liegt, Dialoge zu schreiben. Das Erste, was von mir veröffentlicht wurde, war ’70 ein Dialog in der „Ö3 Musicbox“. Dann Zeitschriften, Zeitungen, Hörspiele. Und ’77 das erste Stück, das erste Buch, der erste Film. Da hab ich gesagt: „Liebe Kollegen, jetzt geh ich.“ Das Buch, „Superhenne Hanna“, wird noch immer verkauft: Es befindet sich bereits in der 21. Auflage. Und auch das erste Stück, „Kein Platz für Idioten“, war ein großer Erfolg. Darin geht es um einen behinderten Jugendlichen, der ausgegrenzt wird. Ich hab es selber gespielt. Beim Spielen bin ich draufgekommen: Das bin eh ich irgendwie. Im Herbst ’77 machten die Rollstuhlfahrer auf sich aufmerksam: „Hallo! Wir kommen nicht auf den Gehsteig rauf! So könnt ihr nicht mit uns umgehen.“ Manchmal kommt eben einfach etwas zur richtigen Zeit. Das tut man nicht aus Berechnung, das passiert einem einfach. Mit „Sibirien“ war es das Gleiche: Plötzlich kommt man drauf, dass in Lainz die ­alten Menschen umgebracht wurden. Fritz Muliar brillierte als alter Mann, der ins Altersheim abgeschoben wurde. Und die „Piefke-Saga“ wollte jahrelang niemand machen. Dann aber schlug sie derart ein – weil es wieder etwas zur richtigen Zeit war. Niemand hatte damit gerechnet. Wenn einem so etwas passiert: Das ist schon etwas Schönes. Sie sagten gerade: „Das bin eh ich irgendwie.“ Wurden Sie als Kind ausgegrenzt? Wahrscheinlich. Das war ziemlich heftig manchmal. Ich war schwächlich. Das Einzige, worin ich gut war, war das Davon­ laufen. Bei „Räuber und Gendarm“ haben sie mich nie erwischt. Auch beim Fußball: Wenn sie mich nicht grad zufällig niederdertreten haben, haben sie mich nicht erwischt. Und meine Mutter war unfassbar jähzornig. Als Kind bist du dem ausgeliefert. Mein Adoptivvater, dem ich in „Kein Platz für Idioten“ mit der Figur des Plattl-Hans ein Denkmal gesetzt hab, wollte sich für mich einsetzen, aber er schaffte es nicht, weil meine Adoptivmutter so rabiat war. Dann hat es ihr furchtbar leidgetan, sie hat sich entschuldigt und geweint – und drei Stunden später hat sie mir wieder das Holzscheit am Schädel gehaut. Und trotzdem sehen Sie sich als Glückskind? Ja, denn alles, was ich mir mit zehn, zwölf Jahren erwünscht habe, ist in Erfüllung gegangen. n



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